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Skandal um OrganspendeVersagende Transplantationsorgane

Die Bundesärztekammer will die Organvergabe reformieren. Renommierte Transplanteure fordern die Schließung der Skandalzentren Göttingen und Regensburg.

Eine Niere, frisch implantiert. : dpa

BERLIN taz | Als Konsequenz aus den Transplantationsskandalen an den Unikliniken Göttingen und Regensburg hat die Bundesärztekammer Reformen für die Organverteilung angekündigt. Die derzeitige Praxis steht im Verdacht, Missbrauch und Manipulation zu begünstigen. Der Ärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery bittet deswegen am Donnerstag die an Transplantationen beteiligten Institutionen zur Sondersitzung.

Die Bundesärztekammer hat nicht einmal den Status eines eingetragenen Vereins, verantwortet aber alle Vergaberichtlinien, die über Leben und Tod von Patienten entscheiden. Das Parlament hat sich dieser heiklen Aufgabe bislang verweigert. Ziel sei ein neues Vergabeprinzip, erklärte Montgomery via Bild: „Wir wollen das Vier-Augen-Prinzip einführen, bei dem ein unabhängiger Arzt feststellen muss, wie krank der Empfänger wirklich ist, damit die Liste nicht mehr gefälscht werden kann.“

Das Bundesgesundheitsministerium forderte die Selbstverwaltung auf, „die Fakten auf den Tisch zu legen“, sagte ein Sprecher. „Gesetzgeberische Maßnahmen“ seien andernfalls nicht ausgeschlossen. Das Ministerium hat die Akteure für den 27. August einbestellt.

Reformen fordern auch Prominente der Transplantationsszene: Uwe Heemann, Leiter des Transplantationszentrums an der Technischen Universität München und als Exmitglied der Prüfkommission der Bundesärztekammer sowie des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ein langjähriger Kenner des Geschäfts, sagte der taz: „Insbesondere bei der DSO ist mehr staatliche Kontrolle zwingend nötig.“

Problematisch sei auch, so Heemann in Anspielung auf die Machenschaften in Göttingen und Regensburg, „dass Zentren, die bewusst in krimineller Weise gegen das Gesetz verstoßen haben, immer noch transplantieren dürfen“. Härtere Sanktionen fordert auch Roland Hetzer, Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin: „Wenn offensichtlich betrogen wurde, muss das bestraft werden.“ Von den Landesministerien in Niedersachsen und Bayern erwartet Hetzer „die Schließung“ der beiden Transplantationszentren.

Beschleunigte Vermittlung

Laut Transplantationsgesetz dürfen Organe nach dem Standardverfahren, dem modifizierten Verfahren sowie dem beschleunigten Verfahren vergeben werden. Standard meint die Vermittlung durch die Stiftung Eurotransplant an Patienten in sieben europäischen Ländern, abhängig von medizinischen Kriterien wie Dringlichkeit oder Erfolgsaussicht der Operation.

Auf dieser klassischen Warteliste stehen derzeit 16.000 Patienten, davon allein in Deutschland 12.000. Organe mit Funktionseinschränkungen, etwa weil sie von sehr alten Spendern mit Vorerkrankungen kommen, sind so häufig aber nicht vermittelbar: Sie würden schlicht den Transport quer durch Europa nicht überstehen; viele Ärzte und Patienten wollen sie überdies nicht. Damit sie nicht verloren gehen, bietet Eurotransplant sie nach dem modifizierten Verfahren regional drei bis fünf Kliniken für deren Patienten an. Findet sich kein Abnehmer, wird das Organ beschleunigt vermittelt – frei nach dem Motto: first come, first serve.

Das Problem: Was ursprünglich als Ausnahmeregelung gedacht war, wird zunehmend zum Regelfall. Jede zweite Bauchspeicheldrüse, jede dritte Leber und jedes vierte Herz wird mittlerweile „beschleunigt“ vergeben. Wer das Organ bekommt, wird dann nicht mehr nach dem strengen Punkte-Kriterien-System von Eurotransplant entschieden, sondern nach der schwer überprüfbaren Einschätzung des behandelnden Arztes.

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10 Kommentare

 / 
  • C
    Colateral-Schauer

    Auffällig

     

    Eine Diskussion über die Vermeidung von schweren Organerkrankungen und über alternative Therapien zur Organspende findet nicht statt.

     

    Eine Diskussion darüber, dass manche Leute nur deshalb noch leben, weil sie das Glück haben statt im OP-Saal auf der Wartliste zu sein, findet nicht statt.

     

     

    Organtransplantationsmedizin rettet nicht Leben. Sie tötet.

  • H
    Harald

    Was Groschen u.a. zu der "ganz andere(n) Hausnummer" sagt, war das erste, was mir einfiel, als seinerzeit die Pro-Organ-Kampagne gestartet wurde.

     

    Wenn ich in unseren, 'für den Wettbewerb fit gemachten' Kliniken liege, meine OP vielleicht € 5.000 bringt, mein Ableben aber ein Vielfaches?

     

    Wenn das €! In den Augen von Chefarzt und Controller leuchtet, da auf meiner 'Gesundheitskarte' die Einwilligung vermerkt ist?

     

    Wer leben will, sollte sich diese Einwilligung dreimal überlegen.

  • L
    legal

    @Groschen

    Natürlich werden Organe in Handelsklassen unterteilt.

    Die Falun Gong Glaubensgemeinschaft ernährt sich gesund und koscher und ist deswegen in China als Spender bevorzugt.

    Die chinesische Botschaft Kanadas kam vor ein paar Jahren in arge Bedrängnis und gab den Organhandel zu. Berichte des Parlamentsmitglied David Kilgour und RA David Matas lesen. Die Organe sollen ohne Betäubung am lebenden Körper heraus operiert worden sein.

    Aktuell wurden in China 137 Verhaftungen durchgeführt.

     

    Deutsche Krankenhäuser sind involviert, den Scheichs muss doch für ihr Geld etwas geboten werden. Würde man die despotischen Gelder aus Bayern abziehen, wäre Bayern ein Entwicklungsland.

    Die Zentrifugalkräfte der exponentiellen Wertsteigerung macht vor Organen keinen halt.

    Allerdings bleibt eine Fragen offen.

    Wie kann man sich Organe von Schweinefleischessern einbauen lassen?

  • G
    Groschen

    dieser Mediziner (werden wohl noch mehr sein) hat eine Tür aufgestossen, die besser für ewige Zeiten verschlossen geblieben wäre.

    Nun ist es passiert und die Transplantationsmedizin hat ihre Unschuld verloren.

    Wir Bürger wissen jetzt, dass wir ein Vermögen in uns tragen, nach dem gegiert wird.

    Unser Leben, unsere Gesundheit, unsere Körper sind zur Handelsware geworden und daher sollten wir nicht mehr einfach nur spenden = verschenken, sondern verkaufen!

    Der Wert eines jeden unserer Organe sollte uns von unseren Kassen mitgeteilt werden, da sie einen recht guten Überblick über unseren Gesundheitszustand haben.

    Ich selber zähle mich zur Premium-Klasse und könnte mir sogar einen Beitragsbonus vorstellen.

    Vielleicht ließe sich auch auf diese Weise einen Anreiz für weite Teile der Bevölkerung schaffen, weniger krankmachend zu leben.

    Schließlich verwalten sie ein Leben lang eine Wertsache, die man nicht so locker mit Cola, Döner, Zigaretten u. Alkohol zerstören sollte.

    G.

  • G
    Groschen

    mir kommt da noch ein ganz anderer Gedanke.

    Es mussten wohl nicht nur Menschen sterben, weil sie "noch nicht" an der Reihe waren.

    Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass Menschen sterben mussten, WEIL sie über "Premium-Organe" verfügten aber sonst nicht im Sinne der Bewerter weiter wichtig für diese Gesellschaft waren.

    Im Krankenhaus kein Problem.

    Das wäre ja wohl noch eine ganz andere Hausnummer.

    G.

  • G
    Groschen

    werden Organe eigentlich in "Handelsklassen" unterteilt ?

    "Premium" für Selbstzahler, wie Oligarchen, Scheichs, Tepco-Manager, mit mehrfachen Satz berechnet.

    "Eins" "Zwei" und "Drei" für Kreti und Pleti,je nach Kassenzugehörigkeit, Alter und Wichtigkeit?

    Wenn das so wäre, dann würde ich gerne über den Kaufpreis meiner Premium-Organe vor meinem Ausschlachten, zu Gunsten meiner Erben verhandeln.

    G.

  • HD
    Hegar der Schreckliche

    Acht Augen sehen noch mehr und haben es auch schwerer "krumme Sachen" zu machen!

  • H
    Harald

    Warum nur hat mich die ganze Angelegenheit überhaupt nicht verwundert?

    Steht Ethik drauf und ist Mafia drin. Also alles ganz normal.

     

    Ich sehe nicht, daß es in irgendjemandes Funktionär-Interesse ist, dieses sinistere Treiben tatsächlich zu beenden.

     

    Es werden jetzt neue Schön-Schau-Schablonen gebastelt, damit wer Geld hat, auch weiterhin ungestört zu seinem Recht kommt.

     

    Und einmal jährlich wird dann, unter großem Medien-Tam-Tam, einem Obdachlosen oder Sozialhilfeempfänger ein Spenderorgan verpasst.

  • G
    Groschen

    was heißt "4 Augen-Prinzip". Das sind zwei Personen, die entscheiden sollen.

    Mindestens zwei Kriminelle waren ja bisher in Göttingen und Regensburg beteiligt.

    Also, wo soll da Sicherheit sein?

    Und was heißt: Organe waren alt oder so weit vorgeschädigt, dass sie einen Transport durch Europa nicht überstanden hätten?

    Mich würgt es. Organe, die eigentlich überhaupt nicht geeignet sind und dem Empfänger eigentlich nichts nützen, werden an Ort und Stelle, unter Umgehung aller ethischen Richtlinien transplantiert?

    Nach dem Motto: "versuchen wir mal die Leber oder vielleicht funktioniert ja das andere Herz besser bei ihnen" und der Empfänger hat keine Ahnung, was man ihm für einen (sorry) "Sondermüll" einbaut? Hauptsache man kann bei der Kasse eine sauteure OP abrechnen?

    Mein Gott !

    Ich muss aufhören, sonst wird mir schlecht.

    G.

  • S
    Schneider

    " Ziel sei ein neues Vergabeprinzip, erklärte Montgomery via Bild: „Wir wollen das Vier-Augen-Prinzip einführen, bei dem ein unabhängiger Arzt feststellen muss, wie krank der Empfänger wirklich ist, damit die Liste nicht mehr gefälscht werden kann.“ "

     

    Nur weil du arm bist, mußt du früher sterben?

     

    Die BürgerInnen müssen überhaupt aufgeklärt werden, was die Organentnahme für das Transplantieren bedeutet. Von einem Toten geht das nicht.

     

    http://www.hygeia.de/meinecke-organspende