Siedlergewalt im Westjordanland: Eine neue Rekordzahl an Angriffen auf Palästinenser
Über hundert Siedler-Angriffe in nur einem Monat erschüttern die Palästinenser im Westjordanland. Ein Video, in dem Siedler Schafe abschlachten, geht viral.
Genau 126 Angriffe in weniger als vier Wochen – so viel Gewalt während der Olivenerntesaison hat es im Westjordanland in den letzten fünf Jahren nicht gegeben. Das berichtet das Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA). In 70 Gemeinden haben israelische Siedler Palästinenser*innen verletzt oder deren Häuser, Autos und Grundstücke vandalisiert. Mehr als 4.000 Olivenbäume haben Schaden davongetragen.
Die Zahl bezieht sich auf die Zeit bis zum 27. Oktober, schließt also nicht einmal die Ereignisse der vergangenen Woche mit ein. Erst an diesem Montagmorgen hat ein israelischer Siedler nach Angaben der palästinensischen Agentur Wafa auf einen Mann außerhalb der Stadt Hebron geschossen. Er traf ihn am Kopf. Anschließend sollen Sanitäter*innen des Roten Halbmondes durch israelische Streitkräfte bei ihren Versuchen, dem Mann zu helfen, behindert worden sein. Das berichtet Wafa. Der Mann erlag daraufhin seinen Verletzungen. Eine Anfrage über den Vorfall an das israelische Militär blieb bislang unbeantwortet.
In den letzten Tagen gab es täglich Attacken, wenn auch weniger schwerwiegend, in ganz verschiedenen Regionen: So haben Siedler laut Wafa vor wenigen Tagen Erntearbeiter*innen im nördlichen Dorf Burin angegriffen und sie in die Flucht geschlagen. Eine Sicherheitskraft aus einer benachbarten Siedlung soll laut Bericht die Siedler begleitet haben. Im Dorf Far’ata sollen Siedler am selben Tag laut dem israelischen Medium Times of Israel eine Hühnerfarm und mehrere Autos in Brand gesteckt haben.
Ein Video, das online zirkulierte, zeigt zudem israelische Soldaten, die Oliven aus palästinensischen Bäumen im Dorf Sinjil nördlich von Ramallah stehlen. Das israelische Militär sagte daraufhin, dass die involvierten Streitkräfte bestraft werden. Dem Vorfall soll laut IDF eine Konfrontation mit Steinwürfen zwischen Siedlern und Palästinensern vorausgegangen sein.
Schafe werden brutal abgeschlachtet
Sinjil stand vor wenigen Monaten bereits in den Schlagzeilen, weil die israelischen Behörden einen Stacheldrahtzaun um das gesamte Dorf errichteten. Die Nachrichtenagentur Reuters schrieb damals von einem „großen Gefängnis“. Ein Video ging vergangene Woche viral, in dem ein Bräutigam zu sehen ist, der seine Verlobte im weißen Kleid an einer Schranke an dem zugeschlossenen Zaun abholt.
Ein weiterer Angriff ging im Netz viral: Die Times of Israel veröffentlichte jüngst Aufnahmen einer Attacke in den Hügeln südlich von Hebron. Dabei schlachten maskierte Siedler brutal Schafe ab, die einem palästinensischen Anwohner gehörten. Der Besitzer erkannte die Angreifer als lokale Siedler. Er erklärte: Zehn Tiere seien getötet, manchen die Augäpfel herausgerissen worden. Noch hat es keine Festnahmen gegeben, die israelische Polizei hat aber eine Untersuchung eingeleitet. Das Auto der Angreifer wurde wohl bereits gefunden.
Die Gewalt endet jedoch nicht auf den Feldern und in den Olivenhainen: Bei einer Razzia der israelischen Streitkräfte südlich von Nablus, im Dorf Beit Furik, haben Soldat*innen am Sonntag einen 17-Jährigen erschossen. Das Militär ließ eine Anfrage der taz dazu unbeantwortet. Er ist nicht der einzige minderjährige Tote: Vor nur vier Tagen starb ein 15-Jähriger im Dorf Silwad nahe Ramallah bei Konfrontationen mit dem israelischen Militär, ebenfalls während einer Razzia.
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