Slavoj Zizek über Disziplin: "Alles ist Fake"
Die Linke sei zu oft Opfer liberaler Erpressung und braucht dringend Disziplin, meint Slavoj Zizek. Im Interview spricht er über Coca Cola, Rammstein und das Leiden der Kubaner.
taz: Herr Zizek, wie holen Sie den Kommunismus aus der Abseitsfalle?
Slavoj Zizek: Die einzige Möglichkeit liegt darin, die Regeln der letzten 20 Jahre zu verändern. Der liberale Kapitalismus kann die ökonomischen und ökologischen Probleme nicht lösen, ohne sich selbst zu verleugnen. Der Kommunismus des 20. Jahrhunderts aber auch nicht.
1949 geboren. Philosoph und Psychoanalytiker, großer Popularisierer der Theorien Jacques Lacans. Zuletzt auf Deutsch erschienen: "Auf verlorenem Posten" (Suhrkamp, 2009). Neben Zizek diskutieren unter anderem Antonio Negri, Alain Badiou und Cécile Winter beim Volksbühnen-Kongress "Idee des Kommunismus", der heute beginnt.
Sie fordern, die Linke müsse Disziplin, Ordnung und Opfer bringen und potenzielle Straftäter überwachen. Das klingt nicht gerade nach neuen Regeln für den Kommunismus.
Die Linke ist zu oft Opfer liberaler Erpressung. Warum sollten Solidarität, Disziplin, Kampfbereitschaft und Opfer ausschließlich Werte der extremen Rechten sein? Das wahre Fiasko der heutigen Linken ist, dass sie keine Alternative anbieten kann. Ihr Credo lautet entweder Antikapitalismus oder Neokeynesianismus. In den letzten zwanzig Jahren war der Kapitalismus revolutionärer als die Linke. Der Inhalt der Linken ist nur noch, gegen den Staat zu sein.
Sie propagieren Kommunismus jenseits von Staat und Markt. Andererseits träumen Sie von der Wiederbelebung des jakobinischen Terrors und Lenins Ideen. Hängen Sie am Modell der Souveränität?
Ich will Lenin auf kierkegaardsche Weise lesen. Das bedeutet, nicht zu wiederholen, was Lenin getan, sondern was er gesagt hat. Lenin zu wiederholen, bedeutet endlich zuzugeben, dass Lenin tot ist. Die Sowjets waren die linke Utopie im 20. Jahrhundert. Ich bin gegen die gegenwärtige Form von Staat. Aber es braucht einen globalen Organismus aus Disziplin und Organisierung.
Wegen solcher Positionen wird Ihnen oft totalitäres Denken vorgeworfen.
Meine beste Verteidigung stammt von meinem Freund Fredric Jameson. Der sagt: Was auch immer deine Theorie will, mit deinen unverschämten Witzen würdest du in einem totalitären Staat der Erste sein, der erschossen wird. Überhaupt, wissen Sie, warum der kubanische leader Fidel Castro heißt? Weil ganz Cuba "fidelity to castration" ist, also der Kastration ergeben. Die Cubaner feiern ihre Armut als Zeichen der Authentizität ihrer Revolution. Psychoanalytisch gesprochen ist das Kastration.
Den Reichtum der Coca-Cola indes kritisieren Sie als künstliches Versprechen des Kapitalismus. Ist denn die einfache Bitte "Ohne Zucker, bitte!" schon eine antikapitalistische Haltung?
Nein, die richtige Antwort wäre: Ich will einen neuen Zucker. Wir wollen ein neues Produkt, ohne den Preis dafür zu bezahlen. Unser Dilemma besteht in Cola light, Bier ohne Alkohol und Keksen ohne Fett: Alles ist Fake. Die Forderung muss lauten, das Reale zu ändern, einen neuen Zucker zu erfinden. Das ist auch eine wichtige Lektion für die Politik: Es ist falsch, zu glauben, dass heute eine liberale, multikulturelle Gesellschaft gegen eine fundamentalistische kämpft. Beide sind Teil einer globalen kapitalistischen Entwicklung.
Der Titel Ihres Vortrags am Wochenende lautet: "To begin from the beginning". Das klingt, als würden Sie eine Position außerhalb der sozialen Widersprüche einnehmen.
Was meinen Sie mit außerhalb?
Das ist doch Ihre Kritik an Toni Negri?
Negri wiederholt nur diesen marxistischen Optimismus, dass der Kapitalismus aus sich selbst heraus zum Kommunismus kommt. Aber wir müssen uns mit den Problemen des liberalen Kapitalismus beschäftigen, den Fragen nach dem Gemeinsamen: Ökologie, Biogenetik, intellektuelles Eigentum und öffentlicher Raum.
Aber genau das ist doch Negris Thema.
Ich halte seine Theorie für falsch, dass der Nationalstaat verschwindet. Im Gegenteil, er wird stärker.
Also was denn jetzt? Steht die Revolution nun bevor, wie ein über zehn Jahre alter Buchtitel von Ihnen verspricht, oder …
Hier bin ich trickreich wie ein Wiesel. Es geht darum, was Lenin getan hat. Er ging in die Schweiz und begann, Hegel zu lesen. Das ist es, wovon wir heute mehr brauchen. Die elfte Feuerbachthese gilt es heute umzudrehen: Im 20. Jahrhundert haben wir ein bisschen zu schnell versucht, die Welt zu ändern. Heute sollten wir sie ein wenig mehr interpretieren. Ich habe keinen Plan für eine neue Revolution. Ich weiß nur, dass es nicht die Barrikaden des 20. Jahrhunderts sein werden.
Wenn Sie keine konkreten Vorschläge für die Revolution haben, werden Sie doch mal konkret in Ihrer Kritik am Bestehenden.
Die Sozialdemokratie in Europa wird geschwächt. Die Zukunft besteht in liberalem Kapitalismus und fundamentalistischer, nationalistischer, gegen Immigranten gerichteter Reaktion. Berlusconi könnte das Gesicht der Zukunft sein. Er ist eine Art Groucho Marx an der Macht. Es könnte ein neuer Autoritarismus entstehen, in dem lediglich die kleinen Freiheiten der Sexualität und des Konsums bestehen. Und die Finanzkrise ist nicht der Anfang vom Ende, sondern nach Naomi Klein eine Schocktherapie, die den Kapitalismus stützt.
Sie verweisen auf Chávez in Venezuela als Beispiel für gelungene emanzipatorische Bewegungen. Allerdings ist allein die Freundschaft mit Ahmadinedschad kein Nachweis emanzipatorischer Politik.
Chávez war der Erste, der all jene in den Favelas und Slums integriert hat. Später hat er verloren. Den Iran, wo ich verboten bin, halte ich nicht für meinen Freund, nur weil er antiamerikanisch oder antikolonialistisch ist. Wir kommen in eine multizentrische Ära, was bedeutet, dass die USA nicht immer der böse Bube sind. Wenn die Linke sich nicht neu erfindet, wird die dschihadistische Bewegung unsere Zukunft sein. Deren Ziel aber ist nicht die Abschaffung des Kapitalismus, sondern religiöser Fundamentalismus.
Vieles von Ihnen ist Provokation, aber …
Warten Sie! Was heißt Provokation? Ich will nicht provozieren. Ich stehe ganz hinter dem, was ich sage.
Auch dahinter, dass Hitler nicht radikal genug war?
Dieser Satz wurde in der deutschen Ausgabe von "Auf verlorenem Posten" zensiert. Sie müssen verstehen, wie das gemeint ist. "Hitler war nicht radikal genug" meint, dass Gandhi radikaler war.
Aber dann ist Ihr Begriff von Radikalität völlig unspezifisch.
Wirklich fundamentale Gewalt bedeutet waghalsig zu sein und grundlegende soziale Beziehungen zu verändern. Der Faschismus hat das nicht getan. Er hat Millionen Tote produziert, um den Kapitalismus zu retten. Ich habe diesen Satz als präzise politische Intervention geschrieben. Ich will gegen die weltweit verbreitete Meinung vorgehen, dass Hitler und die Faschisten gut organisiert, diszipliniert und mutig waren. Nein, Hitler war ein Feigling.
Oft werden Sie für einen guten Entertainer gehalten, der inhaltlich ein Scharlatan ist. Stört Sie das?
Ich mag es, die Leute zum Denken zu bringen, und da helfen manchmal auch Witze. Aber ich stimme Ihnen zu, vielleicht bin ich zu weit gegangen. Die Vorwürfe gegen mich werden härter. Mittlerweile bezichtigt man mich des Antisemitismus wegen dieser Hitler-Stelle. Das verschlägt mir den Atem. Das ist doch eine Position, die ich kritisiere. Trotzdem glaube ich, dass ich nicht ganz falsch liege, denn in der ägyptischen Zeitung Al-Ahram wurde mein Buch als prozionistisch kritisiert. Aber ich gebe Ihnen recht. Ich hab es satt, und deswegen kehre ich jetzt zurück zur reinen Theorie. Ich schreibe gerade an einem dicken, fetten Buch über Hegel und habe schon 700 Seiten.
Auf der letzten Kommunismus-Konferenz wollten Sie die "Internationale" singen. Was singen Sie dieses Mal?
Das war völliger Blödsinn. Rammstein passt viel besser. Die sind absolut fortschrittlich.
Wie kommen Sie denn jetzt darauf?
So wie Charlie Chaplin in "Der große Diktator" Hitler zwischen Gebrabbel nur "Apfelstrudel" und "Wiener Schnitzel" sagen lässt, so sabotiert Rammstein auf obszöne Weise die faschistische Utopie. Ich kenne nur zwei Stücke von Rammstein. Als Theoretiker hat man das Recht, über Dinge zu schreiben, die man nicht kennt. Ich glaube an die absolute Theorie.
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