Soloabend mit Corinna Harfouch: Das Herz ist ein einsamer Jäger
Diese seltsame, blutbefleckte Schönheit: Corinna Harfouch brilliert in Stuttgart mit dem Soloabend "Das Jagdgewehr".
Ein Mann steigt auf einem engen Pfad den Berg hinauf, eine Pfeife im Mund, das Gewehr über der Schulter, die Munition am Gurt. Seine Setterhunde laufen vor ihm her. Er ist unterwegs zur Jagd. Und hinter ihm scheint sich statt der Berglandschaft, durch die er schreitet, ein "verödetes, weißes Flussbett" auszubreiten.
Regungslos, konzentriert in sich hineinlauschend, steht die Frau, die die Zeilen über den einsamen Jäger vorträgt, mitten auf der bis auf einen niedrigen Tisch, zwei Hocker und drei weiße Matten leeren Spielfläche. Verletzlich sieht sie aus mit ihren nackten Füßen - eine schmale Gestalt im schlichten, burgunderroten Kleid, die die Schwärze des Raums und die Last der Worte geradezu erdrückt. Sie spricht, als würde sie die Sätze irgendwo tief in sich finden, ja geradezu erfinden.
Und in gewisser Weise tut Corinna Harfouch das auch, die in der Blackbox des Stuttgarter Kammertheaters Yasushi Inoues Erzählung "Das Jagdgewehr" entstehen lässt. Denn die Schauspielerin verwandelt sich die drei im Zentrum des Textes stehenden Frauenfiguren an. Der japanische Schriftsteller schildert in "Das Jagdgewehr" aus verschiedenen Perspektiven - vorwiegend in Form von Briefen - die Geschichte einer verbotenen Liebe, einer über Jahre währenden Dreiecksbeziehung; im Grunde jedoch geht es in dem knapp hundertseitigen Prosatext, mit dem die Schriftstellerkarriere von Inoue 1949 fulminant begann, um die existenzielle Einsamkeit des Menschen. Eine Einsamkeit, an der nicht einmal die Liebe etwas ändern kann.
Ursprünglich sollte die oft multimedial arbeitende Regisseurin Dora Lanz den Theaterabend inszenieren, mit Corinna Harfouch und einem Schauspieler aus dem Ensemble als Akteuren. Doch eine Woche vor der Premiere haben Lanz und Harfouch ihre Zusammenarbeit aufgelöst; grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Konzeption. Es ist nun also ein Soloabend von und mit Corinna Harfouch geworden.
Corinna Harfouch allein auf der Bühne - kaum vorstellbar, dass Inoues filigrane, zwischen den Zeilen sich enthüllende Beschreibung von Seelenlandschaften, die Andeutungen, poetischen Bilder je so intensiv gewirkt hätten wie im puren Vortrag der Harfouch. Wie sie, auf der ersten der weißen Matten stehend, ein kleines Stofftier in der Hand knetend, mit hellem, hohem, manchmal fast brechendem Ton der Tochter Shoko ihre Stimme gibt, da sieht man diesen Teenager vor sich, der um die Formulierungen wie um das Verständnis ringt, der die Mutter nicht mehr zu kennen meint, in seinen idealistischen Vorstellungen von der Liebe erschüttert ist.
Bevor die Schauspielerin die Briefe der beiden anderen Frauen vorträgt, taucht sie Gesicht und Arme ins Wasser, das in einer Schüssel auf dem Tisch steht, wischt die Füße mit einem nassen Tuch ab, als wolle sie sich mit diesem Reinigungsritual frei machen für die nächste Rolle, das nächstes Schicksal. Als betrogene Ehefrau Midori ist sie die leichtlebige Dame von Welt, die ihre Verletztheit hinter Zynismus verbirgt. Als die todkranke Saiko spricht sie ruhig und abgeklärt, von der Last des Betrugs und dennoch dem Glück dieser heimlichen Liebe.
Auf die Rahmenhandlung der Erzählung hat man bei Harfouchs Soloabend verzichtet. Darin spiegelt der Autor die Geschichte noch in einer weiteren Erzählebene, und er erklärt auch etwas konkreter, worum es ihm geht. Das braucht es für den Theaterabend jedoch nicht unbedingt. Die Briefe und das Gedicht vom Jäger können so für sich wirken. Durch die Darstellung von Corinna Harfouch, durch ihre Stimme, ihre Gesten, ihre Körpersprache, erfahren wir von den "weißen Flussbetten" der Einsamkeit, von der vergeblichen Jagd nach einer Liebe.
Was bleibt, ist "die seltsame, blutbefleckte Schönheit, die, wenn das Gewehr auf Lebendes zielt, niemals erscheint". Mit dieser Gedichtzeile endet auch dieser eindrucksvolle Theaterabend, und das Licht geht langsam aus.
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