■ „Müllpflege“ an Frankfurter Schulen eingeführt: So lasset uns versiffen
Frankfurt (taz) – In der Mainmetropole bahnt sich Ungeheuerliches an. Nach zwei mißlungenen Revolutionen könnte sich in Deutschland eine dritte, bislang stille, wirklich durchsetzen. Alle Bedingungen sprechen dafür. Die Zauberformeln heißen Wirtschaftskrise und Sparzwang. Da werden in Bonn mal kurz in Jahrhunderten erkämpfte Arbeitnehmerrechte um die Ecke gebracht, vergreifen sich Bund und Länder am Fundament des Sozialstaates. Frankfurt ist schon eine Stufe weiter: Der rot-grüne Magistrat rüttelt auf der verzweifelten Suche nach neuen Geldquellen zur Stopfung der Haushaltslöcher gehörig an den Tugenden der Teutonen.
Vorläufig soll es den Reinlichkeitsfanatikern an den Kragen gehen. Sauberkeit, Recht und Ordnung? Papperlapapp! Recht und Ordnung mögen ja noch angehen, aber Sauberkeit in Frankfurter Ämtern und Schulen muß nicht mehr sein, sprach der Personaldezernent Joachim Vandreike, und Oberbürgermeister Andreas von Schoeler (beide SPD) stimmte begeistert zu. Der erste grüne Kassenwart der Republik, Tom Königs, maulte schon gar nicht. Er ist froh, wenn der milliardenschwere Schuldenberg der Mainstadt selbst um kleinste Kieselsteine (hier etwa 17 Mio. Mark) abgetragen wird.
Per Magistratsbeschluß Nr. 186 wird Ämtern und Schulen „mit Blick auf die finanzielle Situation der Stadt“ künftig an Stelle von Sauberkeit Müll- und Schmutzpflege vorgeschrieben. Das hat man sich so vorzustellen: „Die Schulen werden nur noch zweimal statt bisher dreimal geputzt, die Reinigung der Bürobereiche der Schulen reduziert sich von dreimal auf einmal wöchentlich. Die Nebentätigkeiten in Büros und Unterrichtsräumen wie z.B. Reinigen der Schreibtische, Entleeren von Papierkörben erfolgen statt fünfmal nur noch dreimal wöchentlich [...]“, lautet die in einem Rundschreiben an alle SchulleiterInnen enthaltene Weisung der grünen Schuldezernentin Jutta Ebeling. Um die Lehrerschaft schonend darauf vorzubereiten, was ihr demnächst blühen wird, verwies Frau Ebeling auf die Möglichkeit, daß „pro Klassenraum ein Reinigungsset“ – bestehend aus einem Besen, einer Kehrschaufel und einem Handfeger – zur Verfügung gestellt werde, „mit dem im Bedarfsfall auch mal zwischendurch Klassenräume gefegt werden können“. Die Bestellung ist einmalig, Reinigungsmittel nicht vorgesehen.
Den Frankfurter Schulen stinkt's jetzt schon zum Himmel. Sie sorgen sich um die Hygiene (der Kammerjäger ist dort bereits ständiger Gast), organisieren den Protest und solidarisieren sich mit den Reinigungsdiensten, deren Stellen um 50 Prozent abgebaut werden sollen. Der Personalrat und die betroffenen Frauen sammelten über 2.000 Unterschriften von Schuldirektoren und Lehrern und übergaben sie gestern, am Frauenstreiktag, in recht ungewöhnlicher Verpackung dem Personaldezernenten im Römer: In Form von mehreren großen blauen Säcken Dreck, den sie künftig nicht mehr wegmachen dürfen. Fein säuberlich verteilt in seinem Büro. Müllpflege, wie gesagt. Franco Foraci
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