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Skandal in Jüdischer Gemeinde zu BerlinRisse in der Gemeinschaft

Walter Homolka und Gideon Joffe, zentrale Figuren des Rabbinerkollegs und der Jüdischen Gemeinde, sind skandalumwittert. Sie kleben an der Macht.

Gideon Joffe, umstrittener Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Mehr als 1.000 Teilnehmer waren für den jüdischen Gemeindetag nach Berlin gekommen. Es war der vielleicht wichtigste Gemeindetag seit Jahren. Denn die jüdische Gemeinschaft ist seit dem 7. Oktober herausgefordert, sie ist bedroht und fühlt sich verunsichert, wie vielleicht noch nie seit Gründung der Bundesrepublik. Umso wichtiger war es jetzt, die Sorgen für einen Moment abzustreifen. Das Pogrom der Hamas wirkt stark nach. Die zahlreichen Übergriffe auf jüdische Menschen und Einrichtungen seit dem Terrorangriff, der Hass, der ihnen entgegenschlägt, all das hat Spuren hinterlassen.

Angesichts dieser Lage verwundert es nicht, dass zwei handfeste Skandale, die die Jüdische Gemeinde zu Berlin und das liberale Judentum in Deutschland seit vielen Monaten erschüttern, in den Hintergrund gerückt sind. Doch wann, wenn nicht jetzt in dieser für die jüdische Gemeinschaft so existenziellen Krise, bedürfte es Führungspersönlichkeiten mit einem Höchstmaß an Professionalität, Integrität und Empathie, fragen sich viele. Führungspersönlichkeiten, die in erster Linie nicht an sich, sondern an die Gemeinschaft, in deren Interesse sie tätig sind, denken.

Qualitäten, die die Protagonisten der beiden Skandale – der Berliner Gemeindevorsitzende Gideon Joffe und der ehemalige Leiter des Potsdamer Rabbinerkollegs, Walter Homolka, schmerzlich vermissen lassen. So zumindest der Tenor unter jenen Beteiligten, die sich aus Enttäuschung und Frustration über das Machtgebaren beider Männer von den durch sie geprägten Institutionen abgewendet haben. Von Ekel spricht eine Absolventin des liberalen Rabbinerkollegs.

Im Mai 2022 erhob die Welt erstmals Vorwürfe gegen Homolka, den langjährigen Leiter des Abraham Geiger Kollegs, der mit seiner Omnipräsenz in der liberalen jüdischen Welt ungeheuren Einfluss besaß. Bei den Vorwürfen ging es um Machtmissbrauch, Diskriminierung sowie um sexuelle Grenzüberschreitungen seines Lebenspartners. Daraufhin beauftragte der Zentralrat der Juden in Deutschland als größter Mittelgeber des Kollegs die Kölner Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger mit einer unabhängigen Untersuchung. Im September, pünktlich zum Jüdischen Neujahrsfest, wurde der mehr als 800 Seiten starke Untersuchungsbericht vorgelegt.

Umfassendes System der Abhängigkeit

Er zeichnet das Bild eines umfassenden Systems der Macht und Abhängigkeit. Er beschreibt ein Klima der Angst am Geiger Kolleg, berichtet von Drohungen, Einschüchterungen, verbauten Lebenswegen und psychischen Spätfolgen. Wie sexuelle Anzüglichkeiten seines Lebenspartners die Betroffenen verunsichert und teilweise traumatisiert hätten. Am Kolleg sei alles auf die Person Walter Homolka zugeschnitten gewesen, der quasi nach Gutsherrenart geherrscht und unbedingte Loyalität eingefordert habe.

Sandra Anusiewicz-Baer leitet das Zacharias Frankel College, das Rabbinerinnen und Rabbiner für die konservative jüdische Strömung ausbildet und neben der Kantorenschule ebenso unter dem Dach des Geiger Kollegs firmiert. Sie hat vieles hautnah miterlebt. Der Bericht beschreibe ein vielfältiges Geflecht aus Abhängigkeiten. „Vor allem zeigt er, dass viele Entscheidungen hauptsächlich aus machtpolitischem Kalkül getroffen wurden“, resümiert Anusiewicz-Baer. „Und dieses Interesse schien stets im Vordergrund zu stehen.“

Das Gutachten wird von vielen Betroffenen mit Erleichterung aufgenommen. Endlich werde für eine breite Öffentlichkeit sichtbar, wie das „Machtsystem Homolka“ funktioniert und welchen Schaden es angerichtet habe. Unabhängig davon, dass sich Walter Homolka mit der Gründung dieser und anderer Einrichtungen Verdienste erworben habe.

Walter Homolka, immer noch Lehrstuhlinhaber der Jüdischen Theologie in Potsdam Foto: Varvara Smirnova/picture alliance

Sexuell anzügliche Nachrichten

Nick Hörmann gehört zu jenen, die ungefragt sexuell anzügliche Nachrichten und pornografisches Bildmaterial vom Lebenspartner Homolkas erhalten haben. Der Bericht sei Balsam für die Seele. Endlich hätten Dinge, die vorgefallen sind, eine rechtliche Würdigung erfahren. Doch noch immer gebe es Menschen, die hinter Homolka stünden.

Gerade in nichtjüdischen Kreisen, in den Kirchen, manchen Medien, der Politik genieße er noch immer Ansehen. Für Hörmann ist das nicht nachvollziehbar. „Solche Dinge schmerzen, weil man sieht, hier wird versucht, Walter Homolka zu verteidigen.“ Die entscheidende Frage sei, welche Konsequenzen aus dem Gutachten folgen. Hörmann bleibt skeptisch. „Die Hoffnungen sind groß, die Erwartungen sind gedämpft.“

Walter Homolka bestreitet sämtliche Vorwürfe und geht juristisch gegen Medienhäuser, den Zentralrat der Juden und Einzelpersonen vor. Seine Anwälte sprechen von einer vom Zentralrat und Medien orchestrierten „Hetzkampagne“. Man wolle ihn „als jüdische Stimme mundtot“ machen.

Manch jüdischem Beobachter verschlägt es angesichts solchen Vokabulars die Sprache. Das Narrativ, das der Konvertit Homolka hier heraufbeschwört, erinnere an klassische antijüdische Stereotype. In einem mit seinem Anwalt geführten Podcast gibt sich Homolka indes geradezu triumphierend. All die Vorwürfe seien nur Schall und Rauch. Er könne sich nur auf die Schulter klopfen, so Homolka, „dass ich so viel wert bin, um aus dem Weg geräumt zu werden“.

Etwas anderes könnte ihn zu Fall bringen

Verpufft das 800 Seiten dicke Gutachten? Ja, sagt Manfred Görtemaker, emeritierter Geschichtsprofessor und ehemaliger Vizepräsident der Universität Potsdam. „Dieser Bericht ist zwar sehr umfangreich, aber leider inhaltsschwach.“ So eindeutig er von Machtmissbrauch spreche: Strafrechtliche Konsequenzen müsse Homolka nicht fürchten. Doch etwas anderes könnte ihn zu Fall bringen.

Es geht um den Vorwurf, Homolka habe bei seiner Dissertation getäuscht. Auf gut 60 von 240 Seiten seiner 1992 am King’s College in London vorgelegten Dissertation über Leo Baeck und religiöse Identität soll sich Homolka bei einer an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München 1986 vorgelegten wissenschaftlichen Arbeit der Theologin Dorothee Schlenke bedient haben. Indem er ohne Quellenangabe passagenweise wörtlich ins Englische übersetzte. Homolka bestreitet auch diesen Vorwurf. Schlenkes Untersuchungen seien für seine Dissertation hilfreich gewesen, weshalb sie sowohl in der deutschen als auch in der englischen Veröffentlichung genannt werde.

Es geht um den Vorwurf, Homolka habe bei seiner Dissertation getäuscht

Manfred Görtemaker hat sich die Dissertation von Homolka näher angeschaut und für den Uni-Präsidenten Oliver Günther ein vertrauliches Gutachten dazu verfasst. Görtemakers Verdikt ist eindeutig: „Das ist ein Plagiat reinsten Wassers, wie man es sich gravierender gar nicht vorstellen kann.“ Die Uni-Leitung wiederum hält sich bedeckt und verweist den Fall an das formal zuständige King’s College, das sich wiederum noch nicht geäußert hat. Obwohl die Vorwürfe schon länger bekannt sind.

Und Homolka? Er hat sich aus fast allen jüdischen Institutionen, in denen er in leitender Position tätig war, zurückgezogen. Doch an seinem Lehrstuhl an der Jüdischen Theologie in Potsdam hält er fest. Und so kommt es, dass Walter Homolka, trotz all der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, am Uni-Campus in Potsdam präsent ist. Er hat einen Assistenten eingestellt, gibt Lehrveranstaltungen und nimmt an Institutssitzungen teil. Als sei nichts gewesen.

Besonders hohe ethisch-moralische Standards

Für Betroffene wie Nick Hörmann eine unhaltbare Situation. „Ich nehme ihn präsenter denn je wahr.“ Einmal habe Homolka sogar seinen Lebenspartner mitgenommen. „Das hat mich aufgeregt“, sagt Hörmann. „Ich kann es mir nur so erklären, dass er das nicht aus Pflichtgefühl macht, sondern aus reiner Chuzpe. Nach dem Motto: Jetzt erst recht. Weil er natürlich weiß, dass das Leute verletzt.“

Eigentlich sei es doch beschämend, sagt Sandra Anusiewicz-Baer, wenn allein juristische Fragen über das weitere Wirken von Homolka entschieden. In einer Rabbinerausbildung ginge es schließlich um besonders hohe ethisch-moralische Standards. „Es muss doch möglich sein, dass man sehr klar und deutlich ausspricht: Hier hat jemand seine Fürsorgepflicht missbraucht. Hier hat jemand seine Vorbildrolle nicht ausgefüllt. Und deshalb ist diese Person für diese Ausbildungseinrichtung nicht tragbar.“

Um das Geiger Kolleg vor dem Zugriff des Zentralrats zu schützen, hatte Homolka die von ihm 1999 als gGmbH gegründete Rabbinerschule im Januar 2023 an die Jüdische Gemeinde zu Berlin übertragen. Eine besondere Pointe, steht deren seit Jahren umstrittener Vorsitzender Gideon Joffe doch derzeit selbst im Zentrum eines Skandals. Joffe ließ am 3. September eine Gemeindewahl durchführen, die vom Gericht beim Zentralrat der Juden aufgrund massiver Verstöße gegen Grundprinzipien einer fairen Wahl zuvor verboten wurde.

Der Zentralrat betrachtet den Gemeindevorstand mit Joffe an der Spitze als illegal und hat Sanktionen eingeleitet. Das Verhältnis zwischen Zentralrat und Berliner Gemeindeleitung gilt als zerrüttet. An eine gemeinsame Neuaufstellung der liberalen und konservativen Rabbinerausbildung, wie sie bis zur umstrittenen Gemeindewahl ins Auge gefasst wurde, ist nicht mehr zu denken.

Der Zentralrat betrachtet Joffes Gemeinde­vor­stand als illegal

Die Politik müsse endlich aufwachen

Wie es mit den beiden Kollegs und der Jüdischen Theologie in Potsdam weitergeht, ist noch immer offen. Die Leiterin des Frankel College sagt, dass der Zentralrat Joffe in dessen Unwillen unterschätzt habe, irgendetwas Konstruktives für eine tragfähige Zukunft beizutragen. „Alles, worum es Gideon Joffe geht, ist zu zeigen: Ich kann machen, was ich will.“ Klar ist aber auch: Solange Homolka in Potsdam wirkt, wird die liberale Welt und mit ihr die Rabbinerausbildung nicht zur Ruhe kommen.

Die Politik müsse endlich aufwachen, sagt Anusiewicz-Baer, die sich enttäuscht darüber zeigt, dass sowohl der Bund als auch die Länder Berlin und Brandenburg den Ball immer wieder zurückspielten. Dabei müsse sich gerade die Politik fragen, was sie in jemandem wie Walter Homolka gesehen habe. Er gilt als talentierter Netzwerker mit einem hervorragenden Gespür dafür, wer ihm schaden und wer ihm nutzen könnte. Nichtjüdische Kreise sahen und sehen in ihm, dem Konvertiten, einen Vorzeigerabbiner. Während dieser seiner Verachtung für orthodoxes und konservatives Judentum, für jüdische Werte an sich mitunter freien Lauf ließ.

Doch in jüdische Angelegenheiten mischen sich politische Entscheidungsträger ungern ein. Dabei haben Bund und Länder als größte Mittelgeber einen entscheidenden Hebel in der Hand. Das gilt sowohl für die Finanzierung der Rabbinerausbildung als auch der Berliner Jüdischen Gemeinde mit ihrem gut dotierten Staatsvertrag von mehr als 14 Millionen Euro.

So wie jüngst auf dem Gemeindetag bemüht sich die Politik gerade sehr, der jüdischen Gemeinschaft ihre Unterstützung zu versichern. Ob sie auch den Mut aufbringt, unbequeme Entscheidungen zu treffen, wenn es um die Beseitigung von Missständen und die Zukunft einer Jüdischen Gemeinde oder Rabbinerausbildung geht?

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