Skandalfilm „Caligula“ wieder im Kino: Der Kaiser ist nackt
Der Skandalfilm „Caligula“ von Tinto Brass kommt wieder ins Kino. Der „Ultimate Cut“ aus bisher ungenutztem Material wirft neue Fragen auf.
Nein, man muss diesen Film nicht gesehen haben. Und ja, es kann immer noch ergiebig sein, darüber zu lesen. Denn obwohl „Caligula“ schon 45 Jahre alt ist, gibt es Neues zu berichten. Jedenfalls über die Fassung, die dieser Tage im Kino anläuft. Der Titel „Caligula – The Ultimate Cut“ verspricht dabei das letzte Wort in der Sache, die Kontroverse um den Film, den der Filmkritiker Roger Ebert seinerzeit als „schamlosen Müll“ adelte, dürfte damit jedoch nicht beendet sein.
Ein Regisseur und ein Drehbuchautor, die sich während der Arbeit am Film überwerfen und am Ende nicht mehr als solche in den Titeln auftauchen; ein Filmkomponist, der bloß unter Pseudonym genannt werden möchte; und ein Produzent, der den Schnitt an sich reißt und zusätzliche Pornoszenen dreht, die er ohne Rücksprache mit dem Regisseur ergänzt.
Von überhöhten Produktionskosten, Zeitdruck und Arbeitsunfällen ganz zu schweigen. „Caligula“, der Film, der 1979 in die Kinos kam und sehr bald wieder aus ihnen verschwand, weil er in vielen Ländern indiziert wurde, scheint den Beteiligten nicht sonderlich gutgetan zu haben.
Dem Publikum tat er im Übrigen auch nicht unbedingt gut. Sowohl Kritiker als auch Zuschauer zeigten sich empört, nachdem sie diesen monumentalen Sandalenfilm über den römischen Kaiser Caligula mit diversen expliziten Sex- und Gewaltszenen angeschaut hatten. Mit den Orgien und der Tyrannei war dies für einige des Deftigen zu viel.
Zusammenarbeit mit Umberto Eco und Hellen Mirren
Liest man sich die Liste der Beteiligten durch, mag das erstaunen. Der Regisseur Tinto Brass hatte seine Karriere als respektierter Avantgardefilmer begonnen, seine Filme liefen teils auf der Berlinale und in Venedig, Umberto Eco arbeitete mit ihm zusammen. Mit „Salon Kitty“ von 1975 hatte er andererseits schon mal einen Erotikfilm gedreht.
Berühmt war ebenso der Drehbuchautor Gore Vidal, auch zur Besetzung des Films gehörte einiges an Schauspielprominenz: Hauptdarsteller Malcolm McDowell, bekannt aus „Clockwork Orange“, Helen Mirren, Peter O’Toole und John Gielgud gehörten dazu. Der Produzent Bob Guccione hatte vor allem einen Namen als Verleger des Magazins Penthouse.
Bei dieser Produktion kamen großzügig dimensionierte Egos zusammen, die mit ihren Ansichten selten zusammengingen. Tinto Brass und Malcolm McDowell hatten andere Meinungen zum Drehbuch als Gore Vidal, und Brass hatte wiederum andere Vorstellungen von Erotik als Guccione. Wobei es sich der Regisseur mitunter nicht nehmen ließ, mit einer Darstellerin selbst zu demonstrieren, wie er eine Oralverkehrszene gespielt haben wollte. Eine Recherche zu „Caligula“ unter #MeToo-Gesichtspunkten wäre vermutlich angezeigt.
Vom fertiggestellten Film, dem Guccione maßgeblich seinen Porno-Stempel aufgedrückt hatte, distanzierten sich die meisten Beteiligten umgehend. Doch um „Caligula“ gab es keine Ruhe. Allerlei Fassungen kursierten seither in unterschiedlichen Graden der Drastik.
Brass distanziert sich
Die vom Autor Ranjit Sandhu betriebene Website caligula.org, deren Einträge einen guten Eindruck davon vermitteln, wie dieser Film zur Obsession werden kann, listet 42 verschiedene Versionen, ohne den „Ultimate Cut“. Keine dieser Fassungen entsprach den Ideen von Tinto Brass. Der wollte mit der Angelegenheit danach nichts mehr zu tun haben.
Bis vor einigen Jahren erneut Bewegung in die Geschichte kam. Der Filmemacher und Historiker Alexander Tuschinski hatte für seine Bachelorarbeit an der Stuttgarter Hochschule der Medien zu „Caligula“ geforscht und darüber eine von Brass angefertigte unvollständige Rohfassung entdeckt, aus der er Vorschläge für eine Rekonstruktion im Sinne des Regisseurs entwickelte.
„Caligula – The Ultimate Cut“. Dreharbeiten: Tinto Brass. Produktion & Rekonstruktion: Thomas Negovan. Mit Malcolm McDowell, Helen Mirren u. a. USA/Italien 2023, 178 Min. Ab 7. 11. im Kino
Tuschinski erhielt sogar den Segen von Tinto Brass für das Projekt und kam so weit, dass er das umfangreiche Filmmaterial, das bei Penthouse lagerte, sichten konnte. Die damalige Inhaberin Kelly Holland kündigte 2018 öffentlich ihre Unterstützung an. Dann wechselte Penthouse erneut den Besitzer.
Jetzt erscheint mit „Caligula – The Ultimate Cut“ eine Fassung, an der weder Tinto Brass noch Alexander Tuschinski beteiligt sind. Brass distanzierte sich abermals von der 2023 in Cannes vorgestellten Version. Was nicht allein daran liegt, dass er nicht involviert war.
Dieser Film führt in seinen Credits jetzt recht umständlich „Dreharbeiten: Tinto Brass. Produktion & Rekonstruktion: Thomas Negovan“ an. Negovan, ein Kunsthistoriker und Autor, war als Filmproduzent bisher nur vereinzelt aufgetreten. Penthouse hatte ihn angeheuert für das Vorhaben, das er ohne die noch lebenden Beteiligten von damals verwirklichte. Im Presseheft zum Film erwähnt er in einem Interview seine erfolglosen Versuche, mit Brass oder McDowell in Kontakt zu treten.
Was hat Negovan in seiner Rekonstruktion getan? Er konzentriert sich buchstäblich auf die Konstruktion. Aus den mehr als 90 Stunden Filmmaterial vom Dreh wählte er bisher ungenutzte Aufnahmen. Brass hatte am Set stets drei Kameras laufen, und Negovan verwendet in seiner Fassung nun ausschließlich Einstellungen, die in der Kinofassung nicht vorkamen. Szenen, die als Nahaufnahme zu sehen waren, präsentieren sich jetzt zum Beispiel aus größerer Entfernung. Einige Szenen, die nicht enthalten waren, ergänzte Negovan. Herausgekommen ist eine Version, die gut 20 Minuten länger dauert als die ungekürzte Kinofassung.
Trotzdem ließ Negovan viele Szenen aus, die mit dem Film gemeinhin assoziiert werden. Das sind einerseits die von Guccione ergänzten eher monothematischen Hardcore-Einschübe, andererseits fielen eine Reihe der Gewaltszenen weg. Oder aber auch einprägsame Bilder wie der Moment mit Caligula in der von Gold glänzenden Schatzkammer. Teile der Dekorationen, die wegen des Zeitdrucks einst unvollständig geblieben waren, ließ Negovan wiederum am Computer vervollständigen.
Das sind sehr fragwürdige Entscheidungen, die in der Filmgeschichte beispiellos sein dürften. Dadurch, dass die Szenen aus komplett anderen Perspektiven gezeigt werden als den vom Regisseur gewählten, verwischt Negovan weitgehend die künstlerische Handschrift von Brass.
Empfohlener externer Inhalt
„Caligula – The Uncut Version“
Gleichwohl bietet der Film eine Innovation, die zu begrüßen ist. Während der Ton von „Caligula“ konsequent, wie in den Siebzigern oft üblich, nachvertont war, mit Stimmen, die nicht von den gezeigten Darstellern stammten, kommen diesmal die digital aufbereiteten Tonaufnahmen vom Dreh zum Einsatz. Zum ersten Mal sieht und hört man Malcolm McDowell als Caligula oder Helen Mirren als Caesonia.
Negovan rechtfertigt sein Vorgehen damit, dass er in dieser Fassung die Schauspieler zu ihrem Recht kommen lassen wollte. Und bei aller Kritik kann man sagen, dass der Film in dieser Hinsicht gelungen ist. Insbesondere Helen Mirrens starke Darbietung kommt besser zur Geltung, McDowells Caligula macht eine stärkere Entwicklung durch und wird nicht durchgehend auf seinen Wahnsinn begrenzt.
Dass die Filmmusik von Bruno Nicolai, im Film als „Paul Clemente“ angeführt, mit ihren Orchester- und Harfenklängen jetzt einem elektronischen Brodeln weichen musste, nimmt dem Film hingegen vieles von den satirischen Elementen, die Brass im Sinn hatte. Wer weiß, vielleicht bleibt dies ja am Ende nicht der letzte Schnitt. Als Zwischenstand lässt sich immerhin festhalten: Zu den großen Egos rund um „Caligula“ hat sich mit Thomas Negovan anscheinend ein weiteres hinzugesellt.
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