■ Ein erstaunlicher Vorgang der rückwärtigen Peristaltik: So, jetzt zum Rülpsen
Das Rülpsen ist technisch betrachtet eigentlich nichts weiter als das Entweichen des Kohlendioxids aus dem Magen. Dieses wird bei der Flüssigkeitsaufnahme moussierender Getränke (zum Beispiel Bier) zwangsläufig freigesetzt und verläßt, nachdem es im Verbund mit der Flüssigkeit dem Trinker ein Gefühl von Spritzigkeit und Frische vermittelt hat, augenblicklich den Wirtsorganismus über den weit geöffneten Mund. Trägere Gaskollektive oder solche, die sich wieder mal nicht trennen können, entweichen über den Anus als sog. Bierfurz. Andernfalls drohen Auftreibung des Leibes und Zwerchfellhochstand.
Der Körper bedient sich bei diesem auch Aufstoßen genannten Vorgang der rückläufigen Peristaltik, also der Antiperistaltik. Einzelne oder mehrere Gastrauben werden durch sie nach oben transportiert, und zwar durch zirkulär einschnürende Kontraktion der Speiseröhrenmuskulatur, die sich nämlich, wie schön das doch immer wieder klappt, ebenfalls in die gewünschte Transportrichtung bewegt.
Wir unterscheiden das ganz gewöhnliche, auch ungewollte Rülpsen, ein der simplen, natürlichen Notwendigkeit Rechnung tragendes Gebaren, gepaart mit sich unmittelbar anschließender in Mimik und Gestik breit dokumentierender mentaler Indisponiertheit, besser peinlicher Berührtheit, während sich die folgenden Äußerungsformen unter dem Oberbegriff des gewollten Rülpsens zusammenfassen lassen.
Einmal das kontemplative Rülpsen: ein eher sich selbst vergewissernder Akt mit verhaltener Lautformung, der meist von einsamen Biertrinkern vollzogen wird, die sich dabei gleichzeitig der noch vorhandenen Funktionstüchtigkeit ihres Verdauungssystems versichern.
Das exzessive Rülpsen hingegen gilt nur in seiner klangästhetischen Bewertung als umstritten: In erster Linie Stimmung und Meinungen vermittelnd, als quasi unterste, aber nichtsdestotrotz agilste Verständlichmachung sozial grundwichtiger Sachverhalte wie „Mir hat's geschmeckt“, „Mir geht's pfundig“ oder „Mir ist heut' so“, wird mit dem exzessiven Rülpsen aus dem Gefühl des Wohlbehagens heraus häufig erneuter (Bier-)Trinkwunsch paraphrasiert und von den meisten Bedienungskräften öffentlicher Schankstätten auch so verstanden.
Ganz nebenbei: Diese Unterart wird vor allem bei Klein- und Kleinstkindern bewußt durch leichtes Klopfen auf dessen Rückenpartien herbeigeführt. Stellt sich der Erfolg in Form eines Bäuerchens ein, kommentieren das die mit der Aufzucht beauftragten Erwachsenen mit dem verfügbar dämlichsten Auswahlwortschatz der Zustimmung.
Beschlossen und abgerundet wird die Rülps-Palette vom aggressiven Rülpsen. Hier werden über die mehr oder minder ausgeprägte Fähigkeit zur absichtlichen Lautbildung aus der Tiefe des Rachenraumes hierarchische Festlegungen getroffen, die fraglos im Trinkergruppenverhalten fußen und auf das unmittelbar bevorstehende Herauskehren anderer im Gruppenkontext erheblich scheinender Fähigkeiten schließen lassen. Anwendungsbereiche finden sich etwa vor der Trinkhalle, im Biergarten, beim Männertag oder beim kollektiven Fernsehempfang. Eine Sonderform, das sog. Wett-Rülpsen, soll umworbenen weiblichen Biertrinkpartnern Paarungsbereitschaft, mindestens aber den Willen zum gemeinsamen Ausschlafen des Rausches signalisieren. Hierbei beobachten wir jedoch meist ein jähes Umschlagen der imponierenden in die desintegrierende Wirkung.
Aber so ist nun mal der Welten Lauf. Michael Rudolf
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