Ska Keller über die deutsche Asylpolitik: "Fatale Migrationspolitik"
Die grüne EU-Abgeordnete Ska Keller kritisiert, dass die Bundesregierung ein EU-weit einheitliches Asylsystem blockiert. Es sei falsch, nur auf Abschreckung zu setzen.
taz: Am Donnerstag treffen sich die EU-Innenminister in Brüssel und beraten über ein gemeinsames Asylsystem. Eigentlich sollte das 2012 eingeführt werden, aber seit Monaten blockiert Deutschland eine Einigung. Erwarten Sie heute Ergebnisse?
Ska Keller: Ich habe keine große Hoffnung. Die polnische EU-Ratspräsidentschaft will einen neuen Kompromiss vorlegen. Aber schon vor einigen Monaten haben alle konservativen EU-Innenminister erklärt, dass sie grundsätzlich gegen ein gemeinsames Asylsystem sind. Das ist unverantwortlich.
Warum?
"Franziska" ist ihr zu brav, deshalb nennt sich die 29-Jährige "Ska" Keller. Seit 2009 für die deutschen Grünen im EU-Parlament, macht Migrations- und Entwicklungspolitik.
Zurzeit sind die Anerkennungsraten für Asylbewerber sehr unterschiedlich. In einigen EU-Staaten ist zum Beispiel die Verfolgung aufgrund des Geschlechts ein ausreichender Grund, in anderen nicht. Auch bei der Unterbringung und dem Umgang mit Minderjährigen gibt es große Unterschiede.
Was würde mit dem gemeinsamen System besser?
Die Europäische Kommission will unter anderem, dass Asylbewerber nach sechs Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen. In Deutschland dürfen sie erst nach ihrer Anerkennung arbeiten, viele schuften deshalb schwarz.
Wie beurteilen Sie die deutsche Blockade-Haltung?
Es ist ein Beispiel für die fatale Migrationspolitik. Die Bundesregierung setzt auf Abschreckung als wichtigstes Element. Deshalb will sie möglichst schlechte Bedingungen für die Einwanderer schaffen. Aber die Menschen kommen nur, wenn sie fliehen müssen. Dann kann man nicht einfach sagen: "Nach zehn Personen ist Schluss". Wir müssen endlich wieder den Schutz des Menschen an die oberste Stelle stellen und nicht Kosten-Nutzen-Rechnungen.
Sollten die Bedingungen vereinheitlicht werden, befürchtet die Bundesregierung einen großen Flüchtlingszustrom wie etwa in den 1990er Jahren.
Das ist Blödsinn. Wegen der neuen Regeln kommen nicht plötzlich mehr Menschen nach Deutschland. Die Bedingungen wären ja überall gleich. Wir sollten allerdings bei der Verteilung der Flüchtlinge in der EU endlich auf Faktoren achten wie: Welche Sprache spricht der Asylbewerber? Wo hat er Familie? Das alles würde bei der Integration helfen. Außerdem brauchen wir endlich eine Möglichkeit für legale Einwanderung.
Die polnische Ratspräsidentschaft schlägt ein Frühwarnsystem vor, um Massenanstürme auf die EU vorherzusagen. Ist das eine gute Idee?
Auch da geht es wieder nur darum, wie man die EU-Grenzen sicherer machen kann. Wir müssten uns stattdessen die Fluchtgründe der Asylbewerber anschauen. All diejenigen, die sich in Berlin vor zu viel Einwanderung fürchten, müssten endlich dafür sorgen, dass wir in Afrika mit unseren billigen Geflügelteilen nicht die einheimischen Märkte kaputt machen oder mit unseren Waffenlieferungen Konflikte anheizen.
Menschen ertrinken im Mittelmeer und die EU-Regierungen schauen zu. Verlieren Deutschland und die EU so nicht ihre Glaubwürdigkeit?
Auf jeden Fall. Der Umgang mit der arabischen Revolution ist ein gutes Beispiel: Wir finden das gut, aber wollen auf keinen Fall Flüchtlinge aufnehmen, nicht einmal aus Libyen. Wenn die EU-Außenbeauftragte Ashton dann in irgendeinem Land der Welt Menschenrechtsverletzungen anprangert, dann wird sie natürlich gefragt: "Und wie behandelt ihr in der EU eure Flüchtlinge?"
Aber sind Sie als EU-Abgeordnete nicht mitverantwortlich für diese Politik?
Unser Einfluss ist leider sehr begrenzt. Die Entscheidungen liegen größtenteils bei den Mitgliedsstaaten. Nehmen wir das Beispiel Frontex: Wir EU-Abgeordneten haben gefordert, dass die Grenzschutz-Behörde in Zukunft von einem unabhängigen Beobachter kontrolliert wird. Außerdem wollten wir, dass festgeschrieben wird, dass der Einsatz von Gewalt "verhältnismäßig" sein muss. Beides haben die Mitgliedsstaaten - darunter auch Deutschland - aus dem Frontex-Mandat wieder rausgeworfen.
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