piwik no script img

Sippenhaft in BremenSozi auf Abwegen

Von der Forderung eines Bremer SPD-Ortsamtsleiters, einen jungen Straftäter mitsamt seinen Eltern abzuschieben, distanzieren sich die Genossen nur zögerlich.

Hier will der SPD-Ortsamtsleiter "härter durchgreifen: die George-Albrecht-Straße in Bremen . Bild: Michael Bahlo

BREMEN taz | Dass die Forderung nach Sippenhaft nicht zum Programm der SPD gehört, müssen dieser Tage SPD-GenossInnen in Bremen beteuern. Denn der Ortsamtsleiter des Bremer Stadtteils Blumenthal, Peter Nowack, spukt mit der Forderung durch Lokalzeitungen, einen 15-Jährigen „Intensivtäter“ mitsamt seinen Eltern abschieben zu wollen. Nowack ist Sozialdemokrat, auf die Idee mit der Abschiebung kommt er, weil die Familie des Jungen nicht aus der EU stammt. Auf rechten Webseiten bekommt er dafür ebenso Beifall wie von manchem Sozialdemokraten.

Die Äußerungen des Ortsamtsleiters Nowack stehen im Zusammenhang mit einem Wohnkomplex in der George-Albrecht-Straße in Blumenthal. Die gilt als Gefahrenort, als ein „sozialer Brennpunkt“ mit viel Kriminalität. Viele MigrantInnen leben dort, viele Roma und Albaner, ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Die Wohnungen würden von der Immobilienfirma vernachlässigt, die Menschen dort ghettoisiert, kritisieren Flüchtlingsaktivisten.

Im Juli nun kam es zu einer Gewalttat gegen eine 89-jährige Anwohnerin. Ein 15-jähriger, mehrfach verurteilter Roma wird verdächtigt, die alte Frau brutal verletzt und überfallen zu haben, er sitzt in Untersuchungshaft. Im Oktober später verhinderte die Polizei nur knapp eine Massenschlägerei.

Anlass für Ortsamtsleiter Nowack, härteres Durchgreifen zu fordern. Er wolle einen „Trouble Shooter“, der bei „Zuckerbrot und Peitsche“ auch einmal sage, dass „das Zuckerbrot nun alle“ sei, wird er von einer Lokalzeitung zitiert. Und er forderte, den 15-Jährigen zu verurteilen und zusammen mit seinen Eltern abzuschieben.

Vergangenen Mittwoch, ein paar Tage nach einem taz-Bericht, folgte der große Aufschlag in der Bild-Zeitung: „Jetzt redet der erste Ortsamtsleiter Klartext“, titelte das Blatt. Dafür, dass Nowack gewagt habe, die „Ausländerkriminalität“ anzusprechen, wird er auf rechten Webseiten gefeiert.

Auf seiner Facebook-Seite schreibt Nowack, er sei falsch zitiert worden: „Den Roma oder deren Familie“ habe er nie die Schuld gegeben. „Ich habe auch niemals die Abschiebung einer Romafamilie gefordert.“

Gegenüber der taz hatte er noch betont, die Eltern sogar „sofort“ abschieben zu wollen, weil diese schließlich in der Erziehung des Jungen versagt hätten. Dass es Roma sind, muss er in Blumenthal nicht dazusagen.

Die Linken-Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt ist fassungslos ob dieser rechtswidrigen Forderung eines Bremer Beamten. „Die Familie hat auch andere Kinder, die überhaupt nicht auffällig sind“, so Vogt. Sie spricht von „öffentlicher Hetze“.

Und die Bremer SPD? Nur ungern wollen sie zu Nowack etwas sagen. „Die Menschen vor Ort dürfen nicht im Stich gelassen werden“, heißt es vom SPD-Fraktionssprecher André Städler. „Populistische Parolen wie die des Ortsamtsleiters helfen aber niemandem. Im Gegenteil.“ Der sozialpolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion, Klaus Möhle, sicherte Peter Nowack indes auf dessen Facebook-Seite seine Unterstützung zu, auch wenn sich Nowack „auf dünnem Eis“ bewege. Abschiebung zu fordern sei ein Fehler, sagt Möhle zur taz, aber: „Es gibt auch einen Reflex, ’Rassist‘ zu schreien, wenn man sagt, dass jemand was macht, was nicht in Ordnung ist.“ Ein Skandal sei, dass ein 15-Jähriger eine Oma halbtot schlage.

Klarer werden die Bremer Grünen. „Wir lehnen die Forderung nach Sippenhaft entschieden ab“, sagt Björn Fecker, der Innenpolitische Sprecher der Grünen. „Es wird nicht unkommentiert stehen bleiben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • MG
    Molly Grue

    Es ist schade, dass das auch hier offenbar kein Thema ist. Kein Thema, ist so ein Schlagwort und bedeutet in der Umgangssprache, es sei kein Problem. Das ist es aber doch! Und wie man sieht, wird sich nichts ändern, das Drumherumschweigen geht weiter.

  • MG
    Molly Grue

    Fakt ist, es wird zu wenig über das Thema geredet. Seit zig Jahren schon ist das ein Aufreger für mich und meine Familie. Wir wohnen im tiefsten Gröpelingen. Wir leben im großen und ganzen friedlich und sogar freundschaftlich mit unseren Nachbarn, und deren sind es viele, zusammen. Aber durch eine für uns uneinsehbare Einwanderungspolitik (ist das das richtige Wort) leben hier viele Menschen aus anderen Ländern im luftleeren Raum und scheinen das auch als eine Art rechtsfreien zu betrachten. Es sind aber auch etliche Jugendliche, die hier schon aufgewachsen sind, die sich radikaliseren. Viele Jahre zuvor hatten wir schon versucht, über diese Dinge und die großen und kleinen Ärgernisse der Eingeborenen und Zuwanderer in irgendeiner Form öffentlich zu reden. Aber es wurde zumal in Vergangenheit alles zugedeckt und schöngeredet. Die Leute, die Verantwortung tragen, oder hier in etlichen Instistutionen arbeiten aber, leben ganz anderswo, gut und sicher und auch in einem angenehmeren Umfeld. Zu den Ärgernissen gehört auch eine zunehmende Verwahrlosung und Vermüllung. Da gehört schon viel Sympathie und Großzügigkeit dazu, das in Kauf zu nehmen, und in diesem Stadtteil wohnen zu bleiben. Das ist die Folge, dass die Strukturen sich verändern und am Ende alle Wohlmeinenden, die es sich leisten können, auch noch das Weite suchen. Aber ich glaube, das ist irgendwie bekannt, und doch wird nichts getan.

    Auch die Medien tanzen nur in theoretischen Eiertänzen drumherum.

  • OM
    Oliver Meier

    Dass Ortsamtsleiter Nowack (SPD) sich des Themas Gewaltentwicklung im eigenen Stadtteil offensiv annimmt, ist ihm wegen der hier in Bremen zu erwartenden politischen Widerstände hoch anzurechnen. Dabei wäre es eigentlich grob fahrlässig, würde er diese Eskalation einfach weiter treiben lassen. Die Linken, die ihm nun auf ihrer Bremer Internet-Seite in einer eigens verfassten Hetzschrift wiederum die "Tonalität der rechtspopulistischen Hetzer BIW" vorwerfen, schließen sich sicher auch dem Vorschlag einer weiteren Kritikerin, der integrationspolitischen Sprecherin Valentina Tuchel (SPD) an: Sie fordert im Falle des 15-Jährigen Intensivtäters aus der George-Albrecht-Straße, dass dieser auch bei 500 ermittelten Straftaten von einer Abschiebung verschont zu bleiben habe. Im Zusammenhang mit der bekannten Bremer Kuschel-Justiz, die von Intensivtätern sicher als Letztes mit Strafe in Verbindung gebracht wird, bedeutet diese Grundhaltung keinen Lösungsansatz, sondern eine Bankrotterklärung. Man kann als Linker ja durchaus diese politische Denkweise favorisieren, sollte sich dann aber auch als potentielles Opfer zukünftig zu Verfügung stellen. Ein freiwilliger Wohnsitzwechsel der linken Abschiebungs-Gegner in die George-Albrecht-Straße würde diesem sozial-romantischen Politikansatz die nötige Glaubwürdigkeit verleihen. Das trägt ganz nebenbei auch zu einem persönlichen Erkenntnisgewinn bei. Wenn wir uns als Bevölkerung schon in die Opferrolle begeben sollen, dann bitte auch die dafür Verantwortlichen vorneweg.