Sondierung Schwarz-Grün: Die Kapuzenpulli-Union
In Berlin-Prenzlauer Berg wirbt CDU-Politiker Lars Zimmermann erfolgreich um alternative Wählergruppen. Nische oder Trend? Eine Spurensuche.
BERLIN taz | „Lars!“, sagt er zur Begrüßung. Schneller Händedruck. Ein CDU-Politiker, der einfach mal drauflos duzt? Das trauen sich Grüne längst nicht mehr – könnte ja unprofessionell oder übergriffig wirken. Lars, Nachname Zimmermann, 38 Jahre, Harvard-Absolvent und Gründer eines politischen Thinktanks in Berlin, scheinen solche Fragen gerade ziemlich egal zu sein.
Ein jungdynamischer Typ, Kapuzenjacke über dem gebügelten Hemd. Vor drei Wochen hat er sich als CDU-Direktkandidat für den Bundestag beworben – und ist gescheitert. Einer der vielen Wahlverlierer, doch er tritt so selbstbewusst auf, als beginne seine Mission jetzt erst richtig. Wenn die CDU es klug anstelle, sagt Zimmermann, dann könne sie die „modernste Partei“ werden. Klingt nach Größenwahn, er aber scheint daran zu glauben.
Lars Zimmermann hat es sich im „Wohnzimmer“ bequem gemacht. Das Café zählt zu den Latte-macchiato-Instanzen in Prenzlauer Berg. Der Kaffee kommt mit Biogebäck, stilecht auf Retrogeschirr in DDR-Design serviert. Es geht schließlich um mehr als den Koffeinpegel. Ein wohliges Konsumgefühl, den rundum korrekten Style.
Im Klamottenladen an der Ecke kostet die Herrenstiefelette in etwa so viel wie vor zehn Jahren ein WG-Zimmer hier am baumbestandenen Helmholtzplatz. Dafür verspricht das Etikett chromfreies Leder und Recycling-Komponenten. Die alternative Szene ist längst vor den gestiegenen Mieten in andere Kieze der Hauptstadt geflüchtet.
Stimmenzahl verdoppelt
Dennoch galt die CDU in diesem Altbauviertel stets als Splitterpartei. Noch 2009 kam ihr damaliger Bundestagskandidat, ein Sprössling aus christdemokratischem Politikerhause, im Wahllokal ums Eck auf 6,8 Prozent. In diesem Herbst aber verdoppelte der neue Direktkandidat Lars Zimmermann dort die Stimmenzahl für seine Partei. Im gesamten Wahlkreis Pankow zog er sogar an SPD und Grünen vorbei, landete mit knapp 24 Prozent auf Platz zwei, gleich hinter dem Frontmann der Linken. Eine echte Überraschung.
Der CDU-Kandidat vermutet, ihn hätten auch viele jüngere Leute aus dem alternativen Milieu gewählt, „denen die Grünen inzwischen zu ideologisch“ seien, die sich stattdessen eine „pragmatische, lösungsorientierte Politik“ wünschten. Noch gibt es keine Statistik, die diese These mit Zahlen untermauert. Aber auf jeden Fall passt die Idee einer neuen schwarzen Heimat für grüne Wähler bestens zu Zimmermanns Projekt. Der Wirtschaftsgeograf zählt zu jenen in der Partei, die sich längst für einen politischen Lieblingspartner entschieden haben – die Grünen. Deren Schnittmengen mit der CDU, versichert Zimmermann, seien doch sogar größer, „als die Grünen es gern hätten“.
Lars Zimmermann hat keine Ochsentour hinter sich, erst mit Mitte dreißig trat er in die Partei ein. Auf seinen Wahlplakaten versteckte der Neuling das CDU-Logo klein in der Ecke, so, als wolle er lieber nicht sofort mit seinem Laden in Zusammenhang gebracht werden. Stattdessen viel frisches Weiß und ein Foto, auf dem er zum Endzwanziger verjüngt worden war.
Quereinsteiger und Car-Sharer
Der Quereinsteiger zählt sich zum liberal-progressiven CDU-Flügel – doch vermutlich ist das noch untertrieben. Er hat sein Auto verkauft, macht lieber Carsharing, als Ex-Zivi wünscht er sich ein soziales „Verantwortungsjahr“ für alle jungen Leute. Parteifreunde vom rechten Flügel nennt er auch mal reaktionär.
Andere Unionspolitiker ducken sich bei heiklen Themen weg. Zimmermann wirkt, als wolle er bloß nicht zu linientreu erscheinen. Betreuungsgeld? In der Stadt sei das einfach nicht sinnvoll für die meisten Mütter – „es sind ja leider vor allem immer noch Frauen“. Adoptionsrecht für Homosexuelle? Der CDU-Kandidat erzählt jetzt von zwei Lesben aus seinem Freundeskreis, die ein Kind bekommen haben. „Dieses Kind wird besser aufwachsen als viele andere.“ NSA-Skandal? Er hätte sich das Krisenmanagement der Regierung anders vorgestellt. Irgendwann fragt man sich, was dieser Mann überhaupt in der CDU will.
Zimmermann hat ein Bein über der Lehne des goldlackierten Café-Sesselchens gehängt. Er lacht jetzt kräftig los. „Warum soll ich nicht in der CDU sein können, wenn ich für einen neuen politischen Weg eintreten möchte?“ Ein ziemlich minimalistischer Restkonsens selbst für Merkel-Verhältnisse – aber in seinem Wahlkreis mit Sicherheit ein strategischer Vorteil. Einer wie Lars Zimmermann verkörpert auf diffuse Art bereits die Schnittmenge von Schwarz-Grün. Ganz ohne die Grünen.
Schwule in der JU
An der Pankower Basis macht ihn das nicht zum Einzelkämpfer. „Politik wird ja nicht nur aus der Partei heraus gemacht, sondern auch in die Partei hinein“, sagt Alexander Schramm, 28 Jahre. Der Freiberufler arbeitet in der Medienbranche, lebt in Scheidung von seinem Mann. Das ganze Alt-68er- und Anti-68er-Gerangel habe sich für jüngere Leute doch erledigt, findet er. Die Grünen seien „erwachsen“ geworden, brächten gute Ideen in die Politik ein.
Schramm selbst ist 2010 politisch in der Jungen Union angekommen. Strebsame, aktive Leute treffe er dort. Die JU hier sei eigentlich ein ziemlich großer Schwulenclub. Verunsichertes Grinsen – hätte er das jetzt besser weggelassen?
Ein paar Tage später, im Café „Liebling“ am Südende des Helmholtzplatzes hat Eva Wermelskirch die Knie zu sich herangezogen, rührt in einer hausgemachten Limo – laut Karte kommen die Kräuter „aus Svens Garten“. Die 39-Jährige betreibt eine Praxis für Familienberatung um die Ecke. Die Kunden kommen mit schwierigen Kindern oder Trennungssorgen zu ihr. Auf der Website wirbt die Therapeutin für Angebote wie „ganzheitliche Nachhilfe“, sie bietet ein Alleinerziehenden-Coaching („Fit für den Alltag!“) oder „ReikiCare“ für Säuglinge.
Grüne reagieren nicht auf Thesenpapier
Vom spirituellen Handauflegen zur CDU scheint der Weg nicht zwingend. Und Eva Wermelskirch schüttelt, nach ihrer Leidenschaft für diese Partei gefragt, heftig den Kopf. „Nöö“, versichert sie, nie habe sie früher CDU gewählt. Über die Wahlkämpfer der Jungen Union, die in Opas Anzug im Kiez aufgekreuzt seien, lästert sie freudig.
Schon im Frühjahr hatte die Therapeutin ein Thesenpapier zur Situation Alleinerziehender an alle Pankower Kandidaten gemailt – der erste, der sich meldete: Lars Zimmermann. Sie verabredeten sich auf einen Kaffee. Eva Wermelskirch rechnete mit dem Schlimmsten. Gelaber. Unverständnis. „Stattdessen“, erinnert sie sich versonnen, „saß da Herr Zimmermann …“ Er habe zugehört und ihr schließlich etwas geraten, was sie einem CDUler kaum zugetraut hätte: Sie solle doch Behördenpapiere mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes erzwingen. „Sehr menschen- und bedürfnisorientiert“ sei der Mann ihr vorgekommen. „Modern. Reflektiert.“ Und die Grünen? Die hätten auf ihren Brief nicht reagiert, sagt Eva Wermelskirch. Jetzt klingt sie bissig: „Das ist schon dumm.“ Erststimme CDU – für die alleinerziehende Mutter war es eine Premiere.
Lars Zimmermanns Internetauftritt versprach den Wählern programmatisch so gut wie nichts. Der CDUler nennt das einen „offenen, partizipativen Ansatz“. Es gehe nicht darum, „den Leuten die Welt zu erklären“, sagt er, sondern „gemeinsam mit ihnen Positionen zu erarbeiten“. Ist das die konservative Vision für die schwierige, urbane Klientel: Keinen Wurf mehr wagen, damit sich keiner verschreckt fühlt? Gewinnt man so neue Milieus?
„Wir können doch alle miteinander“
Der Historiker Oliver Schmidt, 46 Jahre, hat in den vergangenen Monaten neugierig die CDU-Kampagne in seiner Nachbarschaft beobachtet. Er kennt Zimmermann lose. Man lief sich vor Jahren beim beruflichen Zwischenstopp in der Bertelsmann Stiftung über den Weg. „Lars spricht eine Stimmung in der Gesellschaft an“, sagt Schmidt. Er umschreibt diese Stimmung so: „Wir können doch irgendwie alle miteinander.“
Schmidt ist politisch in der Umweltbewegung groß geworden, mit klassischen Accessoires wie Fledermauskästen. Der Wissenschaftler trägt das Haar kinnlang, Wolljacke, Turnschuhe. Nach der Promotion in Harvard machte er sich als Großstadtforscher einen Namen. Heute lebt er mit Frau und Kindern am Ostzipfel des Prenzlauer Bergs. Der Straßenzug ist eine politische Exklave, sie gehört zum Nachbarwahlkreis Kreuzberg. Oliver Schmidt hat dort bei der Bundestagswahl für Christian Ströbele gestimmt, die linke Kiez-Ikone der Grünen. „Aber“, sagt er, „wenn ich ein paar Straßen weiter wohnen würde, hätte ich Lars Zimmermann mit der Erststimme gewählt.“
Es ist schon erstaunlich, was inzwischen so alles zusammengeht – grüner Linksaußen und CDU-Youngster. Der ganz große schwarz-grüne Spagat.
Kein Listenplatz
Daheim, witzelt Schmidt, hätte ihn wohl das eine oder andere Gespräch mit seiner Frau erwartet. CDU wählen – geht’s noch?! Oliver Schmidt zählt nicht zu jenen, die Programmatik als störenden Ballast sehen. Er fand die Steuererhöhungsvorschläge der Grünen überzeugend; faire, nachhaltige Politik gibt’s schließlich nicht gratis. Seine CDU-Stimme wäre eine Persönlichkeitswahl gewesen, sagt er. Den Grünen-Politiker Ströbele schätze er für dessen Rückgrat, Ströbele bleibe bei Gewissensfragen standhaft. Diese Unabhängigkeit traue er auch Zimmermann zu. Zimmermann sei ein „weltoffener“ und „undogmatischer“ Typ, verstehe etwas davon, wie digitale Medien unsere Gesellschaft radikal verändern. Er nehme es Lars Zimmermann ab, ernsthaft an der Nachhaltigkeitsidee interessiert zu sein. Abrupte Pause. Hoffentlich klinge er nicht wie Zimmermanns Pressesprecher, fragt Schmidt.
Soviel Potenzial der Stadtforscher bei Schwarz-Grün erkennt – er fragt sich auch, wie allgemein gültig das Wahlkampfexperiment der CDU in Prenzlauer Berg wirklich war. Ließ man den Neuen hier bloß mal machen, weil der Bezirk als hoffnungslos galt? Oder hatte Zimmermann Rückendeckung von oben? Warum aber sicherte die CDU den Neuling dann nicht über einen Listenplatz ab?
Es war wohl ernst gemeint. Spätestens seit seiner Wahlniederlage steht Lars Zimmermann in der Partei unter verschärfter Beobachtung. 2017 sieht man sich wieder.
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