Skateboard-Legende wird Unidozent: Titus, die Rampenlichtgestalt
Titus Dittmann ist das Aushängeschild einer Szene, die keine Aushängeschilder mag. Jetzt bringt er Skateboarden an die Hochschule.
MÜNSTER/HAMBURG taz | Ein 66er Ford Mustang, schwarz mit weißen Rennstreifen, fährt auf den Parkplatz des Skaters Palace, einer Skateboardhalle in Münster. Hinter dem Steuer sitzt Eberhard Dittmann. Ihm gehört diese Skatehalle, sie ist aber nur ein kleiner Teil in seinem Familienbetrieb, der seit drei Jahrzehnten das deutsche Skateboardgeschäft bestimmt.
Die Presse nennt Dittmann "Vater des Deutschen Skateboarding", manchmal auch den "Skateboardpapst". Wie ihn sonst jeder nennt, steht in roter Graffitischrift auf der Motorhaube seines Sportwagens: "Titus."
Von Weitem sieht man ihm nicht an, dass er schon 62 Jahre alt ist. Er trägt blaue Skatesneaker, ein bunt kariertes Hemd hängt offen über seinem T-Shirt. Nur wenn man näher kommt, kann man an den Falten im Gesicht erahnen, dass er die blaue Mütze nicht nur aus modischen Gründen trägt. Seine Haare sind in den letzten Jahren immer lichter geworden.
Ein Lehrauftrag, den Titus in diesem Wintersemester für die Uni Münster übernommen hat, führt ihn heute zum Skaters Palace. Er unterrichtet angehende Sportlehrer im Skateboarding, damit die es irgendwann mal ihren Schülern beibringen können. "Wir sind Pioniere für ganz Europa", sagt Titus, der gern in Superlativen spricht. Seines Wissens habe noch niemand zuvor an einer Hochschule Skateboarden gelehrt.
Die meisten Menschen kennen Titus wegen des gleichnamigen Katalogs, aus dem fast alle deutschen Skateboarder schon mal etwas bestellt haben dürften. Die 24/7-Distribution, die Produkte angesagter Skateboardfirmen in Deutschland vertreibt, gehört auch zum Familienunternehmen. Den Titus-Schriftzug hat sich Dittmann nicht nur auf die Motorhaube seines Mustangs schreiben lassen, er prangt auch über 43 Skateshops, die sich auf deutsche Fußgängerzonen von Rosenheim bis Hamburg verteilen.
"Heute bin ich einer von vielen", sagt Titus. Es gab Zeiten, da hielt er einen Marktanteil von 95 Prozent am deutschen Skateboardgeschäft. Ende der Siebziger Jahre sah er zum ersten Mal einen Skateboarder. Damals war er 29 Jahre alt und Lehrer an einem Gymnasium in Westfalen. Bald schmuggelte er für seine Schüler Skateboards aus Kalifornien am Zoll vorbei, ein paar Jahre später kontrollierte er den deutschen Markt.
Titus gilt vielen als der Inbegriff des Kommerzes
Kommerz ist im Skateboarding wie in jeder Jugendkultur ein Reizwort. Und in der Skateboardszene gilt Titus vielen als der Inbegriff des Kommerzes. Vor ein paar Jahren bildete sich in Düsseldorf und Umgebung ein loser Zusammenschluss von Skateboardern, die sich in Anspielung auf Titus und ihren eigenen Alkoholkonsum "Team Intus" nennen. "Wenn man in uns das Gegenteil von Titus sieht, macht uns das stolz", sagt Lennart Efsing von der Intus-Crew. Titus sei für ihn eine Geschichte wie Karstadt. In vielen Städten machten dessen Läden den Skateshops das Leben schwer, die aus der lokalen Szenen entstanden sind. "Das ist so, als ob ich ein kleines Café hätte und daneben macht ein Starbucks auf."
"Titus hat ein schlechtes Image unter Skatern", sagt Arne Fiehl. Bis zur Einstellung 2009 war er neun Jahre Chefredakteur des deutschlandweit erscheinenden Magazins Boardstein und kennt daher fast jeden persönlich, der in der deutschen Skateboardszene eine Rolle spielt. "Es ist garantiert ein Eigentor, dass Titus überall seinen Namen draufschreibt", sagt er. "Titus House Brand, Team Titus, Titus TV und so weiter."
Die Welt der Nicht-Skateboarder dagegen hat Titus schon einige Titel verliehen. 2001 etwa kürte ihn die Unternehmensberatung Ernst & Young zusammen mit dem Manager-Magazin zum Handels-Entrepreneur des Jahres, Jürgen Rüttgers verlieh ihm 2009 den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Man kann diese Auszeichnungen alle auf der Rückseite von Titus' Visitenkarte nachlesen. Er sagt, er lege seine Karte immer "aus Versehen" falsch herum, weil man in unserer Gesellschaft mit Titeln ernster genommen würde. Titus Geltungsdrang führte die selbsternannte "Rampensau" 2006 auch in die RTL2-Reality-Sendung "Das Experiment".
Dreißig Tage lang kehrte er in den Lehrerberuf zurück und versuchte, eine renitente Hauptschulklasse zu unterrichten. Trotz betont jugendlicher Skateboardklamotten schienen ihm die Schüler allerdings nur wenig zuzuhören. Titus nennt die Aktion heute einen "PR-Gau".
Auch auf dem Höhepunkt seines wirtschaftlichen Erfolgs kam Titus sein großes Ego in die Quere. Im Jahr 2002 beschäftigte er 500 Mitarbeiter, sein Unternehmen erwirtschaftete einen Jahresumsatz von 75 Millionen Euro. Doch als zwei damalige Partner beschlossen, an die Börse zu gehen, wollte Titus dort auch unbedingt hin. Die Marktlage ließ das aber nicht zu, und die Investoren, die Titus für den Börsengang an Bord geholt hatte, drängten ihn aus dem operativen Geschäft. Als es dem Unternehmen immer schlechter ging, nahm Titus das ganze Familienvermögen in die Hand und kaufte das Geschäft zurück. 2007 schrieb es erstmals wieder schwarze Zahlen.
Titus will eine Partnerschaft mit der afghanischen Uni Herat aufbauen
Das operative Geschäft hat Titus dann schließlich seinem Sohn und Stammhalter übergeben - Julius. Heute kümmert sich der Senior ausschließlich um die Arbeit seiner Stiftung skate-aid, die Skateparks in Afghanistan und Afrika baut. Titus spricht begeistert von den Projekten, davon, dass man damit Frieden stiften könne, weil unter Skateboardern weder Religion noch Hautfarbe zähle. Er selbst war mittlerweile fünf Mal in Afghanistan. Den Lehrauftrag an der Uni Münster, erzählt Titus, habe er angenommen, um als Teil der Universität eine Partnerschaft mit der afghanischen Uni Herat aufbauen zu können.
Auch wenn es nur Mittel zum Zweck ist, muss Titus nun zunächst versuchen, aus Lehramtsstudenten, die mit Anfang, Mitte zwanzig schon recht alt sind für den ersten Tag auf dem Brett, passable Skateboarder zu machen. Bevor Anschieben, Rollen und Lenken geübt werden, erzählt Titus im theoretischen Unterricht, wie sich einst kalifornische Surfer die Zeit an wellenarmen Tagen vertrieben, indem sie Rollschuhrollen unter Holzbretter schraubten und wie sie später trockengelegte Swimmingpools eroberten.
Damals war Skateboarden noch mit einem Charme von Rebellentum behaftet. In den heutigen Tagen, in denen "Skater" zu einem Kleidungsstil geworden ist und auch gut gekleidete Großstädter mit dem Longboard zum Bäcker rollen, ist Skateboarding im Mainstream angekommen.
Nicht wenige in der Szene vermissen das Skate-and-Destroy-Feeling vergangener Jahrzehnte. Ex-Boardstein-Chefredakteur Arne Fiehl ist so einer. Die Haut des 36-Jährigen ist mit Tätowierungen gepflastert, an den Wänden seines WG-Zimmers hängen Bretter verschiedener Epochen. Er ist ein typischer Vertreter einer Szene, die sich seit Urzeiten streitet, ob Skateboarden überhaupt ein Sport ist oder doch eher ein Lifestyle.
Es gibt keine Landesverbände. Der Puls der Szene schlägt auf der Straße. Skateboarden ist nicht nur deshalb nicht olympisch, weil viele Top-Skateboarder auch ohne leistungssteigernde Absicht den Dopingtest nicht bestehen würden, sondern auch weil Titel und Ränge im Skateboarding noch nie viel gezählt haben. Stattdessen fordern Firmen mit Totenkopflogos "Keep Skateboarding Illegal".
Kein Wunder also, dass sich viele in der Szene nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass Titus jetzt Unterricht im Skateboarden gibt. "Stell dir vor, Kinder würden vor dem Schulsport denken: ,Oh nein, heute müssen wir wieder Skateboard fahren!' Das wäre das Schlimmste, was Skateboarding passieren könnte", sagt Arne Fiehl.
Doch schon lange bevor Titus das Skateboarden an die Uni brachte, reagierten alteingesessene Hardcore-Skateboarder sehr konservativ auf neue Entwicklungen. Seit Jahren erzählt man sich in Skateparks einen Witz: Wie viele Skateboarder braucht man heute, um eine Glühbirne einzuschrauben? Drei. Einen, der sie einschraubt, einen, der ihn dabei filmt und einen, der die Szene fotografiert. Und wie viele Old-School-Skateboarder braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben? Auch drei. Einen, der sie einschraubt, und zwei, die sich gegenseitig darin bestätigen, dass die alte Birne viel schöner war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe