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Solingen und der Rest

■ Bim Sherman und Charlie Chaplin in Hamburg auf Stimmensuche

Er ist die Stimme von On U-Sound. Seine sachten, beinahe behutsam gesetzten Melodiebögen veredelten die Veröffentlichungen von Dub Syndicate, Tackhead und zuletzt Gary Clail. Auf der aktuellen Compilation Taken Off, die Bim Shermans Solo-Werk seit den 70er Jahren Revue passieren läßt, schmiert der Barde allerdings bisweilen in ganja-selige Schunkeleien ab. Traf er unter den gestrengen Produzentenhänden von On U-Sound-Chef Adrian Sherwood noch die schmale Trennungslinie zwischen Gefühl und Kitsch, so trudeln die Stücke auf seinem eigenen Century-Label doch allzu selbstgefällig durch die jamaikanische Musik-Geschichte.

All diese Zweifel will er jedoch in den Rauchschwaden der Heilkräuter auflösen. Denn Sherman, den es nach dem Erstarken der englischen Roots-Bewegung nach England zog, gilt weiterhin als zentrale Figur der Neo-Roots-Szene, die Religiosität mit sozialem Anliegen verbindet und prächtig in der Obhut der regen Dub-Szene gedeit.

Als Clown der Tanzhalle kommt hingegen Charlie Chaplin daher. Mit archivarischer Gründlichkeit und Humor parodiert der Toaster seit Anfang der 80er Jahre seine Kollegen. Dieser schnippische Umgang mit den Helden brachte ihm ein Engagement bei einer Sting-Tournee und einen Haufen Schotter ein. Auf dem Cover seines neuen Albums Too Hot To Handle blickt er barbrüstig und mit Goldkette garniert auch ganz entschlossen drein, den Platzhirschen auf Jamaikas Ragga-Thron entgegenzutreten. Dazu haben das Produzenten-Paar Sly&Robbie seinen Lyrics, die in linguistischer Gymnastik um das ewig lockende Weib kreisen, einen zeitgemäßen Übertopf verpaßt. Wie bei allen Sly &Robbie-Machwerken steht auch hier alles auf einem vertrackten rhythmischen Schwellkörper. Allerdings greifen Simeon&Richie von der Sagitarious Band an manchen Stellen allzu gimmickhaft in die Orgel und tun Charlie damit keinen Gefallen, der sich redlich um einen ebenso witzelnden wie kraftvollen Reimfluß müht.

Als ausdrückliche Warnung muß allerdings die Ankündigung der Solinger Soon Come Band verstanden werden, die den Clown unterstützen soll. Den völlig vertrottelten Provinzheimern war es zuletzt schon gelungen, beim wurzeligen Lee Scratch Perry unkurierbares Ohrenbluten auszulösen.

Volker Marquardt

Bim Sherman: Montag, 23.1., Markthalle, 21 Uhr

Charlie Chaplin: Samstag, 21. 1., Große Freiheit, 23 Uhr

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