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Situation in MittelamerikaJuristischer Staatsstreich?

Kommentar von Knut Henkel

In Guatemala steht ein demokratischer Machtwechsel auf dem Spiel. Hoffnung macht Honduras, wo die Präsidentin eine unabhängige Justiz anstrebt.

Unterstützungsdemo für den gewählten Präsidenten Bernardo Arévalo von Guatemala am Montag Foto: Cristina Chiquin

D ie Forderung der Protestbewegung in Guatemala ist eindeutig: „Rücktritt von Consuelo Porras und ihrer Spießgesellen“ steht auf einem der Transparente am Zaun der Generalstaatsanwaltschaft im Zentrum von Guatemala-Stadt. Seit Wochen laufen landesweit die Proteste gegen die Manipulation der Justiz durch den „Pakt der Korrupten“ in dem mittelamerikanischen Land mit Straßenblockaden und Demonstrationen.

Mittlerweile haben sich Einkaufszentren und Großmärkte der Forderung der Zivilgesellschaft angeschlossen, die gegen eine korrupte Justiz mobilmacht, die alle Register zieht, um den designierten Präsidenten Bernardo Arévalo zu schwächen oder gar zu verhindern.

Es ist der zweite demokratische Frühling nach 2015 in dem von Armut, mächtigen traditionellen Eliten und Drogenbanden geprägten mittelamerikanischen Land. Damals gingen 150.000 Menschen auf die Straße, um den damaligen Präsidenten Otto Pérez Molina wegen Korruption zum Rücktritt aufzufordern. Erfolgreich, dank der Beweise für das Bestechungsnetzwerk „La Línea“, die damals die Cicig, die UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala, präsentiert hatte. Die Sternstunde der Zivilgesellschaft – die damals in der Wahl des korrupten Komikers Jimmy Morales endete, der die Cicig im September 2019 aus dem Land warf – scheint sich derzeit zu wiederholen.

Ende August hatte die große Mehrheit der Wäh­le­r:in­nen für den sozialdemokratischen Soziologen Bernardo Arévalo gestimmt. Arévalo tritt für den politischen Wandel und ein Ende der omnipräsenten Korruption ein – und ist als solcher eine ernste Gefahr für das korrupte politische Establishment. Das in kritischen Medien als „Pakt der Korrupten“ bekannte Netzwerk aus Politiker:innen, Militärs und Unternehmer:innen, das de facto seit 2017 alle staatlichen Institutionen unterwandert, macht mobil gegen den demokratisch legitimierten Arévalo.

Wirtschaftliche Sanktionen, die in Guatemala von Menschenrechts­organisationen gefordert werden, sind derzeit nicht in Sicht

Zentrales Instrument dabei ist eine willfährige Justiz unter der Regie von Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras, die Unregelmäßigkeiten bei der Gründung der Partei „Movimiento Semillas“ von Arévalo beanstandet und mithilfe willfähriger Richter Anstalten macht, die Partei zu verbieten. Das würde die Position des designierten Präsidenten im Parlament des Landes massiv schwächen. Und der noch amtierenden Präsident Alejandro Giammattei? Der steht loyal hinter dem „Pakt der Korrupten“ und ist ein Hindernis für die Demokratisierung des Landes.

Längst geht die Angst in Guatemala um, dass die für den 14. Januar 2024 anstehende Vereidigung Arévalos verhindert werden soll. Der Begriff des „juristischen Staatsstreichs“ macht die Runde, und seit Mitte September warnt auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vor einer „gefährdeten Machtübernahme“. Deutlicher wurde Kolumbiens Präsident Gustavo Petro: In Guatemala sei ein Staatsstreich im Gange, alle demokratischen Regierungen Amerikas und der Welt müssten nun reagieren, forderte er und sprach sich für Sanktionen im Rahmen der OAS-Charta aus.

Doch wirtschaftliche Sanktionen, die in Guatemala von Menschenrechtsorganisationen gefordert werden, sind derzeit nicht in Sicht. Sie könnten allerdings die einflussreichen Wirtschaftsverbände des größten mittelamerikanischen Landes zum Einlenken zwingen und einem System den Boden entziehen, das sich der Justiz als Instrument des politischen Machterhalts bedient.

Ab nach Nicaragua

Kein Einzelfall in Mittelamerika: so in Nicaragua, wo die Justiz längst zum Instrument des diktatorisch regierenden Ehepaars Daniel Ortega und Rosario Murillo verkommen ist; in El Salvador, wo die Verfassungsrichter im Mai 2021 auf Befehl des amtierenden Präsidenten Nayib Bukele verfassungswidrig ausgetauscht wurden. Hoffnung macht Honduras: Dort versucht die im Januar 2022 vereidigte demokratische Regierung von Xiomara Castro die Kehrtwende. Die derzeit laufende Ernennung ei­ne:r neuen Ge­ne­ral­staats­an­wäl­t:in ist dafür das beste Beispiel: Bisher konnten sich die Par­la­men­ta­rie­r:in­nen allerdings nicht auf die Nachfolge des berüchtigten Óscar Chinchilla einigen.

Chinchilla, acht Jahre lang der Erfüllungsgehilfe der hochkorrupten und in den Drogenschmuggel involvierten Regierung von Juan Orlando Hernández (2014 bis 2022), hatte sich nach dem Ende seiner Amtszeit nach Nicaragua abgesetzt. Gegen Ex-Präsident Hernández wiederum läuft in den USA ein Prozess wegen Drogenschmuggels. In Honduras gilt er als Kopf eines für Korruption, Rechtsbeugung und Drogenschmuggel verantwortlichen Netzwerks, das alle Institutionen des demokratischen Rechtsstaates unter Kontrolle gebracht hatte.

Reformprozess in Honduras

Eine Parallele zu Guatemala. Allerdings läuft in Honduras ein Reformprozess, der die Unabhängigkeit der Justiz in dem von Armut, Gewalt und Auswanderung geprägten Land wiederherstellen soll. Zumindest ist dies das erklärte Ziel der seit Ende Januar 2022 regierenden Xiomara Castro. Sie verhandelt mit den Vereinten Nationen über die Gründung einer UN-Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (Cicih), die noch in diesem Jahr abgeschlossen werden könnte, so Experten wie der honduranische Jurist Joaquín Mejía. Er hofft auf die Gründung der Cicih, die Signalcharakter für die ganze Region haben könnte – falls parallel dazu wirklich Bernardo Arévalo in Guatemala-Stadt vereidigt wird.

Dafür braucht es allerdings internationale Unterstützung, die über die verbale Kritik an der noch amtierenden Regierung von Alejandro Giammattei hinausgeht. Erst Anfang Oktober warnte dieser, dass er die Ordnungskräfte losschicken werde, falls die friedlichen Straßenblockaden und Demonstrationen nicht enden würden, die angeblich aus dem Ausland finanziert würden.

Giammattei sorgt dafür, dass die Angst vor der Verhängung des Ausnahmezustands in Guatemala zunimmt.

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