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„Sie müssen es lieben“

Gespräch mit Arsène Wenger, dem Trainer von Champions-League-Viertelfinalist Arsenal London, über intelligente Spieler, Vorbilder und warum er überhaupt Fußballlehrer geworden ist

Interview: TOBIAS SCHÄCHTER

taz: Herr Wenger, nach langen Verhandlungen wurde am Rande des EU-Gipfels in Stockholm Ende März die Reform des Transfersystems des internationalen Fußballs ratifiziert. Uefa-Präsident Johansson sieht als Folge daraus mehr Stabilität und Planungssicherheit für die Vereine. Schließen Sie sich diesem positiven Fazit an?

Arsène Wenger: Ja, schon. Ich glaube, dass sich die Vereine etwas mehr auf die Jugendarbeit konzentrieren und die älteren Spieler nicht mehr so teuer werden. Dann besteht die Möglichkeit, gute Geschäfte zu machen.

Die ursprüngliche Forderung der EU sah vor, Fußballprofis als ganz normale Arbeitnehmer zu behandeln und entsprechend mit einem dreimonatigem Kündigungsrecht auszustatten. Was würde dies für Ihre Arbeit bedeuten?

Ich glaube nicht, dass es im Fußball wie in einer Fabrik sein kann, wo man einfach rein- und wieder rausgeht. Ohne Stabilität kann man keine gute Mannschaft aufbauen. Man muss länger zusammen spielen, um sich kennen zu lernen. Man muss wissen, wenn der und der rechts geht, gehe ich links. Alles, was den „Spirit“ einer Mannschaft ausmacht, ginge verloren.

Ist es durch das neue Transfersystem schwieriger geworden, Spieler zu verpflichten?

Bisher hat sich nicht sehr viel verändert: Alle machen weiter wie früher. Wir leben da im Moment in einer ganz seltsamen Situation, an der sich vielleicht erst etwas ändert, wenn ein Spieler vor Gericht seine neuen Rechte durchsetzt.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Spieler aus?

Zuerst einmal achte ich auf Intelligenz. Dann auf die Technik. Außerdem muss ein potenzieller Neuzugang gewohnt sein, unter Druck zu spielen. Jeden Tag wird über Arsenal geredet, jeden Tag lastet ein hoher Druck auf dem Spieler. Deshalb ist es wichtig, dass er vorher schon bei einem großen Verein gespielt und dort gelernt hat, mit Druck umzugehen.

Sie haben 25 Spieler aus 10 Nationen in Ihrem Kader, darunter nur sieben Engländer. Wie schafft es da ein Trainer aus dem Elsaß, eine gemeinsame Identität für den englischen Traditionsklub Arsenal aufzubauen?

Man muss die Identität identifizieren!

Bitte?

Man muss der Mannschaft sagen, was die Identität des Vereins ist, damit sie sich damit identifizieren kann: Wie ist die Organisation des Klubs? Wie ist das Verhalten? Wie ist die Philosophie? Man muss den Spielern sagen, was man von ihnen erwartet. Wenn diese Dinge klar sind, ist es kein Problem, dass man Engländer, Franzosen, Südamerikaner und andere Nationen in einer Mannschaft hat. Wenn die Identität klar ist, wenn jeder weiß, wie man spielen will, ist es nicht so schwierig. Im Fußball braucht man nicht so viel zu reden. Ein guter Pass ist immer noch besser als ein Haufen Worte.

Man hat den Eindruck, dass Sie einen sehr spielerischen Umgang mit Ihrer Mannschaft pflegen. Schreien Sie Ihre Spieler auch mal an?

Nur wenn es wirklich sein muss. Ich bin für Disziplin, aber wenn du die Spieler jeden Tag ankotzen musst, dann kannst du gleich zu Hause bleiben. Ich habe mir immer die Frage gestellt: Was bringt die Leute zum Fußball?

Die Antwort?

Sie lieben das Spiel! Das heißt, wenn du trainierst, müssen sie es lieben. Wenn sie das nicht tun, können sie auch keinen guten Fußball spielen.

Wie schaffen Sie es, sportlichen Erfolg und ein intaktes Verhältnis zur Mannschaft zu kombinieren?

Ich glaube, man muss gerecht sein und die Spieler in Positionen setzen, wo sie ihre Ambitionen erfüllen können. In Deutschland vertritt man wohl eher die Philosophie, dass man nur Erfolg haben kann, wenn man knallhart ist, wenn man leidet. Ich glaube das nicht. Man kann nur Erfolg haben, wenn man respektiert, was wichtig ist. Fußball ist ein Spiel. Ein intelligentes Spiel, aber ein Spiel. Wenn es kein Spiel mehr ist, haben Sie keinen Erfolg. Wenn es nur Leiden, Kraft und Arbeit ist, entfernen Sie sich von dem, was Fußball ist.

Haben Sie ein Vorbild als Trainer?

Natürlich hatte ich Vorbilder, aber nicht in der Art, dass ich kopieren wollte, was die taten. Ich wollte immer meine eigene Persönlichkeit haben. Ich habe nie gedacht, ich muss rausgehen und sagen: Ich bin Ernst Happel oder Hennes Weisweiler oder Udo Lattek. Ich war immer Arsène Wenger.

Warum sind Sie Trainer geworden?

Weil ich Fußball liebe. Ich wollte von Anfang an nur auf dem Platz sein und trainieren. So war es schon in der Jugend, und so war es später auch in der ersten Mannschaft.

Wie hat sich Ihre Art, mit einer Mannschaft zu arbeiten, im Laufe der Jahre verändert?

Kaum. Im Endeffekt respektiere ich immer den Spieler, der gut trainiert und den Fußball liebt. Und egal wie groß und gut der Spieler ist: Wenn er keinen Respekt hat für seine Kameraden, für seinen Sport, für seinen Job, dann habe ich auch keinen Respekt vor ihm. Der einzige große Unterschied zu früher ist wohl, dass ich heute mehr Erfahrung habe – und bessere Spieler.

Wie wichtig ist Erfahrung in Ihrem Beruf?

Es hilft, cool zu bleiben. Und es hilft, keine großen Fehler zu machen. Man wird einfach weiser und reagiert nicht mehr so schnell. Wenn man schnell reagiert, macht man viele Fehler. Ich glaube, man kann mit Erfahrung mehr aus einer Mannschaft herausholen. Andererseits darf man das aber auch nicht überbewerten.

Wie schaffen Sie es, bei der Terminfülle von Liga, Pokal, Länderspielen und bis kürzlich Champions League Ihre Spieler „frisch“ zu halten?

Das ist schwierig, sehr, sehr schwierig. Weil man eben so viele wichtige Spiele hat und keines davon verlieren darf. In Wahrheit ist es wohl ein bisschen Poker. Ich weiß nie genau, wie die Spieler reagieren werden. Manchmal antizipiert man – und liegt damit falsch. Manchmal lässt man das Team zu lange spielen – und es ist danach zu müde und kann sich nicht rechtzeitig erholen.

Muss man angesichts dieser Belastungen nicht über eine Reform der Champions League nachdenken? Im Gespräch ist eine Abschaffung der Zwischenrunde.

Das ist sehr schwierig, schon wegen des Geldes. Die Vereine haben alle teure Verträge mit ihren Spielern, die sie nur einhalten können, wenn sie in der Champions League Geld verdienen, viel Geld. Deshalb glaube ich nicht, dass die Spiele reduziert werden. Im Moment gibt es ja eine Garantie von zwölf Spielen, wenn eine Mannschaft die erste Runde übersteht.

Wie beurteilen Sie das Niveau der diesjährigen Champions League?

Wenn Vereine wie Lazio, Juve oder auch Arsenal so früh ausscheiden, dann kann das Niveau nicht schlecht sein.

Herr Wenger, wenn Sie sich an Ihre erste Trainerstation in Nancy zurückerinnern: Was hatten Sie damals, was Sie heute nicht mehr haben?

Früher hatte ich noch richtig das Gefühl, dass ich nach wie vor ein Spieler bin. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich nur noch Trainer bin. Mit jedem Jahr wirst du älter und entfernst dich ein Stück weiter weg von den Spielern. Früher konnte ich mit den Spielern laufen und mit ihnen mitspielen, heute kann ich das nicht mehr. Das fehlt mit manchmal: ein Spiel elf gegen elf, nur um zu spüren, wie es ist, wenn man im richtigen Moment den Ball nicht kriegt. Oh ja, das fehlt mir wirklich.

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