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Sierra Leones Regierung im Endkampf

Frisches Eliteregiment aus Nigeria soll jetzt die RUF-Rebellen restlos aus der Hauptstadt Freetown vertreiben. Diese rufen nun zur Waffenruhe auf. Hunderttausende von Zivilisten ohne Versorgung oder Schutz  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Hunderttausende von Menschen in der umkämpften sierraleonischen Hauptstadt Freetown sind schutzlos, während der Krieg zwischen den Rebellen der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF) und der von Nigeria geführten Eingreiftruppe Ecomog weiter eskaliert. Aus Angst traut sich die Zivilbevölkerung der Stadt nicht mehr aus den Häusern. Es gibt kaum noch Lebensmittel, Versorgung mit Strom, Wasser oder medizinischer Nothilfe existiert ohnehin nicht mehr. Wer auf die Straße geht, muß mit dem Tod rechnen, da die Regierung nach wie vor behauptet, die Rebellen würden sich unter die Zivilbevölkerung mischen. Auf Seiten der Ecomog kämpft die gefürchtete regierungstreue Miliz „Kamajor“, die sich aus der Ethnie des Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah rekrutiert und nicht zögert, Angehörige anderer Volksgruppen pauschal zu Rebellen zu erklären und sie zu töten.

Fluchtmöglichkeiten aus Freetown gibt es nicht. Die Regierung hat jetzt sogar angekündigt, jedes aus Freetown auslaufende Boot zu versenken – es könnten ja Rebellen darin sein. Nach dem Abzug des Internationalen Roten Kreuzes, dessen letzte fünf ausländischen Mitarbeiter jetzt von der Regierung ausgewiesen wurden, ist auch keine ausländische Hilfsorganisation mehr in Freetown aktiv.

Für gestern nachmittag kündigte die Führung der Ecomog die Ankunft eines frischen Eliteregiments aus Nigeria an, um die Rückeroberung Freetowns von der RUF zu vollenden. „Beim letzten Mal machten wir den Fehler, nicht bis zum Äußersten zu gehen“, sagte ein hoher Ecomog-Militär. „Diesmal werden wir den Job zu Ende bringen.“ Seitdem die RUF-Rebellen vergangene Woche in einem Überraschungsangriff Freetown einnahmen, hat die Ecomog erhebliche Verstärkung eingeflogen und erobert die Stadt jetzt Straße für Straße zurück. Dabei setzt sie auch schwere Artillerie ein, die erhebliche Zerstörungen anrichtet. Die RUF hat ihrerseits bei ihrem Rückzug große Teile des Stadtzentrums in Brand gesteckt.

Wieviele Menschen in der Schlacht um Freetown bereits gestorben sind, weiß keiner, aber die Zahl dürfte in die Tausende gehen. In Hilfsorganisationen kursieren Schätzungen, wonach die 15.-19.000 Mann starke Ecomog zehn Prozent ihrer Soldaten verloren hat. Die Straßen seien voller Leichen. Allein um ein Krankenhaus im Zentrum herum sollen 200 Tote liegen. Der italienische Priester Giuliano Pini, der zuerst zusammen von den Rebellen und dann von der Ecomog gefangengenommen und schließlich außer Landes geflogen wurde, nannte die Lage in der Stadt „apokalyptisch“.

Pini war von den Rebellen am Sonntag zusammen mit einem weiteren italienischen Missionar gekidnappt worden. Ecomog-Soldaten fanden ihn bei einem ihrer Angriffe auf Rebellenstellungen und hielten ihn für einen Söldner der Rebellen; nur die Intervention anderer Kirchenmitarbeiter verhinderte, daß er erschossen wurde. Unterschiedlichen Quellen zufolge kämpfen Söldner aus der Ukraine auf RUF-Seite, während das Regierungslager von Abenteurern aus Südafrika, Frankreich und Großbritannien unterstützt wird. Die RUF hat jetzt offenbar auch den katholischen Bischof von Freetown, Joseph Henry Ganda, gefangengenommen.

Die diplomatischen Bemühungen um ein Ende des Konflikts laufen weiter auf Hochtouren, haben auf die Entwicklung in Freetown jedoch noch keinen Einfluß. Der RUF-Führer in Sierra Leone, Sam Bockarie, kündigte gestern eine Waffenruhe an – aber erst ab Montag. Ähnliche Ankündigungen sind in der Vergangenheit nie eingehalten worden. Die jetzige Ankündigung ist Ergebnis von Vermittlungsbemühungen des Präsidenten von Liberia, Charles Taylor. Nigeria lehnt seine Vermittlung jedoch ab.

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