Slawjansk und der Bürgermeister: Kurort mit Maschinenpistolen
Ein Afghanistan-Veteran und Seifenfabrikant steht an der Spitze von Milizen, die das ukrainische Slawjansk im Griff haben. Manche wollen vor ihm fliehen.
SLAWJANSK taz | „Viele hier sind für Russland, aber auch viele für die Ukraine“, sagt Olga, eine 32-jährige Frisörin aus Slawjansk. Doch jetzt würden diejenigen immer mehr, denen das schon egal sei. Hauptsache, dieser Wahnsinn sei bald vorbei. „Früher war Slawjansk so angenehm und sauber. Jetzt ist es hier nur noch grauenhaft“, sagt sie.
Das ostukrainische Slawjansk mit seinen rund 120.000 Einwohnern liegt rund 90 Kilometer entfernt von der Großstadt Donezk. Mit drei Eisenbahnlinien und drei Schnellstraßen ist der Ort ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in der Region Donbas. Vor drei Jahren erhielt die Stadt, die traditionell für Heilbehandlungen mit Moor bekannt ist, den Status eines „Kurorts von landesweiter Bedeutung“.
Von Moorbehandlungen ist derzeit weniger die Rede. Am 13. April besetzten prorussische bewaffnete Aktivisten Gebäude der Polizei und des Geheimdienstes. Einen Tag später ließ Wjatscheslaw Ponomarjow die Bürgermeisterin Nelia Schtepa festsetzen und erklärte sich selbst zum Stadtoberhaupt. Am gleichen Tag forderte ein Einsatz ukrainischer Spezialeinheiten mehrere Tote. Daraufhin bat Ponomarjow Russlands Präsident Putin um Hilfe.
Ponomarjow behauptet, in Slawjansk geboren zu sein, doch offensichtlich kannten ihn dort bis zu seiner „Machtübernahme“ nur wenige. Der 42-Jährige, dem zwei Finger fehlen, war als Angehöriger der Roten Armee in Afghanistan im Einsatz und diente später in der Nordflotte. Zuletzt war er Besitzer einer Seifenfabrik.
Alles andere als zimperlich
Angeblich befehligt er 2.500 Mann aus der Region, deren Identität jedoch unklar ist. Vor einigen Tagen sagte Ponomarjow, dass unter den bewaffneten Aktivisten auch Kriegsveteranen aus Russland, der Republik Moldau und Kasachstan seien.
Der „Volksbürgermeister“ und seine Handlanger sind im Umgang mit ihren Gegnern, den „Faschisten“, alles andere als zimperlich. Sie machen Jagd auf ukrainischsprachige Bewohner der Stadt, zwei Journalisten – darunter ein US-Amerikaner – wurden vorübergehend festgenommen. Am vergangenen Freitag nahmen die Separatisten Militärbeobachter der OSZE in Geiselhaft. Die „Kriegsgefangenen“, die er genüsslich vorführte, will er nur im Austausch gegen „eigene Leute“ freilassen.
Am Montag wurde in Slawjansk nach Informationen des ukrainischen Nachrichtenportals Ukrainska Pravda eine Leiche gefunden, die Folterspuren aufwies. Dies ist, nach dem Mord an einem Abgeordneten sowie einem Studenten, der dritte derartige Fall in kurzer Zeit.
Olga sitzt auf gepackten Koffern. Sollte sich die Lage nicht bald beruhigen, wollen sie und ihre Familie zu ihrer Mutter nach Pawlograd ziehen.
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