Protest nach der Erschießung von Lorenz: Wir sollen gefälligst leise sterben
Nach den tödlichen Polizeischüssen auf Lorenz fordern viele Gerechtigkeit. Doch statt Aufklärung gibt es Mahnungen zur Mäßigung – dabei ist Wut eigentlich überfällig.

S eit der Erschießung von Lorenz durch die Polizei gibt es in vielen Städten Gedenkkundgebungen und Demonstrationen. Es ist schmerzhaft, dass Menschen, die eine nahestehende Person auf schreckliche Art und Weise verloren haben, sofort handeln und ihren Forderungen nach Aufklärung und Konsequenzen Gehör verschaffen müssen. Denn die Erfahrung zeigt: Von alleine passiert das nicht.
Es ist eine traurige Wiederholung, dass Schwarze Menschen oder PoC sterben und die ersten Forderungen nach Aufklärung nicht von Politik und Behörden kommen, sondern von Zugehörigen, Communitys und Aktivist*innen. Sie wissen: Ohne Aufmerksamkeit werden die genauen Umstände des Todes eines geliebten Menschen nicht aufgeklärt und keine Konsequenzen gezogen, um weitere Tode zu verhindern.
Und dann sind auf einmal sie es, die den Frieden stören. In Hanau ist es fünf Jahre danach die Tat eines rechtsextremen, der aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordete, die die Stadt nicht zur Ruhe kommen lässt. Doch die Stadt echauffierte sich über die wütende Rede einer Mutter und drohte mit Konsequenzen für das öffentliche Gedenken.
Bürgermeister beklagt polarisierte Debatte
In Oldenburg mahnt der Bürgermeister zur Besonnenheit und warnt vor „Vorverurteilungen, Diffamierungen, Spekulationen und Verallgemeinerungen“ in Bezug auf die Polizei. Im gleichen Statement diffamiert er jedoch diejenigen, die Rassismus in der Polizei thematisieren, als „extremen politischen Rand“. Er beklagt die polarisierende Debatte und wünscht sich deshalb schnelle Klarheit.
Sich schnelle Aufklärung zu wünschen, ohne dabei Gründlichkeit zu fordern, klingt, als würde man einfach schnell in die Normalität zurückwollen. Doch diese Normalität ist eine, in der Menschen sterben, weil anderen ihre Hautfarbe nicht passt. In der Schwarze und PoC als verdächtig gelten und ständigen „Vorverurteilungen und Verallgemeinerungen“ ausgesetzt sind. Wer dagegen laut protestiert, stört den Frieden. Wir sollen gefälligst leise sterben.
Die Black-Lives-Matter Bewegung in Deutschland, war bunt, lebensbejahend und Instagram-tauglich. Schon dort wurde von Organisator*innen musterhaft zu friedlichen Demonstrationen aufgerufen. Auch bei den Protesten für Gerechtigkeit für Lorenz wird zuerst von Demonstrierenden Friedlichkeit gefordert. Dabei gibt es keine Tradition von Ausschreitungen Schwarzer Demos in Deutschland.
Der Wut Raum geben
Schwarze Menschen mit Aggression und Gewaltbereitschaft zu assoziieren ist ein rassistisches Stereotyp, das sich hartnäckig hält und durch diese Mahnungen weiter verbreitet wird. Auch viele Schwarze Menschen und ihre Verbündete haben das internalisiert.
Außerdem wirkt die Angst. Genauso wie Schwarze Eltern ihren Kindern sagen, dass sie sich besonders gut benehmen sollen, weil sie um die Gefahr wissen, die nur ein Fehltritt mit sich bringen kann, deeskalieren Schwarze Aktivist*innen, bevor auch nur ein Stein geflogen oder eine Scheibe zerklirrt ist. Auch wenn es kaum Anlass gibt zu denken, dass das passieren könnte.
Es wäre angemessener, die Polizei zur Deeskalation aufzufordern, statt sich gegenseitig als potenziell gewalttätig zu framen. Wir schaffen es immer mehr, uns öffentlichen Raum für unsere Trauer zu nehmen und zusammenzukommen, um Hoffnung zu spenden. Nun ist es an der Zeit, die Angst vor unserer eigenen Wut zu verlieren, bevor sie sich überhaupt richtig artikuliert hat.
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