Soll die Promillegrenze für Radler sinken?: Erst reihern, dann radeln
Die Innenminister der Bundesländer wollen die Promillegrenze für Radfahrer senken. Ist der Vorstoß sinnvoll? Eine Frage der Perspektive.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, was dieser – klassenkämpferisch gemeinte – Satz von Karl Marx im Wortsinn bedeuten könnte, muss sich nur selbst im modernen Verkehr anschauen.
Als Autofahrer schimpft man über Radler, die bei Rot und nachts ohne Licht fahren; als Radler ärgert man sich über Autofahrer, die einen bedrängen oder Wege zuparken; und als Fußgänger nerven einen Autofahrer, die einen beim Abbiegen die Vorfahrt nehmen oder Radfahrer, die rücksichtslos über volle Bürgersteige rasen. Wie man es auch nimmt – auf die Perspektive kommt es an.
Das gilt auch für den Vorschlag der Innenminister der Bundesländer, die Promillegrenze für Radfahrer im Straßenverkehr zu senken. „Man kann nicht unbegrenzt Alkohol trinken und dann noch sicher mit dem Rad fahren“, sagt der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Boris Pistorius (SPD).
Bislang liegt der Grenzwert, ab dem Radfahrern der Entzug des Führerscheins droht, bei 1,6 Promille; bei Autofahrern sind es 0,5. Die Radfahrerlobby schlägt 1,1 Promille als neuen Grenzwert vor, andere fordern eine Gleichstellung mit den Autofahrern. Was sagt man selbst als gewöhnlicher Verkehrsteilnehmer dazu?
Als Radfahrer: So ein Blödsinn. Warum soll ich als Radler künftig weniger trinken dürfen als bisher? Ich gefährde doch niemanden, wenn ich besoffen Rad fahre – höchstens mich selbst. Und außerdem ist es ja wohl besser, ich fahre betrunken Fahrrad, als dass ich mich in diesem Zustand ans Steuer setze, oder nicht?
Soll die Polizei doch erst mal all die besoffenen Autofahrer aus dem Verkehr ziehen, die die Straßen unsicher machen, bevor sie mich gängelt – wie das schon die ungünstigen Ampelschaltungen zur Genüge tun. Da bewege ich mich äußerst umweltfreundlich vorwärts, und dann soll mir das schon wieder erschwert werden. Das ist doch idiotisch, so wird das mit der grünen Verkehrswende nie etwas!
Als Autofahrer: Richtig so. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum für die Radler andere, also laxere Gesetze gelten sollen als für mich. Viel nützen wird es aber wohl nichts, weil die Regel ohnehin kaum kontrolliert werden dürfte.
Aber die neue Promilleregel wäre ein Signal an die Radfahrer, die sich oft als etwas Besseres fühlen, weil sie ökologisch unterwegs sind: Auch für euch gelten Verkehrsregeln! Ihr haltet euch ohnehin viel zu selten daran, was nicht nur euch, sondern auch andere gefährdet. Auch wenn ihr euch selbst am meisten in Gefahr bringt – meint ihr, es macht mir oder irgendeinem anderen Autofahrer Spaß, einen Radler totzufahren oder schwer zu verletzen!? Und wie sollen Kinder lernen, sich sicher im Verkehr zu bewegen, wenn sie Rüpelradler zum Vorbild haben?
Als Fußgänger: Mir doch egal, für mich gilt das ja nicht. Und wenn die Radler etwas vorsichtiger unterwegs sein sollten, kann es mir nur recht sein. Aber halt! Wer sagt denn, dass diese Vorschrift nicht irgendwann auch auf mich angewendet wird. Als Fußgänger bin ich ja ebenso ein Verkehrsteilnehmer wie als Radfahrer. Auch ich dürfte betrunken nicht unterwegs sein, da ich irgendjemand gefährden könnte: sei es, dass ich unachtsam auf die Straße torkle und einen Radler umstürze oder einen Autofahrer zum Ausweichen zwinge. Nicht auszumalen!
Müsste ich also immer ein Taxi nehmen, wenn ich betrunken aus der Kneipe komme? So viele Taxis gibt es doch gar nicht, dass alle Kneipengänger wegkommen! Und was ist, wenn ich betrunken aus dem Taxi steige und auf dem Gehweg vor meinem Haus einen Unfall verursache, indem ich einen Passanten umremple? Darf ich letzten Endes also nur noch zu Hause trinken? Und das mutterseelenallein, weil meine potenziellen Gäste auch wieder nach Hause kommen müssen, da schlecht alle bei mir schlafen können. Nein, dann doch lieber keine neue Promillegrenze. Wehret den Anfängen!
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