Skandal bei Castorfs Verdi-Inszenierung: Die Welt ist dunkel und schlimm
Frank Castorf hat an der Deutschen Oper in Berlin Verdis „Macht des Schicksals“ inszeniert. Befürworter und Kritiker stritten sich im Auditorium.
Wir werden ihn einfach nicht los, den ewigen Frank Castorf und seine Berliner Volksbühne. Dort ist er zwar nicht mehr zu Hause, weil der Berliner Senat den 2016 auslaufenden Vertrag nicht mehr verlängern wollte. Es hat nichts genützt.
Die Fangemeinde der Volksbühne hat den Nachfolger sofort aus der Stadt vertrieben. Ruhe kehrte erst wieder ein, als in diesem Jahr die Übergangslösung des klugen Klaus Dörr mit der Einsetzung René Polleschs zu Ende ging. Castorfs strebsamster Schüler also wird die Volksbühne nun dauerhaft leiten.
Der Meister selbst trat unterdessen am Berliner Ensemble auf, der anderen festen Theaterburg des Ostens. Und am Sonntagabend hat er nun auch den Westen erobert, und zwar genau dort, wo er am westlichsten ist: an der Deutschen Oper, die sich gerne und mit gewissem historischen Recht „Bürgeroper“ nennen lässt, weil sie gegründet wurde von ebenjener Klasse reicher Kunstfreunde, der Castorf seit jeher den Kampf angesagt hat.
„Bildungsbürger“ würde man die soziale Basis des Hauses wohl gerne nennen, wenn es sie noch gäbe. Ihre Zeit ist längst vergangen, sicher auch, weil mit Castorf ein Theater entstand, das seinen Zweck nicht mehr darin erfüllt sieht, für wertvoll gehaltene Kulturgüter unterhaltsam zu konservieren.
Die Deutsche Oper experimentiert
Die frische Luft der Gegenwart schadet dem noblen Charlottenburg keineswegs, und in den letzten Jahren hat auch die Deutsche Oper durchaus ein wenig davon hereinwehen lassen. Sie vergibt Kompositionsaufträge, lässt junge Frauen und Männer auf einer Werkstattbühne völlig frei und ohne Berührungsangst mit Pop und Rap experimentieren. Zudem hat sie mit Aufführungen großer Opern von Meyerbeer sogar Maßstäbe gesetzt.
Aber jetzt kam Castorf. Vor sechs Jahren hat er in Bayreuth für einen spektakulären Wutausbruch der Wagnerianer gesorgt, die nach dem Ende der Götterdämmerung eine gute halbe Stunde lang in einer Orgie des Schreiens und Brüllens schwelgten, wie sie sonst nur in Heavy-Metal-Konzerten zu beobachten ist.
Castorf gefiel das damals sichtlich gut und seine Rechnung ging auch an der Deutschen Oper wieder auf. Am Ende war es nicht ganz so laut wie auf dem fränkischen Festspielhügel, dafür aber kam es in Berlin, anders als dort, beinahe zum Abbruch der Vorstellung.
Anlass waren ein Schauspieler und eine Schauspielerin, die mit verteilten Rollen eine Passage aus Curzio Malapartes Roman „Die Haut“ von 1949 vorlasen. Das war nun einfach zu viel für Leute, die ziemlich viel Geld ausgegeben hatten, um eine Oper von Giuseppe Verdi zu hören. „Aufhören! Aufhören!“, schallte es aus dem Saal.
Sich wehren durch Klatschen
Unterhaltsam war der Skandal vor allem, weil sich bald zwei Fraktionen bildeten. Castorfs Gegner riefen nach „Verdi“ oder einfach nur nach „Musik“, seine Freunde wehrten sich zunächst nur mit demonstrativem Händeklatschen, bis einer von ihnen auf die Idee kam, die Kritiker mit dem Ruf „Wir wollen unseren Kaiser Wilhelm wieder haben“ zu parodieren.
Wunderbar, denn genau darum geht es den Freunden des Theaters von Frank Castorf. Es ist gar nicht denkbar ohne einen ewigen Kaiser Wilhelm, der gerne auch Adolf Hitler, Benito Mussolini oder Francisco Franco heißen darf. Sie sind absolut notwendig, weil wir immer wissen wollen, dass wir auf der richtigen Seite stehen, auf der Seite des Aufstands und des Protests.
Über zehn Jahre lang war an der Volksbühne Castorfs Methode der Regie zu studieren. Er hat Schauspielerinnen und Schauspieler herangezogen, die am besten sind, wenn sie möglichst laut und übertrieben gestikulierend eine glaubhaft persönlich empfundene, deswegen stets vor Selbstmitleid triefende Wut gegen die Übel der Welt heraus schreien.
Theater kann daraus nur entstehen, weil Aristoteles recht hat: Die Tragödie reinigt unsere Seelen, damit wir danach in Ruhe wieder den Alltagsgeschäften nachgehen können.
Hakenkreuze, Franco, Mussolini
Mit Verdi hat dieses Erfolgsrezept nichts zu tun. Seine Oper „Die Macht des Schicksals“ wird selten gespielt, weil sie ungewöhnlich schwer zu inszenieren ist. Der Geliebte einer jungen Frau erschießt aus Versehen ihren Vater. Ihr Bruder will den Mord rächen, Wirtshäuser, Heerlager und ein Kloster sind die Schauplätze einer konfusen Verfolgungsjagd, an deren Ende Frau und Bruder tot sind.
Verdi selbst war nie glücklich damit, hat zwei Fassungen hergestellt, aber für Castorf ist das alles kein Problem. Er spielt einfach Castorf. Alles nötige ist da. Hakenkreuze, Franco, Mussolini, eine drehbare Rumpelkammer von Kriegskulissen, Texttafeln und Videoleinwände, auf denen literweise Theaterblut fließt. Die Welt ist dunkel und schlimm. Schön ist nur der brasilianische Tänzer Ronni Maciel, nackt bis auf einen perlenglitzernden Stringtanga, der vage daran erinnert, dass bei Verdi der Liebhaber ein Mestize ist, weswegen der Vater die Hochzeit verboten hat. Natürlich sind wir gegen jeden Rassismus und würden gerne auch das herausschreien, wo die Wilden doch so echt sind.
Stattdessen muss gesungen werden. Castorf aber hört gar nicht zu. Sein Theater war nie ein Theater des Ausdrucks, ob nun sprachlich oder musikalisch, sondern der Haltung. Dank der digitalen Medien verstehen wir heute besser, warum es funktioniert: Es ist eine Filterblase, in der alle immer einer Meinung sind. Von außen betrachtet allerdings verbreitet dieser völlige Mangel an Neugier und Interesse an der Welt im Echoraum des Einverständnisses bleierne Langeweile.
Die Sopranistin Maria José Siri aus Uruguay, der Hausbariton Markus Brück und der Tenor Russel Thomas aus den USA versuchen vergeblich dagegen anzusingen. Es gelingt ihnen nur selten, obwohl die großen Chorszenen hervorragend einstudiert sind und Jordi Bernàcer das oft etwas launische Orchester sicher leitet.
Denn natürlich kann Castorfs kleine Provinz die Weltmusik von Giuseppe Verdi nicht zerstören. Aber sie allein ist noch keine Oper. Der Intendant Dietmar Schwarz hat zum Start der Saison nur einen marktgängigen Namen auf den Spielplan gesetzt. Dass es ihm ein Anliegen war, Verdis „Macht des Schicksals“ endlich auch mal wieder auf der großen Bühne der Deutschen Oper aufzuführen, ist nicht zu erkennen.
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