Sondierungen in Sachsen gescheitert: Was wollte Kretschmer von der AfD?
Am Dienstag traf Sachsens Ministerpräsident Kretschmer sich mit AfD-Chef Jörg Urban. Nun sind die Sondierungen mit BSW und SPD gescheitert.
Der abrupte Abbruch der bereits zuvor stockenden Gespräche wirft noch einmal ein anderes Licht auf ein Ereignis vom Vortag: Am Dienstag hatte sich Kretschmer mit dem Chef der extrem rechten AfD Sachsen, Jörg Urban, getroffen. Staatskanzlei und AfD bestätigten das Treffen und ein Gespräch über „landespolitische Themen“. Mehr verrieten beide Seiten nicht, man habe Vertraulichkeit vereinbart, hieß es übereinstimmend. Der taz sagte der Sprecher der Staatskanzlei Ralph Schreiber lediglich, dass das Gespräch am Dienstag in Kretschmers Landtagsbüro stattgefunden und eine halbe Stunde gedauert habe.
Noch am Dienstagabend hatte die sächsische Staatskanzlei ein schmallippiges Statement verschickt. Das versuchte, das Treffen mit dem Vorsitzenden der AfD, die in Sachsen vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft ist, als vollkommen normal einzuordnen: „Der Ministerpräsident spricht grundsätzlich mit allen Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden, die dies wünschen“, teilte der Sprecher des Staatskanzlei Ralph Schreiber mit.
Gleichwohl konnte er die Rückfrage, wann er sich denn zuletzt mit Urban getroffen habe, nicht beantworten. Die Staatskanzlei blieb am Mittwochvormittag dennoch bei der Linie, das Gespräch mit Urban sei ein normaler Vorgang: Kretschmer habe ein Treffen nach der Wahl des Landtagspräsidenten und der Vizepräsidenten zugesagt. Mit allen Abgeordneten zu reden, gebiete der Respekt vor dem Amt und dem Parlament. Man habe auch das BSW und die SPD über das Treffen informiert. Eine Vorbereitung einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der AfD dementierte Schreiber – ein Gespräch sei schließlich keine Zusammenarbeit.
Kretschmer dementiert Zusammenarbeit mit AfD
Kretschmer hatte sich stets gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen. Allerdings fordern immer wieder CDU-Politiker in Sachsen auch Gespräche mit der extrem rechten Partei. Das erklärte Ziel der AfD wiederum ist es, die CDU zu zerreiben – möglicherweise auch als lautstarke Treiber einer Minderheitsregierung in Sachsen – oder auch in Thüringen. Kretschmer sagte am Mittwoch nach dem Ende der Sondierungen im Landtag erneut, dass eine Zusammenarbeit auch nach seinem Treffen mit der AfD „nicht infrage kommt“.
Mit dem Abbruch der Sondierungsgespräche allerdings hat Kretschmer wenig andere Optionen als eine Minderheitsregierung. Theoretisch würde es für die CDU auch für eine Parlamentsmehrheit mit Grünen und Linken reichen – allerdings hat die Union zur Linken wie zur AfD einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst.
Ein anderes mögliches Szenario wären Neuwahlen. Laut sächsischer Landesverfassung muss es innerhalb von vier Monaten nach Konstituierung des Landtags einen neuen Ministerpräsidenten geben, andernfalls ist das Parlament aufzulösen. Die Frist läuft bis Anfang Februar.
AfD-Terrorverdächtiger arbeitet im Landtag
Der Zeitpunkt des Gesprächs ist nicht nur wegen des Abbruchs der Sondierungsgespräche tags darauf bemerkenswert: Denn das Tête-à-Tête zwischen Kretschmer und Urban hat nur kurz nach der Festnahme mehrerer sächsischer AfD-Politiker wegen Terrorismusverdachts stattgefunden.
Am Dienstag wurden unter anderem drei AfD-Politiker festgenommen, weil sie sich in einer Neonazi-Gruppe namens „Separatisten Sachsen“ auf die gewaltsame Eroberung Teile Sachsens an einem „Tag X“ vorbereitet haben sollen, um ein nationalsozialistische Regime zu errichten. Einer der Terrorverdächtigen, der AfD-Stadtrat aus Grimma Kurt Hättasch, war auch bereits Gast im neurechten Szenetreff von Götz Kubitschek in Schnellroda – wo auch AfD-Chef Jörg Urban regelmäßig auftritt.
Gut möglich, dass auch Ministerpräsident Kretschmer im Landtag just diesem Terrorverdächtigen bereits über den Weg gelaufen ist: Hättasch arbeitet auch für den AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner, wie mittlerweile bekannt wurde. Er ist Waffenbesitzer und wurde bei der Festnahme angeschossen.
Breite Kritik an Kretschmer – auch aus der CDU
Das Treffen mit AfD-Chef Urban sorgte für breite Kritik: SPD-Generalsekretär Matthias Miersch verlangte eine klare Absage von CDU-Parteichef Friedrich Merz an eine Zusammenarbeit mit der AfD. „Jede Annäherung ist ein Dammbruch, der die demokratischen Grundwerte unseres Landes gefährdet“, sagte er.
Aber auch die CDU-Parteizentrale wirkte überrascht. Generalsekretär Carsten Linnemann sah sich zu einer Klarstellung veranlasst: „Für uns, für die CDU, ist klar, es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD. Punkt.“
In den Ebenen darunter wurde es noch deutlicher: Dennis Radtke, Chef der Christlich-Demokratiscne Arbeitnehmerschaft (CDA), sagte: „AfD-Abgeordneten kann man auf dem Flur einen guten Tag wünschen, aber mehr auch nicht. Wenn der Eindruck entsteht, die Brandmauer zu einer Partei, in der drei Mitglieder gerade bei einer Nazi-Razzia verhaftet wurden, bekommt Risse, dann schadet das der Union in ganz Deutschland.“ Auch die Bundestagsabgeordnete Anne König sagte: „Wir haben einen Unvereinbarkeitsbeschluss auf Bundesebene. Kretschmer sollte daher doch auch als Ministerpräsident klar sein, dass jedes Gespräch mit der AfD nur zu Missverständnissen führt und deshalb schädlich ist.“
Die Kritik an Kretschmer ist nach dem Treffen über die Parteigrenzen hinweg groß. Valentin Lippmann, der parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, sagte: „Es gibt nie einen guten Zeitpunkt sich mit Rechtsextremisten im Hinterzimmer zu treffen – dies ausgerechnet an jenem Tag zu tun, an dem AfDler wegen Terrorverdachts festgenommen werden, zeugt von besonderer Anstands und Verantwortungslosigkeit.“ Auch die Linke Sachsen nannte das Gespräch und den Zeitpunkt „absurd“.
Die AfD-Spitze um den sächsischen Chef der Bundestagsfraktion und Parteivorsitzenden Tino Chrupalla wollte sich zum Treffen mit dem CDU-Ministerpräsidenten nicht äußern. Nervös ist die AfD unterdessen allerdings wegen der Beteiligung der drei AfD-Politikern bei den „Sächsischen Separatisten“. Am Mittwoch hat der Bundesvorstand in einer Sondertelefonkonferenz den Ausschluss der drei Terrorverdächtigen beschlossen. Dass schon länger bekannt war, dass etwa Kurt Hättasch bei einer Sonnenwendfeier dem Nationalsozialismus huldigte, hatte die Partei bisher nicht gestört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe