Silvester-Böllerverbotsdebatte: Lärmende Traditionen des Nordens

Während hierzulande noch an überholten Traditionen der Geistervertreibung festgehalten wird, sind einige Länder Südeuropas schon deutlich weiter.

Eine abgebrannte Silvesterrakete und die Reste von vielen Böllern auf einer straße

In Italien sind Böller und Raketen verpönt Foto: Shotshop/imago

Es ist ja auch für Südeuropäer verständlich, wenn die um die Jahres- und Sonnenwende in Dunkelheit versinkenden Nordmenschen sich nach Licht sehnen. Und schöne Sitten entwickelt haben, um die beklemmende Dunkelheit zu bekämpfen. So den Weihnachtsbaum. Oder Kuhglocken und Lärm, um die Geister der Kälte zu bekämpfen.

Selbstverständlich wurde im Süden akzeptiert, dass man die Dunkelheit vertreiben muss, auch wenn man selbst schon Ende Januar die Sonne genießen kann. Im Zeitalter der Elektrotechnik ein herrlich anzusehendes Lichtermeer neu zu erschaffen wird auch im Süden geschätzt, und man hat in den letzten Jahrzehnten die nördlichen Sitten bis hin zum Kitsch für sich selbst genutzt. Selbst die Tradition, den Winter mit Lärm zu vertreiben, wurde vom Norden übernommen, ohne sie zu hinterfragen. Bis jetzt.

Denn wenn im Norden und vor allem in Deutschland mit Raketen und Böllern ein Tschingderassabum nie gekannter Art entfesselt wird, ruft das im Süden Europas Widerstand hervor. In Italien sind Böller und Raketen verpönt.

Seit Jahren schon flüchten Touristen aus den Nachbarländern wie Kroatien, Österreich und Slowenien nach Italien, um dem Geschieße und dem Lärm zu entgehen. Auch für Hundebesitzer war der Trip nach Venedig oder Triest am Silvesterabend quasi Pflicht, um den Übergang ins neue Jahr ohne Angst um den Hund und in Ruhe zu genießen – Ärzte haben ja festgestellt, dass die Ballerei die Tiere regelrecht krank macht – und nicht nur die.

Dieses Jahr haben über 50 kroatische Städte und Gemeinden Böller und Feuerwerke verboten, nur in der dalmatinischen Hafenstadt Split will man auf das tradi­tionell durchaus ansehnliche Feuerwerk über dem Meer nicht ganz verzichten. Doch drumherum und in den Nachbar­gemeinden wird alles ruhig bleiben.

Szenen wie vor Jahren in Trogir, als während der Neujahrsmesse Böller auf die katholische Kirche geworfen wurden, sollen sich nicht wiederholen. Darum hat sich die Kirche bemüht. Aber auch Umweltaktivisten und Tierschützer meldeten sich zu Wort. Es entstand eine für Kroatien ungewöhnliche Allianz. Und nicht nur dort, auch in anderen Ländern des Balkans.

Auch in Sarajevo, der Hauptstadt Bosnien und Herzegowinas, hat jetzt die Vernunft gesiegt. Denn die Stadt trug für einige Tage den fragwürdigen Titel Stadt mit der höchsten Luftverschmutzung der Welt. Bürgermeisterin Benjamina Karić verfügte derart strenge Auflagen, dass es wohl kaum zu einem Feuerwerk kommen wird. Die Leute aus den höher gelegenen Reichenvierteln sind sauer. Ist sie eine Spaßbremse? Für alle jene, die Spaß an so was haben, sicherlich.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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