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So kommt das Gift in die Jeans

Immer höherer Baumwollertrag durch mehr Pestizideinsatz / Baumwollarbeiter sind Leidtragende  ■ Von Torsten Schubert

Die Naturfaser Baumwolle ist ins Gerede gekommen: Gifte in den Textilien schaden den Verbrauchern. Noch mehr Schäden jedoch erleiden die Arbeiter auf den Baumwollfeldern, wo der Anbau immer weiter intensiviert wird. Die weltweite Baumwollproduktion hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten nahezu verdreifacht. Heute werden jährlich 20 Millionen Tonnen geerntet. Dabei ist die Anbaufläche mit 33 Millionen Hektar etwa gleich geblieben.

Diese phantastisch klingenden Ertragssteigerungen wurden hauptsächlich durch den Einsatz von Pestiziden erreicht. Inzwischen werden, so schätzen Experten, Jahr für Jahr Pestizide im Wert von bis zu 2,7 Milliarden US-Dollar auf den Baumwollfeldern eingesetzt. Die Gifte vernichten aber nicht nur Insekten und Unkraut, sie greifen die Gesundheit der Arbeiter auf den Feldern an, werden von den Baumwollpflanzen aufgenommen und gelangen so schließlich auch in die Kleidung. Von den 25 meistverwendeten Pestiziden hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sechs als „sehr gefährlich“ und weitere 15 als „gefährlich“ eingestuft.

Mattigkeit und Brechreiz

Doch immer noch sind pro Baumwollsaison auf den Feldern zwischen zwölf und 14 Spritzungen üblich. Die Gifte verseuchen Boden, Wasser und Luft in den Anbaugebieten. In China, weltweit der größte Baumwollproduzent, litt von 3.000 befragten Arbeitern ein Drittel unter gesundheitlichen Folgeschäden. Noch krasser in den USA, die mit ihrer Produktion knapp hinter China liegen: Die Bevölkerung in der Nähe von Baumwollfeldern klagt dort über Mattigkeit, Brechreiz, Augenbrennen und Müdigkeit. In Ägypten, einem der kleineren Baumwolländer, wurden Pestizidrückstände auch in Lebensmitteln nachgewiesen.

„Die meisten Baumwolle produzierenden Länder der Dritten Welt haben keinerlei Einrichtungen, die den Vertrieb und Einsatz von Pestiziden regeln“, sagte Carina Weber vom Hamburger Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) auf einer Baumwollkonferenz am vergangenen Wochenende in der Hansestadt. Es gebe zwar internationale Richtlinien, sie spielten aber in der Realität keine große Rolle. Arbeiter gingen zum Beispiel noch immer barfuß und ohne Hemden durch die frisch besprühten Felder. Der Umgang mit den gefährlichen Pestiziden sei nach wie vor durch Unwissenheit äußerst unbekümmert. „Die Diskussion um Chemie in der Kleidung hat zwar dazu geführt, daß für einzelne Textilien sogenannte Öko- Label entwickelt wurden“, heißt es im Konferenzprogramm, „dabei geht es aber im Sinne des Verbraucherschutzes um die Rückstände im Endprodukt und nicht um den Baumwollanbau.“

Beispiel Indien, weltweit drittgrößter Baumwollproduzent: Nur auf fünf Prozent der Felder wird Baumwolle angebaut, doch 56 Prozent der landesweit verwendeten Insektenkiller werden dort eingesetzt. „Untersuchungen haben gezeigt, daß die Farmer den Zusammenhang zwischen Umweltschäden und dem Einsatz von Insektiziden kennen“, sagte Hemchandra Gajbhiye vom Zentralen Baumwollinstitut in Indien, „dennoch sprühen sie mehr als sinnvoll ist.“ Immerhin werden in Indien Versuche mit biologischer Schädlingsbekämpfung gemacht. Denn die Forderungen der westlichen Industriestaaten nach weniger Schadstoffen in Baumwollprodukten setzt die Produzenten unter Druck.

Dabei verdienen die Farmer in der Dritten Welt trotz enorm gestiegener Erträge kaum mehr an ihrer Ware als vor fünfzig Jahren. Schuld ist der Verfall der Weltmarktpreise, bei gleichzeitig steigenden Preisen für Pestizide und hohen Inflationsraten in den Erzeugerländern. Hingegen werden Baumwollproduzenten in der Europäischen Gemeinschaft und den USA mit großzügigen Subventionen unterstützt.

Bald kommt die Gen-Jeans

Dort wird nun verstärkt nach Lösungen gesucht, Baumwollpflanzen resistent gegen Schädlinge zu machen. Oft mit zweifelhaften und gefährlichen Methoden. So versuchen US-Firmen massiv, gentechnisch veränderte Baumwollpflanzen auf den Markt zu bringen. Durch deren Resistenz gegen Schädlingsbefall würde der Gifteinsatz sinken, versprechen sie. Darüber hinaus gibt es auch Experimente mit dem Ziel, Länge und Stärke der Baumwollfasern sowie ihre Einfärbbarkeit zu verbessern. In absehbarer Zeit soll sogar jeansblaue Baumwolle auf den Feldern wachsen. Eine Entwicklung, vor der Crescentia Freudling von PAN warnte: „Die veränderten gentechnischen Eigenschaften werden sich durch Pollen unkontrolliert auf wilde Baumwollpflanzen ausbreiten.“ Folgenabschätzungen gebe es von seiten der Firmen nicht. Zudem, befürchtet Freudling, würden die Insekten sich bald an die veränderten Pflanzen anpassen.

In absehbarer Zeit wird sich der Pestizidverbrauch auf den Baumwollfeldern nicht spürbar verringern. Auch wenn es partielle Erfolge gibt. In Nicaragua wurden 1993 nur noch 40 Prozent der in den 80er Jahren verwendeten Pestizide eingesetzt. Damals hatten Pfanzenschutzmittel die Hälfte der Produktionskosten ausgemacht. Durch biologische Schädlingsbekämpfung konnten die Kosten drastisch verringert werden. Doch diese Entwicklung ist nur durch wirtschaftliche Unterstützung der deutschen Entwicklungshilfeorganisation GTZ möglich geworden und wird deshalb wohl vorläufig ein positiver Einzelfall bleiben.

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