Skasänger aus Kiew über russische Kultur: „Was hat Puschkin für uns getan?“
Auf den Straßen Kiews spricht man Ukrainisch: Mad-Heads-Sänger Vadim Krasnookiy über schlechtes Gewissen auf Konzerten und putinhörige Kollegen.
taz: Herr Krasnookiy, wie ist die Lage in Kiew?
Vadim Krasnookiy: Ich wohne in einem Bezirk, der bisher nicht von Bomben getroffen wurde, aber auch wenn es momentan ruhig ist, gab es immer wieder Fliegeralarm. Eine große Zahl von Raketen wurde auf andere Region und Städte abgefeuert. Die Lage im Land bleibt angespannt.
Hatten Sie überhaupt Muße, um Musik zu machen?
Für mich selbst ja. Mit der Band viel weniger, vor Kurzem spielten wir ein Benefizkonzert für die ukrainische Armee in Rivne. Mit einigen anderen Bands. Das ist der einzige Auftritt, den wir seit Beginn des Krieges hatten. Aber wir planen weitere Veranstaltungen dieser Art.
Kamen viele Menschen zum Konzert in Rivne?
Mad Heads wurde 1995 in Kiew als englischsprachige Psychobilly-Band gegründet. Nach ein paar Jahren kam eine Bläsertruppe hinzu und die Musiker erlebten mit einer explosiven Mischung aus ukrainischsprachigem Ska, Folk, Reggae und Rock den Durchbruch in ihrer Heimat. Die Band um Gitarrist und Sänger Vadim Krasnookiy unterstützte sowohl die Orange Revolution 2004 als auch den Euromaidan 2014. Mad Heads ist nach wie vor eine der beliebtesten Rockbands der Ukraine.
Nein, es war enttäuschend. Die Organisation hatte nicht viel Werbung dafür gemacht. Wir stellen fest, dass die Leute sich erneut für Musik begeistern können. In den ersten Monaten des Krieges bestand hingegen kein Interesse. Unterhaltung wurde als unangemessen empfunden. Inzwischen sind alle wirklich müde von allem. Die Menschen müssen neue Energie tanken. Es ist unmöglich, immer nur die schrecklichen Nachrichten zu verfolgen. Das Problem ist natürlich, dass die Menschen ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich unter den gegenwärtigen Bedingungen vergnügen. Die Kombination aus gutem Zweck und Konzerten ist daher ideal. Es ist auch eine Art von Therapie.
Ihr letztes Album ist bereits 2015 veröffentlicht worden. Blieb keine Zeit für Neues?
Ab 2016 war ich viel in Kanada unterwegs. Dort habe ich an englischsprachigem Material gearbeitet. Dann kam die Pandemie, für die in Kanada strenge Regeln eingeführt wurden. Das Kulturleben kam zum Erliegen. 2020 ging ich zurück in die Ukraine. Das Coronavirus hat mich dazu gebracht, mein Leben zu überdenken. Seit meiner Rückkehr habe ich viele neue Lieder auf Ukrainisch hier getextet, aber wir sind noch nicht dazu gekommen, sie aufzunehmen.
Ich arbeite nebenbei als Schauspieler und habe in einer Komödie mitgewirkt, die leider noch nicht ganz fertig ist. Das ist etwas für die Nachkriegszeit, es hat ein komödiantisches Szenario, aber es ist viel zu unbeschwert für die Kriegszeit. Jetzt brauchen wir andere Filme.
In Moskau ist die Ska- und Psychobillyszene sehr rechtslastig. Wie ist sie in Kiew?
Die Psychobillyszene in Kiew hat ihren Ursprung bei unserer Band. Wir haben nichts mit rechten Ideologien zu tun. Bei den Bands, die nach uns kamen, ist mir so etwas auch nicht aufgefallen. Das Gleiche gilt für Ska. Es gab natürlich schon andere Bands vor uns, aber die waren sehr Underground. Wir fingen an, auf Ukrainisch zu singen und verwendeten viel Folklore.
Deshalb ist es auch kein reiner Ska, sondern eine Mischung aus Reggae, Ska, Rockabilly und Punk. Wir haben der Musik unseren eigenen Stempel aufgedrückt und sind damit zu einer der beliebtesten Rockbands im Land geworden. In Russland hatten wir viele Bekannte in der Szene. Die in Moskau waren tatsächlich sehr rechtslastig. Auf den ersten Blick waren es nette Jungs, bis sie anfingen, über Politik zu reden.
Haben Sie noch Kontakt zu russischen Musikern?
Wir hatten viele Kontakte in St. Petersburg, der Wiege des Rock ’n’ Roll im Osten. Als Russland 2014 die Krim annektierte und der Krieg im Osten begann, war es plötzlich unmöglich, normal mit ihnen zu reden. Ich versuchte zunächst zu erklären, was ich selbst gesehen hatte. Aber obwohl ich an der Front war, in Städten, die gerade „befreit“ worden waren, und dort mit den Bewohnern gesprochen hatte, wollten mir die Russen nicht glauben. Ich weiß, wer gegen wen kämpft und warum. Aber diese Freunde in St. Petersburg hörten nur auf Putins Propaganda, nicht auf mich.
Gibt es viele prorussische Einwohner in Kiew?
Natürlich gibt es verschiedene Meinungen. Es gibt zweifelsohne Provokateure. All diese Geldsummen aus dem Kreml sind irgendwohin in die Ukraine geflossen. An prorussische Parteien etwa. Ich selbst bin russischsprachig aufgewachsen und bin erst später im Leben aus prinzipiellen Gründen zum Ukrainischen gewechselt. In Mariupol und Charkiw war die Zahl der Russischsprachigen sehr hoch. Viele Menschen dort standen der sogenannten russischen Welt offen gegenüber, zum Teil aufgrund der Propaganda und ihrer sowjetischen Erziehung.
Ein Bekannter aus Mariupol erzählte mir von seinen Eltern, die trotz des drohenden Krieges in der Stadt bleiben wollten. Sie sagten zu ihrem Sohn: Was könne ihnen schon passieren, sie seien doch russischsprachig. Die glaubten, die Russen würden nur in der Westukraine zuschlagen und werden die „Banderovtsy“ (russische Bezeichnung für ukrainische Nationalisten in Anlehnung an den ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera, die Red.) attackieren. Schrecklich, was in Mariupol geschehen ist. Nach allem, was die Russen dort getan haben, ist das Bewusstsein der Menschen völlig auf den Kopf gestellt. Viele Menschen sprechen jetzt aus Prinzip Ukrainisch. Manche sind allergisch gegen alles Russische, gegen Musik, Fernsehen, gegen alles.
Darf man in den Straßen von Kiew noch Russisch sprechen?
Im Prinzip ja, es gibt viele Flüchtlinge aus den russischsprachigen Städten. Natürlich ist es für jemanden, der noch nie Ukrainisch gesprochen hat, ziemlich schwierig, die Sprache an einem Tag zu lernen, selbst wenn er oder sie die Sprache gut versteht. Aber alle Ausdrucksformen der russischen Kultur werden als sehr feindselig empfunden. Warum gibt es in Kiew eine Puschkinstraße? Was hat Puschkin für die Ukraine getan?
Gegenfrage, was hat Puschkin Schlimmes der Ukraine getan?
Stimmt, er hat nichts getan. Straßen werden nach Menschen benannt, die etwas für eine Stadt oder ein Land bedeuten. Früher hatten wir Leninstraßen und andere Relikte der Sowjetära, sie wurden umbenannt. Jetzt sind wir bei allem angelangt, was in irgendeiner Weise mit der sogenannten russischen Welt zu tun hat. Das ist eine Tragödie, denn bis 2014 gab es in der Ukraine eine große Sympathie für alles Russische. Es gab nur sehr wenige Menschen, die wirklich radikal gegen Russland waren.
Die Annexion der Krim 2014 basierte aber auf Verrat und Hinterhältigkeit. Das Putin-Regime hat gezeigt, dass es aus kriminellen Elementen besteht. Dann kam die Erkenntnis, dass wir 300 Jahre eine Kolonie Russlands gewesen waren. Das Bewusstsein, dass sie hierher kommen und uns alle töten, wenn wir nicht auf sie hören. Es stellt sich die Frage: Welchen Wert hat die russische Kultur, wenn Menschen, die mit ihr aufgewachsen sind, Soldaten schicken, um ihre Nachbarn zu töten? Wenn diese Haltung das Ergebnis der russischen Kultur und der entsprechenden Erziehung ist, dann stimmt mit dieser Kultur etwas ganz und gar nicht. Sogar mit Puschkin ist dann etwas nicht in Ordnung.
Ihr Song „Dubki“, der auf einem Volkslied basiert, ist super fröhlich. Russische Volkslieder sind meist traurig. Spiegelt dies auch den Mentalitätsunterschied wider?
Wir haben ein Album mit ukrainischen Volksliedern gemacht, das „Oekraienska“ heißt, abgeleitet von der Musikrichtung Ska, das zudem ‚etwas Ukrainisches‘ in unserer Sprache bedeutet. Ich habe dafür Lieder ausgewählt, die an sich schon sehr fröhlich sind. Damit haben wir einen Trend gesetzt. Aber die ukrainische Folklore bietet mehr als Fröhlichkeit. Wir haben Lieder für Partys, Hochzeiten und Feste ausgesucht, aber natürlich gibt es auch melancholische Lieder, über den Krieg, über den Kampf, über den Tod und unerwiderte Liebe. Es ist wie im richtigen Leben. Der aktuelle ukrainische Rock ist dagegen fast immer traurig. Mad Heads sind in dieser Hinsicht Außenseiter. Eigentlich sind unsere Songs zu lustig für die Gegenwart.
Wird der Satz „Die Ukraine ist vereint“ aus Ihrem Lied „Oekraina tse my“ („Wir sind die Ukraine“) von 2014 wie eine Bestätigung klingen?
Ich habe das Lied vor der russischen Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass geschrieben, als wir tatsächlich noch ein vereintes Land waren. Damals war es ein Versuch, meinen Landsleuten in einem Lied zu sagen, was uns eint. Jetzt gibt der Song Kraft und Unterstützung. Die Idee dahinter war, dass das Schicksal unseres Landes in unseren eigenen Händen liegt.
Aber letztlich ist es der Krieg, der die Ukrainer zu einer Einheit gemacht hat, die wir vorher nicht kannten. Eine Einheit, die uns die Kraft gibt, unsere Unabhängigkeit gemeinsam zu verteidigen. Alle sind darin vereint, von den Soldaten an der Front bis hin zu den Zivilisten, die im Hintergrund helfen. Natürlich gibt es auch Verräter und Menschen, die zu ihrem Vorteil den Krieg nutzen. Aber das haben wir 2014 schon gesehen. Jetzt sind es sogar ein bisschen weniger, weil die Situation noch dramatischer ist. Ich denke, wir können unsere verlorenen Gebiete tatsächlich zurückgewinnen.
Hat dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit auch mit Wolodimir Selenski zu tun?
Jeder Präsident wird hier mit großer Begeisterung begrüßt, dann aber ebenso schnell für Fehler verurteilt. Die Menschen sind oft enttäuscht worden. Das war bisher bei allen Politikern der Fall. Ohne den Krieg wäre es Selenski wahrscheinlich genauso ergangen. Es gab nicht unbegründete Kritik an seinen Leistungen, aber die Art und Weise, wie er sich während des Krieges entwickelte, hat das Blatt gewendet. Das Beste, was wir im Moment tun können, ist, ihn zu unterstützen. Er macht nicht alles allein. Es gibt einen sehr hohen Grad an Selbstorganisation innerhalb unserer Gesellschaft. Jeder tut das, was er am besten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“