Skandinavien leidet unter Klimawandel: 91 Monate heißer als normal
Der Norden Europas wird vom Klimawandel besonders hart getroffen: Der Permafrost taut, die Hitze setzt den Wäldern zu. Und die Politik?
Die Klimaänderung ist da“, sagt Skålin. Er erwartet mehr Extremwetter, häufigere und ausgeprägtere Hitzewellen: „Es ist auch möglich, dass die Temperaturschwankungen stärker werden, weil Hochdruckwetterlagen länger anhalten, was intensivere Trockenperioden zur Folge hat.“ Jetzt gehe es vor allem darum, aus dieser Erkenntnis so schnell wie möglich die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Das ist gar nicht so leicht. Auf Spitzbergen wurde man von der Schnelligkeit, mit der sich der Klimawandel vollzieht, jedenfalls böse überrascht. Auf dem ganzen Inselarchipel herrscht Permafrost. Im Prinzip. Der Hausbau war deshalb früher einfach.
Noch vor zwei Jahren wurde die neu errichtete Kongsfjord-Halle in Ny-Alesund einfach auf den Permafrostboden gesetzt. Der erwies sich aber schnell nicht mehr als so stabil wie gewohnt. Das Gebäude kam schon nach wenigen Monaten in Schieflage, das obere Stockwerk musste gesperrt und die Halle muss nun teuer nachgebessert werden: mit Betonpfeilern, die bis zum Felsuntergrund reichen. Mittlerweile hat die Regierung in Oslo umgerechnet über 5 Millionen Euro bereitgestellt, weil angesichts des tauenden Permafrosts mehrere öffentliche Gebäude auf Spitzbergen ebenfalls mit Pfeilern neu verankert werden müssen.
Konzepte gegen Wasserfluten und Erdrutsche
Spitzbergen ist überall, meint Skålin. Nicht nur in den nordischen Ländern sei die Infrastruktur nicht gut genug auf den Klimawandel vorbereitet. Kein Wunder, findet Kim Holmén, Direktor des norwegischen Polarinstituts: „Die zeitliche Vorhersehbarkeit sinkt, es ist wirklich schwer, gute Ratschläge zu erteilen.“ Man müsse schleunigst Konzepte entwickeln, wie Häuser und Straßen besser gegen Wasserfluten und Erdrutsche gesichert werden können: „Und was sollen wir anbauen, um auch noch ernten zu können, wenn die Pflanzen längere Perioden mit viel Niederschlag, aber auch solche mit extremer Trockenheit aushalten müssen?“
Mit Finanzhilfen für Landwirte zur Kompensation von Ernteausfällen ist es jedenfalls auf Dauer nicht getan. Für viele Experten zeigen die verheerenden Waldbrände in Schweden in den vergangenen Wochen, dass auch die Forstwirtschaft nicht einfach so weitermachen kann. Sie fordern eine neue Waldstruktur, die besser mit dem Klima zurechtkommt.
Göran Greider, Autor
Seit den 1950er Jahren bewirtschaften die großen Forstkonzerne die schwedischen Wälder nach dem Kahlschlagprinzip: Waldgebiete werden großflächig radikal abgeholzt und anschließend neu bepflanzt. Und es werden nur Nadelbäume gepflanzt, vorwiegend Tannen. So sind riesige Monokulturen entstanden, aus denen Laubbäume als „Unkraut“ herausgeschlagen werden. Man habe „aus Wäldern riesige öde Industriehallen gemacht“, beschreibt der Schriftsteller Göran Greider die Nadelbaummonokulturen.
In diesen Plantagen wachsen die Bäume dichter als in ursprünglichen Wäldern. Alle Bäume sind gleich alt und gleich groß. Tannen sind leichter entzündbar als Kiefern, in ihren Monokulturen verbreitet sich ein Brand schneller als in Kiefernwäldern. Das weiß man spätestens seit einem riesigen Waldbrand, der 2014 in Mittelschweden tobte. „Das Brandchaos haben wir selbst gepflanzt“, konstatiert der Autor Sven Olov Karlsson, der den Großbrand hautnah miterlebte.
„Unser Land wird mehr von Waldbränden bedroht als von den Russen“, sagt auch Göran Greider. In Stockholm scheint man das noch nicht begriffen zu haben. Die Regierung plant, in den nächsten Jahren viele zusätzliche Milliarden ins Militär zu stecken.
Beim Brand- und Katastrophenschutz dagegen wird systematisch gespart. Beim Waldbrandchaos im Juli war Schweden auf den bislang größten Katastrophenhilfseinsatz der EU-Geschichte angewiesen. Aber: In einer im Mai erschienenen Broschüre, mit deren Hilfe sich alle SchwedInnen auf Kriege und Katastrophen vorbereiten sollen, kommen Waldbrände gar nicht erst vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste