Snooker-WM in Sheffield: Vorstöße in die Wüste
WM-Favorit Ronnie O’Sullivan provoziert die Billard-Welt. Der Engländer will nicht mehr in dunklen kalten britischen Hallen spielen.
Am grünen Tisch mit den vielen bunten Kugeln ist er der Großmeister. Wenn Ronnie O’Sullivan zum Queue greift, dann richtet sich die Aufmerksamkeit unwillkürlich auf den 48-Jährigen. So ist das auch bei der seit Samstag laufenden Snooker-WM. Experten und Fans fragen sich, ob der Träger des Ordens Officer of the British Empire seinen achten WM-Titel gewinnt.
Das wäre ein neuer Rekord in der an Rekorden ohnehin reichen Karriere des Weltranglistenersten. „Ich glaube immer noch, dass ich noch ein oder zwei Weltmeistertitel in mir habe“, sagt er. „Solange ich mich am Snookertisch jung fühle, ist das Alter nur eine Zahl.“ Vier, fünf Jahre wolle er die Konkurrenz noch ärgern. Doch O’Sullivan wäre nicht er selbst, wenn er ohne Aufsehen zum Tisch schritte. Auch diesmal sorgt er für Diskussionen im Vorfeld. Es geht um den Spielort der WM: das ikonische Crucible Theatre in Sheffield.
Seit 1977 wird in dieser Location das Hochamt des Snooker vollzogen. In die Arena passen zwar nicht einmal 1.000 Zuschauer. Die sind aber hautnah dran an den Stars der Szene, dem Belgier Luca Brecel, dem Briten Mark Selby oder dem Nordiren Mark Allen. Snooker im Crucible, das ist wie Pech und Schwefel. Das Crucible ist in der Tat ein Schmelztiegel, denn Veranstaltungsort und Sport sind miteinander fest verwachsen. Bis 2027 wird mindestens noch im Crucible Theatre die Snooker-WM ausgespielt, dann werden die Karten wohl neu gemischt – sehr zur Freude von Ronnie O’Sullivan, der lieber heute als morgen das Crucible verlassen würde, wie er nun andeutete.
„Das Crucible ist ein großartiger Ort, versteht mich nicht falsch“, erklärte O’Sullivan, „es hat eine großartige Geschichte, aber als Snooker-Spieler gedeiht man in der Umgebung, in der man spielt.“ Und in Sheffield fühlt sich O’Sullivan nur bedingt wohl: Es sei schwer, genügend Übungszeiten zu bekommen, Ort und Ambition passten nicht mehr zusammen, die WM verdiene etwas Größeres, Standesgemäßes.
Die Katze aus dem Sack
Ronnie O’Sullivan
Dann ließ der Mann, der in fünf Minuten und acht Sekunden das schnellste Maximum Break der Snooker-Geschichte gespielt hat, die Katze aus dem Sack: „Ich denke, Saudi-Arabien könnte dieses Turnier in den Griff bekommen, es am Schopf packen und in ein Wimbledon oder eine French Open des Snooker verwandeln, es wirklich zu einem Super-Event machen.“ Ronnie O’Sullivan ist also der nächste Sportstar, der den Saudis und ihrer radikalen Sportoffensive zuarbeitet.
Fußball, Golf, Handball, Boxen, Motorsport – überall wollen die Strategen aus Riad und Dschidda ganz vorn dabei sein. Im März veranstaltete Saudi-Arabien das erste World-Masters-of-Snooker-Event, das auch in der kommenden Saison ausgespielt wird. Unter der Woche kamen die besten Spieler zusammen, und dieser Traditionsbruch wurde forciert durch die Anzugordnung der Stars: Sie spielten im kurzärmligen Hemd; Fliege und Weste blieben im Koffer.
Mark Allen zeigte wie andere auch seine üppigen Arm-Tattoos, und plötzlich wirkten die Spieler nicht mehr wie distinguierte Präzisionsartisten, sondern wie Kneipenkumpels, die sich zum Bälleschieben (und Abkassieren) in der Wüste treffen. Passend dazu trägt Ronnie O’Sullivan seit geraumer Zeit auch noch Turnschuhe am Snookertisch. Das habe zwar eine medizinische Indikation, bleibt aber in den Augen vieler Briten degoutant.
Wettern gegen Spielstätten
Im August findet nun erstmals ein Ranglistenturnier in Saudi-Arabien statt, bei dem es 2 Millionen Pfund zu holen gibt. Die Saudi Masters werden somit zum höchstdotierten Turnier außerhalb der WM. Das Crucible Theatre ist übrigens nicht die einzige Spielstätte, gegen die Ronnie O’Sullivan wettert. Der Alexandra Palace in London, vielen Darts-Fans als Ally Pally hinlänglich bekannt, kommt in seiner Betrachtung sogar noch schlechter weg.
„Ich mag diesen Ort einfach nicht. Ich finde ihn ekelhaft“, sagte er über den Spielort der UK Masters. „Überall ist es schmutzig. Es ist kalt, eiskalt, ich muss meinen Mantel überall tragen, um nicht zu erfrieren. Müll, Parkplätze, ehrlich gesagt, er macht mich einfach krank.“ Traditionalisten verstört Ronnie O’Sullivan, der am Mittwoch gegen Jackson Page ins WM-Turnier von Sheffield einsteigt, damit natürlich aber auch einen Takt vorgibt, nach dem der Sport in den kommenden zwei Jahrzehnten zu marschieren scheint.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!