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Solidarität Ursula Schäfer lebt als Rentnerin in Brandenburg. Und sie ist FlüchtlingspatinWillkommen in Gransee

VonStefan Simon (Text) undErik-Jan Ouwerkerk (Fotos)

Baumgarten, rund 70 Kilometer nördlich von Berlin im brandenburgischen Landkreis Oberhavel. Das Dorf liegt südlich des Ortes Sonnenberg, dessen Ortsteil es seit 1998 ist. Eine Hauptstraße, 98 Einwohner, eine Gaststätte und ein paar Einfamilienhäuser. Hier ist es ruhig, hier kann man sich zurückziehen. So wie es die Rentnerin Ursula Schäfer getan hat, nach dem sie viele Jahre in Berlin und im Ausland gelebt hatte.

„Es ist, als ob ich zurückkehren würde“, sagt sie. Sie bittet auf die Terrasse. Es gibt Kaffee und Kekse. An die Wand geschmiegt liegt die Katze der Vorbesitzer.

„Ich wohne hier erst seit drei Monaten. Es ist noch etwas unordentlich“, sagt sie. An dem Haus wurde offensichtlich schon seit vielen Jahren nichts mehr verändert. Die Fassade hat diesen typischen Grauton, so wie viele Häuser aus der alten DDR. Die Küche, das Wohnzimmer, auch die Terrasse hinter dem Haus: Alles wirkt hier noch unfertig. Doch Ursula Schäfer ist glücklich. „Wollen Sie mal den Garten sehen?“ Sie verlässt die Terrasse und läuft durch ein kleines Tor in den Garten, der in etwa die Größe eines Tennisplatzes hat.

Ursula Schäfer ist 71 Jahre alt und stammt ursprünglich aus Warendorf im Münsterland. Sie trägt das blonde Haar kurz, die Brille ist oval und schwarz, um den Hals eine Edelsteinkette.

Seit zwei Monaten nun ist Ursula Schäfer Flüchtlingspatin von Veronica K. und ihrem eineinhalbjährigen Sohn Fabian. „Ich glaube, Veronica müsste Anfang dreißig sein“, schätzt sie. So genau weiß sie es nicht. Es war im vergangenen März, als der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), mit einer Forderung in die Öffentlichkeit getreten war: „Wir brauchen Paten, die die Flüchtlinge bei ihren Alltagsaufgaben begleiten und sich mit ihnen beschäftigen. Ich denke da vor allem auch an ältere Menschen, deren Engagement jetzt gefragt ist“, hatte er seinerzeit verlautbart. Ursula Schäfer brauchte keinen Ministerpräsidenten, der an sie dachte. Sie erfuhr von Freunden, die in der Initiative „Willkommen in Gransee“ aktiv sind, von der Möglichkeit einer Patenschaft.

Durch die Initiative sei in der kleinen Stadt in Brandenburg eine breite Akzeptanz gegenüber den Flüchtlingen entstanden, meint Schäfer. Ausgerechnet hier? Das läge daran, dass es in Gransee weniger Nazis gebe, erklärt sie: „Die findet man eher in Neuruppin.“

Die junge Kenianerin Veronica K. lebte zuvor drei Jahre in einem Flüchtlingsheim in Hennigsdorf bei Berlin. „Sie wohnt jetzt in einem Mehrfamilienhaus und ist glücklich“, sagt Ursula Schäfer. „Sie vermisst lediglich die zwischenmenschlichen Kontakte. Dort war mehr Leben und Kommunikation. In Gransee ist sie isoliert.“ Warum Veronica K. nach Deutschland geflüchtet ist, kann Ursula Schäfer nicht sagen. „Ich habe sie nicht gefragt, warum sie geflüchtet ist. Ich vermeide es, weil ich denke, wenn Veronica darüber berichtet, kann es später gegen sie verwendet werden.“

Sie hat ihr zusammen mit Veronicas Freund Douglas beim Umzug in die neue Wohnung geholfen, geht mit ihr zum Jobcenter oder zur Tafel. Sie kümmert sich auch um den Kabelanschluss für Internet und TV. Alltägliche Dinge, die Veronica K. alleine nicht bewältigen könnte. „Dieser ganze Papierkram ist ja für uns Deutsche schon kompliziert“, sagt Schäfer. Wenn Veronica Deutschunterricht hat, dann passt Ursula Schäfer auf den kleinen Fabian auf. „Fabian ist stadtbekannt in Gransee. Alle kennen ihn, er ist schließlich auch das einzige schwarze Kind“, sagt sie. Wenn sie mit ihm durch die Stadt spaziert, bleiben die Leute stehen und sprechen ihn an. Die Bürger Gransees seien neugierig und offen geworden – die „Fremden“ als Bereicherung.

Über Pegida „Solche Leute haben wohl vergessen, dass auch Deutsche fliehen mussten“URSULA SCHÄFER

Ursula Schäfer hebt den Kopf und blickt in die Richtung ihres Gartens. „Hinter dem Wald liegt der Hunowsee. Wissen Sie, wer dort ab und an schwimmen geht?”, fragt sie. An dem See liegt das Schloss Merseberg. „Frau Merkel soll dort angeblich schwimmen gehen. Gesehen haben sie jedoch noch nicht.“

Sie lacht, hat gute Laune. Doch Hilfe leisten, sich kümmern, gefragt sein: Das kann auch zur Belastung werden. Vor kurzem war Fabian schwer krank. Nachts um 1 Uhr erhielt die 71-jährige Flüchtlingspatin einen Anruf von Veronica K. Sie fuhren ins Granseer Krankenhaus, jedoch war kein Kinderarzt vor Ort. Dann ging es weiter nach Neuruppin. Schließlich stellte man bei Fabian Pseudokrupp fest. Die ganze Nacht blieb Ursula Schäfer mit den beiden im Krankenhaus. „Natürlich war es sehr belastend für mich, ich bin schließlich auch nicht mehr die Jüngste“, sagt sie.

Regelmäßig könne sie solche Aktionen nicht durchstehen. Doch sie engagiert sich, weil sie es gerne macht. Sie macht es, so gut wie sie kann und ihre Freizeit erlaubt. Schließlich ist auch ein herzliches Verhältnis entstanden.

Also ganz so, wie es sich der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt vorgestellt hat? Ursula Schäfer schüttelt mit dem Kopf. So etwas müsse von unten kommen. Von oben herab habe es keine Wirkung. „Ich kann damit nichts anfangen. Politiker sollten sich auf diese Art und Weise nicht einmischen“, sagt sie. Es gebe doch schon zahlreiche Initiativen, außerdem müsse Deutschland viel mehr Flüchtlinge aufnehmen. Es werde zu wenig unternommen. „Ich finde auch, dass man die Flüchtlingshilfe anders gestalten könnte. Zum Beispiel, die Menschen in Familien integrieren, statt sie in Heimen unterzubringen.“

Von Politikern hat sie sich schon in der Vergangenheit nichts sagen lassen. Anfang der Siebziger zog sie nach Westberlin, um Architektur zu studieren, später engagierte sie sich in der Hausbesetzerszene. „Ich war auf vielen Demos. Ich glaube, da habe ich auch mal einen Stein geworfen“, sagt sie, verschmitzt.

Seinerzeit sympathisierte sie mit der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, ursprünglich Teil der DDR-Regierungspartei. „Damals war damals, heute ist heute“, sagt sie. „Viele von uns lebten damals nach dieser Ideologie. Westberlin war ja wie eine Insel mitten in der DDR.“ Bei all dem Treiben, so erinnert sie sich heute, habe sie ihre Tochter vernachlässigt. „Sie kam damals etwas zu kurz, das andere war immer wichtiger.“

Das andere – eben auch ein Berufsleben. Eine prägende Zeit erlebte sie für dreieinhalb Jahre in Botswana. Von 1989–1993 leitete sie dort über den Deutschen Entwicklungsdienst ein Architekturbüro und bildete Bauzeichner aus. Und über den Senior Experting Service, der Menschen im Rentenalter ins Ausland schickt, arbeitete sie vor drei Jahren auch in Namibia. Durch diese Erfahrungen ist die Patenschaft für Ursula Schäfer eine Selbstverständlichkeit geworden. „Wenn man diese Länder bereist, dann wird einem bewusst, was es bedeutet, mit seiner Kultur in der Fremde zu sein“, erklärt sie. Sie hätte in Botswana bleiben können, doch sie wollte Deutschland nicht verlassen. Sie hatte Heimweh. Daher sei sie unendlich dankbar, dass sie die Möglichkeit hatte, in die Bundesrepublik zurückzukehren.

„Dieses Glück haben die vielen Flüchtlinge nicht. Sie verlassen aus verschiedenen Gründen ihre Heimat, doch irgendwann können sie nicht mehr zurück.“

In Botswana wurde sie auch mit Rassismus konfrontiert. Sie wurde von Arbeitskollegen beleidigt, weil sie weiß ist. „Ein Student, der für mich im Architekturbüro arbeitete, wollte mir gegenüber handgreiflich werden.“ Sie spürte, wie es ist, anders zu sein, sich als Minderheit zu fühlen.

Daher kann sie sich in die Lage von Flüchtlingen versetzen, wenn in Deutschland Neonazis oder sogenannte Wutbürger auf die Straße gehen und ausländerfeindliche Parolen rufen. „Solche Leute haben wohl vergessen, dass auch Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg fliehen mussten oder aus der DDR.“

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