Skandalstation in Bremer Klinikum dicht: Psychiatrie geht’s besser
Die berüchtigte Akutaufnahme-Station im Klinikum Bremen-Ost schließt. Dafür öffnet eine moderne Station, in der künftig sogar Psychotherapie stattfinden soll.
Anfang vergangenen Jahres hatte die lange gärende Kritik an den Zuständen im KBO die kritische Masse erreicht: taz und Weser Kurier hatten über tagelange Fixierungen an den Betten berichtet, ehemalige Patient*innen die entwürdigenden Umstände auf der Akutaufnahme-Station 63 kritisiert. Die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen hatten daraufhin in einer parlamentarischen Anfrage Aufklärung der Missstände verlangt – und nach dem Stand der Psychiatriereform gefragt.
Auf diesen Druck reagierten der Senat und die Klinik-Holding Gesundheit Nord (Geno) mit tatsächlich beachtlicher Geschwindigkeit. Ein selbstkritischer Aktionsplan wurde verfasst, für die Renovierung von Haus 3 umgehend 1,2 Millionen Euro bereit gestellt. Architekten, Mediziner- und Techniker*innen haben das Projekt in einem knappen halben Jahr umgesetzt.
Spaziergänge für einen klaren Kopf
In zwei Wochen wird der Altbau bezogen. Darin finden die Patient*innen Rückzugs- und Begegnungsräume, hohe Decken, ansprechende Zimmer und ein freundliches Lichtkonzept. Bereits die Lage im Park ist ein gewaltiger Fortschritt. Auf Station 63 bekamen Patient*innen nur auf den wie Hühnerkäfige vergitterten Balkonen des Turms frische Luft. Spazierengehen, um im wahrsten Sinne des Wortes einen klaren Kopf zu bekommen, war dort nicht möglich. Der Zusammenhang von räumlichen Bedingungen und Genesungsaussicht könnte kaum sichtbarer werden als an diesen so unterschiedlichen Stationen.
Auch therapeutisch soll alles besser werden, verspricht Direktor Reimer und hält dabei ein Fachbuch über die „Psychotherapie in der Psychiatrie“ in die Luft. Die Rede ist dabei nicht von bahnbrechenden neuen Konzepten, sondern schlicht von Mindeststandards. Das Buch ist eine Einführung – und kostet im Internet gerade mal 9,99 Euro. Ob das nun Scherz oder Missgeschick war: Die Sache trifft’s in jedem Fall. Psychotherapie fand auf der alten Station nämlich so gut wie nicht statt – stattdessen wurden Patient*innen mit Medikamenten ruhig gestellt. Problemen begegnete man mit Zwangsmaßnahmen.
Die Pflegekräfte, denen Geschäftsführung und Betriebsrat während der Auseinandersetzungen stets attestiert hatten, sie würden unter der widrigsten Bedingungen hervorragende Arbeit leisten, mussten inzwischen verpflichtende Deeskalationstrainings ableisten. Um künftig, so heißt es im Aktionsplan, „deeskalierend und gewaltfrei“ auf Konfliktsituationen zu reagieren.
Dass erst die Schlagzeilen des vergangenen Jahres nötig waren, ist bemerkenswert. Immerhin befindet sich die Bremer Psychiatrie seit Jahren in einem Reformprozess. Fixierungen ohne Nachbesprechung etwa hat die Besuchskommission bereits 2011 dokumentiert. Frühere Patient*innen kennen das schon erheblich länger.
Psychiatrie-Reform ist kein Selbstläufer
Klar ist: Die Reform ist kein Selbstläufer, nicht jede Entwicklung führt zwangsläufig in die richtige Richtung. Die nun wiedereröffnete Station war ja erst im Namen der Reform geschlossen worden. Anfang 2015 war das, praktisch über Nacht, nach einer von Patienten, Angehörigen und Fachverbänden scharf kritisierten Entscheidung von oben.
Damals hatte die Geno vom perspektivischen Abbau stationärer Betten gesprochen – und jetzt eröffnet Reimer eine neue Station für gut 20 Patient*innen. Der Ausbau häuslicher Betreuungsangebote soll zugleich ausgebaut werden. Reimer versteht die Station als „notwendige Basis“ lebensumfeldnaher Recovery. Ob und wie dieses paradox anmutende Zusammenspiel funktioniert, wird sich zeigen.
Mit der Schließung von Station 63 endet ein finsteres Kapitel der Bremer Psychiatriegeschichte. Unter Psychiatrie-Erfahrenen galt sie Angstraum, als Knast, als ein Ort, der einen erst richtig verrückt macht. Schlimmer ist in Bremen nur die Forensik.
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