: „So etwas ist barbarisch“
■ Französische Flüchtlingsorganisationen sind entsetzt, daß „Mehmet“ abgeschoben werden soll
Paris (taz) – „Abschiebung? Ein Jugendlicher unter 18?“ Schon die Frage löst in JuristInnenkreisen ungläubige Reaktionen aus. Das Gesetz schließt Abschiebungen von Minderjährigen ausdrücklich aus. Für schieres Entsetzen aber sorgt die Ausdehnung einer Strafe auf die Eltern des Jugendlichen. „So etwas ist barbarisch“, sagt Fodé Sylla, Chef von SOS-Racisme, klipp und klar. „Das ist eine völlig unzulässige Dreifachstrafe“, erklärt der Vorsitzende von MRAP, der zweiten großen französischen Antirassismusorganisation, Mouloud Aounit.
Neben den juristischen Aspekten der geplanten Sippenabschiebung aus Bayern zeigen sich französische JuristInnen beunruhigt über deren mögliche politische Folgen in und außerhalb Deutschlands. „In Frankreich gäbe es einen Aufschrei, wenn man das Recht auf diese Art einem Wahlkampf opfern würde“, glaubt Aounit. Der Sprecher von SOS-Racisme, Sylla, erinnert daran, daß auch Bayern „eine Verantwortung in Europa“ habe, und empfiehlt: „Deutschland täte gut daran, endlich sein Blutrecht abzuschaffen.“
In Frankreich geborene Jugendliche haben, sofern sie aufgrund ihrer Beziehungen zu ehemaligen Kolonien nicht ohnehin schon von Geburt an Franzosen sind, im Alter von 18 Jahren Anspruch auf die französische Staatsangehörigkeit. Die Staatsangehörigkeit der Eltern und deren rechtlicher Status in Frankreich spielen dabei keine Rolle. Dieses republikanische „ius solis“ (Bodenrecht) steht in krassem Gegensatz zu dem deutschen „ius sanguinis“ (Blutrecht), das den Anspruch auf die Staatsangehörigkeit ethnisch begründet.
Gänzlich ausgeschlossen sind Abschiebungen von Minderjährigen aus Frankreich trotzdem nicht. Gerade in den vergangenen Wochen zeigten sich MenschenrechtlerInnen beunruhigt, weil im Land geborene Minderjährige ihren abgeschobenen Eltern ins Ausland folgen mußten. Auch das Phänomen der „Doppelstrafe“, wonach rechtskräftig verurteilte Straftäteter nach dem Absitzen einer Gefängnisstrafe zusätzlich abgeschoben werden, ist in Frankreich bekannt.
Gerade in der vergangenen Woche hat die Europäische Menschenrechtskommission Paris deswegen verurteilt. Dorothea Hahn
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