Sigmar Gabriel über die Krise: „Banken müssen langweilig werden“
Banken müssen insolvent gehen können, ohne Volkswirtschaften zu bedrohen, meint SPD-Chef Gabriel. Ein Gespräch über Populismus, Zeitungsverkäufe und Merkels Selbstironie.
taz: Herr Gabriel, Sie sind gerade in der Babypause. Wo kann man im Willy-Brandt-Haus sein Kind wickeln?
Sigmar Gabriel: Andrea Nahles hat nach der Geburt ihrer Tochter ein Eltern-Kind-Zimmer im Willy-Brandt-Haus einrichten lassen, da ist Spielzeug und auch ein Wickeltisch. Das nutze ich, wenn es nötig sein sollte. Aber ich habe nicht die Absicht, meine Tochter allzu häufig mit der SPD-Zentrale zu konfrontieren.
Bei Politikerinnen, die sich um ihr Kind kümmern, wird gefragt: Darf die das? Bei Politikern gilt es eher als cool.
Keine Ahnung, wie die Leute das finden. Natürlich gibt es eine unterschiedliche Wahrnehmung von Männern und Frauen, aber der muss man sich verweigern, weil die albern ist. Jeder Mensch soll sich freuen, ein Kind mit zu erziehen und aufwachsen zu sehen. Wer das verpasst, verzichtet auf ungeheuer viel Glück und Lebensfreude.
Herr Gabriel, bei welcher Bank haben Sie Ihr Geld?
Bei der Volksbank. Das ist der einzige Ort, wo man in Ruhe Genosse sein kann. (lacht)
Vertrauen Sie Ihrer Bank?
, 53, war von 1999 bis 2003 Ministerpräsident von Niedersachsen und von 2005 bis 2009 Bundesumweltminister. Seit dem Jahr 2009 ist Gabriel SPD-Parteivorsitzender.
Ja. Auch Volksbanken und Sparkassen können Fehler machen. Aber das sind Banken, bei denen ein verlässliches Einlagensicherungssystem existiert. Und selbst wenn eine einzelne dieser Banken insolvent wird, würde das nicht gleich den Staat ruinieren. Die machen das wichtige, aber langweilige traditionelle Bankgeschäft: Sie leihen der Realwirtschaft Geld. Dafür plädiere ich: Banken müssen wieder langweilig werden.
Und wie?
Da müssen wir erst mal das Ziel beschreiben: Banken müssen insolventgehen können, ohne dass es Auswirkungen auf die europäische Volkswirtschaft hat und der Staat als Retter einspringen muss.
Das ist Konsens von der Linkspartei bis zur FDP.
Ja, dem Reden nach. Aber wie schafft man das? Erstens: Wir müssen das Risiko des Investmentbankings vom traditionellen Geschäft trennen. Das muss nicht zwangsläufig eine Aufspaltung von Banken sein. Es gibt andere Möglichkeiten, die Spekulation einzugrenzen, durch eine stärkere Abschirmung der Geschäftsbank. Man kann den Eigenhandel von Banken einschränken, indem man ihn an höhere Eigenkapitalstandards bindet. Wichtig ist es, Investment und traditionelles Geschäft zu trennen.
Lehman Brothers war aber eine reine Investmentbank.
Ja, aber das Problem war, dass andere Geschäftsbanken mit Lehman extrem stark vernetzt waren. Es gilt eben die Bereiche Investment- und Geschäftsbanken wirklich zu trennen – also nicht nur innerhalb einer Bank, sondern vor allem zwischen den Banken. Zweiter Punkt: Banken brauchen ein eigenes ausreichendes Sicherungssystem, damit der Steuerzahler möglichst nicht haftet. Der Bankensektor soll selbst entscheiden, welche Bank abgewickelt wird. Es geht also auch um bestehende Aktionärs- und Eigentumsverhältnisse. Und da endet die Gemeinsamkeit. Das will die FDP nicht, das wollen Teile der Union nicht.
Wolfgang Schäuble hat Ihnen, wegen Ihrer Bankenthesen, billigen Populismus vorgeworfen. Trifft Sie dieser Vorwurf?
Nein, warum? Das ist ja unter Politikern sowieso ein seltsamer Vorwurf. Etwa so, als ob die taz und die Bild sich gegenseitig vorwerfen würden, dass sie versuchen ihre Zeitungen so zu machen, dass Leser sie kaufen. Schäuble merkt, dass die Bevölkerung bei der Bankenkrise die Nase voll hat. Dass die Deutsche Bank und der Bankenverband sich über meine Thesen aufregen, ist doch verräterisch. Die fühlen sich zu Recht getroffen und sie wissen: da könnte man noch sehr viel tun. Und da verlässt sich der Bankenverband lieber auf CDU/CSU und FDP als auf die SPD. Und aus deren Sicht ist das durchaus berechtigt.
Der Bankenverband hat doch stets erklärt, dass die Politik doch bitte die Sparkassen und Volksbanken abschaffen soll. Die SPD will eine robuste und harte Regulierung des Bankensektors. Das unterscheidet uns diametral von den Neoliberalen in Union und FDP.
Trauen Sie sich im Wahlkampf zu sagen: Deutschland subventioniert in der EU andere Staaten – und das ist auch gut so?
Das tun wir doch längst. Und wir tun das nicht aus esoterischen Gründen, sondern – lässt man die politischen Gründe mal weg – aus purem Egoismus: Denn ökonomisch ist Deutschland der Gewinner des Euro. Wir verdienen an ihm. Ich habe das Gerede, dass wir Nettozahler sind, schon falsch gefunden, als es noch von Sozialdemokraten kam.
Von Gerhard Schröder …
Deutschland hat, wenn man auch unseren Exportüberschuss einbezieht, eine halbe Billion Euro verdient. Wir sind nicht der Lastesel. Und wir brauchen Europa auch politisch. Alleine hat selbst das große und starke Deutschland in Zukunft keine Stimme mehr in der Welt. Der chinesische Staatschef wird nicht 27 Regierungschefs anrufen und fragen, was wir so denken. Das ist die neue Begründung für Europa im 21. Jahrhundert: Bislang war Europa eine Interessenvertretung nach innen und sollte Frieden und Wohlstand sichern. Das bleibt. Aber jetzt muss Europa die Interessenvertretung seiner Bürgerinnen und Bürger nach außen werden.
Scheitern wir schon bei unserer Währung, werden wir nicht mehr ernst genommen und die Zentrifugalkräfte in Europa werden wieder zunehmen. Unsere Kinder und Enkel werden uns dafür verfluchen.
Jean-Claude Juncker hat gesagt, dass Deutschland „die EU wie eine Filiale behandelt“. Zu Recht?
Er meinte wohl – ohne es auszusprechen – Politiker wie Philipp Rösler von der FDP und Horst Seehofer von der CSU. In der Tat finde ich es wie Juncker unerträglich, das Jahrhundertthema Europa ständig nur für die innenpolitische Profilierung zu missbrauchen. Wie schlecht muss es diesen beiden Parteien gehen, wie wenig Verantwortungsbewusstsein müssen diese „Stützen“ der Regierung haben, dass sie heute die Griechen rauswerfen wollen, morgen dann Herrn Juncker ablösen und übermorgen vermutlich Herrn Draghi von der EZB. Frau Merkel muss aufpassen, welche Irrlichter sie da durch die Lande ziehen lässt.
Warum ist Merkel dann so populär? Warum trauen die meisten Merkel in der Eurokrise – und nicht der SPD?
Wenn die Bürger uns nichts zutrauen würden, hätten wir bei den letzten elf Landtagswahlen nicht so gut abgeschnitten. Zweitens: Die SPD hat eben, anders als die Union, mehr als nur eine Person. Es waren Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz, die Deutschland durch die letzte Krise 2008 gesteuert haben – gegen die Union. Merkels Leistung war es, uns in der großen Koalition die Union vom Hals zu halten, denn die waren ja anfangs komplett gegen Konjunkturprogramme oder Kurzarbeiterregelung.
Das klingt nach einem prima Modell für 2013: Merkel bleibt Kanzlerin, die SPD macht wieder die Arbeit.
Nein, danke. Man muss nicht in einer gemeinsamen Regierung sitzen, um in wichtigen Fragen gemeinsame Politik zu machen. Das hat übrigens in Deutschland große Tradition und galt früher sogar in wichtigen innenpolitischen Fragen. Ich bin wirklich dafür, in Europafragen den größtmöglichen Konsens zu suchen. Und ein sozialdemokratischer Kanzler wird von Anfang an und offensiv das Parlament in dieser wichtigen Frage weit mehr beteiligen. Das tut Deutschland gut, Europa auch.
Aber andererseits gibt es das tief sitzende Gefühl bei vielen, dass es nicht mehr fair zugeht. Es gibt 30 Jahre neoliberale Theologie, die sich ganz schön im Lieblingssatz der FDP zusammenfassen lässt: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Die Bürger merken: So funktioniert eine Gesellschaft nicht. Deshalb hat eine Regierung links der Mitte Chancen. Klar ist: Schwarz-Gelb wird 2013 keine Mehrheit haben.
Das Problem der SPD ist: Alle gehen davon, dass es, gerade in der anrollenden Wirtschaftskrise, nach der Bundestagwahl 2013 eine große Koalition gibt.
Bei uns ist klar: Wir wollen keine große Koalition, weil sie nicht genug Gemeinsamkeiten hätte. In der Europafrage vielleicht. Aber was ist mit der Bürgerversicherung, einem gerechteren Steuersystem, der Bildung? In allen wichtigen Fragen sind die Überschneidungen zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen weit größer. Und deshalb wollen wir mit ihnen regieren. Und wir werden ein halbes Jahr vorher bei der Landtagswahl in Niedersachsen zeigen, dass das auch geht. Dort wird es keine große Koalition geben, sondern eine rot-grüne Regierung, die Schwarz-Gelb ablöst. Ich bin da ganz entspannt.
Ist die Ampel eine Möglichkeit?
Nicht mit der FDP von heute.
In Umfragen schneiden Sie im direkten Vergleich mit Angela Merkel besonders schlecht ab. Warum?
Ich könnte jetzt sagen: Das war bei Angela Merkel im Vergleich zu Gerhard Schröder auch mal so. Trotzdem ist sie Kanzlerin geworden. Aber ich finde es normal, dass Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück sehr populär sind. Und Sie haben Hannelore Kraft vergessen.
Aber Ihnen trauen die Wähler viel weniger als Steinmeier und Steinbrück zu, ein guter Kanzler zu werden. Warum?
Weil die beiden in der letzten Regierung als Minister Gewaltiges bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise geleistet haben. Deshalb verdienen sie dieses Vertrauen.
Können Sie etwas von Angela Merkel lernen?
Ich schätze an ihr, dass sie ihr Amt nicht wie eine Monstranz vor sich herträgt. Sie hat Selbstironie. Das macht sie grundsympathisch. Und sie ist sehr verlässlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs