Sie werden es nicht mal gemerkt haben: Wenn ich weg bin

Unser Kolumnist verabschiedet sich: Am Ende bleibt ein unentschiedenes Schwanken zwischen Größenwahn und Unsicherheit – wie sonst auch.

Ein frisch geschlüpftes Krokodil

Auf zu neuen Ufern Foto: imago images/imagebroker

Dass diese Kolumne, deren letzte Folge Sie, nebenbei bemerkt, gerade lesen, immer aus so ungeheuer langen und verschachtelten Sätze bestand, dass sie gewisse Leser*innen in gewisse andere Zustände zu tragen vermochte, und welche genau ich damit meine, wissen Sie doch auch nicht, aber das stört ja nicht weiter; ja, dass sie sich und andere von vorne wie hinten über mitunter weit voneinander entfernte Zusammenhangsklippen schweben machte, was einen etwas schwülstigen Euphemismus für eine bestimmte Verwirrung darstellt, die zum Ausdruck oder zumindest zur Ahnung zu bringen ich mir auch dieses Mal wieder vorgenommen habe: Das alles liegt vielleicht in einer Disposition zur Hektik und Flüchtigkeit begründet, einem Gefühl, nicht in Sicherheit zu sein und jederzeit ertappt werden zu können, das nicht wenige von Ihnen teilen dürften.

Es, dieses Gefühl, hat sich, wenn solche Diagnosen erlaubt sind, mit den diversen Struktur- und Kulturumbauten des neoliberalen Staates wohl noch verstärkt; aber wie viel solche Diagnosen im konkreten Fall sagen, ist zweifelhaft, erfährt doch jede*r diese Dynamiken vor allem am eigenen Leib. Der ist, in meinem Fall, wenn ich schreibe, seit ich schreibe, ein total gespensthafter, virtueller, und lädt zu allerlei Spekulationen ein. Das wird, je mehr man darüber nachdenkt, immer schlimmer, und das ist das Schlimmste.

Ein paar Scheine Realität, Zahlen auf Rechnungen, flattern manchmal dazwischen und vermögen doch den Verdacht nicht auszuräumen: Was, wenn sie meine Texte gar nicht drucken und das Geld nur aus Höflichkeit zahlen? Dann wieder kompletter Größenwahn: Eine ganze Zeitung nur über meine inneren Organe, wie wäre das? Schließlich habe auch ich keine Kosten und Mühen gescheut, mich mit den ganz Großen des Betriebs angelegt, aufgedeckt, dass Volker Weidermann nach alter Wäsche riecht und Denis Scheck in eine Kiste gefallen ist. Wenn das mal nichts Echtes war?

Diese inszenierte Ausdehnung meiner Sätze in Ihren Kopf hinein birgt mein Begehren, nicht zu verschwinden. Genau das ist ja das Risiko der zunehmenden Freelancerisierung und das, was uns auf Trab hält. Ein bisschen wie im Straßenverkehr: Manchmal stößt man unerwartet zusammen auf offener Straße, sogar recht oft. Aber die einen haben die Airbags und den Metallkäfig, die anderen nur ihre Knochen.

Mir geht es ja gut und ich habe sogar einen realen Körper, glaube ich, und mir von meinem letzten Honorar sogar noch eine Sonnenbrille gekauft, gegen die Strahlung. Jetzt bin ich gewappnet. Die nachfolgenden Kolumnist*innen werden ihren Job brillant erledigen und wir, Sie und ich, uns hoffentlich bald wiederlesen, wer weiß, wo. Seien Sie nicht traurig: Wenn ich weg bin, werden Sie es nicht mal gemerkt haben.

Ich grüße meine Eltern, mein ungarisches Zackelschaf, die Seifensiederei Bodenschatz in Haltern am See und die alte Frau mit den metertiefen Falten aus der Thomapyrin-Werbung.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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