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So abwesend

■ Seltsames Theater: „Andy Warhol“ bei den Jungen Hunden auf Kampnagel

Es ist der Silvesterabend 1999. Bald beginnt ein neues, ein jungfräuliches Jahrtausend. Was alles passieren könnte! Alles könnte passieren. Beispielsweise könnte ein Wunder geschehen. Oder die Wiederauferstehung. Oder Sylvester Stallone könnte schwul werden. Was gegenwärtig tatsächlich passiert: Andy Warhol geleitet uns durch seine Talk-Show und redet – wie Talk-Master das eben tun – mit seinen Gästen, mit Marilyn Monroe, Elvis Presley, John F. Kennedy u.v.a. Was vorher passiert ist: Andy Warhol ist nicht gestorben. Oder vielleicht doch? Wir sind uns nicht ganz sicher.

Auf dem kürzlich angelaufenen Festival Junge Hunde auf Kampnagel kann es derzeit zu merkwürdigen Déjà-vu-Effekten kommen. Denn der Schauspieler Claus Beck-Nielsen von der Hannoveraner Freien Gruppe Commedia Futura sieht dem verstorbenen Künstler Andy Warhol auf den ersten Blick erstaunlich ähnlich. Nun gut, eine zottelige weiße Perücke kann sich jeder aufsetzen, aber dieser abwesende Blick, diese Nase, diese blasse Haut . .  In Warhols Universum war alles reproduzierbar. Andy Warhol soll, so geht das Gerücht, gelegentlich gar nicht der echte Andy Warhol gewesen sein, sondern ein Doppelgänger mit Perücke. Wäre also Claus Beck-Nielsen ein so echter Andy Warhol, wie es der manchmal selber war? Nicht auszudenken.

Auf jeden Fall spielt er Andy Warhol in dem gleichnamigen (und von Becker-Nielsen zusammen mit dem Regisseur Rolf Heim entwickelten) Theaterstück, das am Mittwoch auf Kampnagel Premiere hatte. Fernsehschirme stehen auf der Bühne, in ihnen schauen mythische Figuren der vergangenen Jahrzehnte vorbei, und Andy gibt den Filmausschnitten lippensynchron eine neue Stimme. In der berühmten Fernsehdiskussion mit Kennedy läßt er Richard Nixon sehr dumpf erscheinen, Muhammed Ali zeigt er großmäulig und Neil Armstrong in seinem Mondanzug unbeholfen. Lustige Klischees. Allmählich schält sich zudem in monologischen Szenen eine Biografie heraus: Wie Andy Warhol entdeckt wurde, seine frühen Bilder, die Factory, das Attentat. Außerdem diskutiert Andy mit seinem Tonband und spielt einmal in der Pose Lou Reeds auf der Gitarre sehr schön „I'm Waiting For My Man“.

Das alles hört sich recht launig an und ist es teilweise auch. Nur daß Warhol so abwesend, so gelangweilt aussieht. Vielleicht ist er selbst angeödet von den faden Witzchen, die er treibt mit den Ikonen und Heroen einer längst vergangenen Zeit. Vielleicht ist er sterbensmüde. Vielleicht ist er auch doch gestorben und sieht vom Grab heraus zurück auf die 50er, die 60er, die 70er Jahre, die er zu einem gut Teil mitprägte. Zwischendurch ist auch immer mal wieder vom Warten, von einem gewissen Baum, einmal gar von Godot, ein anderes Mal von Schachtel 3, Spule 5 die Rede. Warhol meets Beckett oder: Andy, das letzte Band. Sehr glamourös wirkt der Pop hier jedenfalls nicht mehr.

Und was passiert nun wirklich während der zwei Stunden, die im Laufe der Aufführung verstreichen? „Alles kann passieren, ein Wunder, die Wiederauferstehung. Sylvester Stallone wird schwul . . . Vielleicht passiert auch nichts. Es wäre das Verrückteste, das geschehen könnte. Überhaupt nichts. Wir würden uns langweilen.“ So fängt die Aufführung an, und so hört sie auf. Wir möchten der Aussage nicht unbedingt widersprechen, glauben aber anfügen zu sollen, daß wir ständig gespannt darauf waren, was als nächstes passiert – oder eben nicht passiert. Seltsames Theater, aber ganz bestimmt nicht schlecht.

Dirk Knipphals

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