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„Sie machen uns das Leben zur Hölle“

■ Ein Gespräch mit Emil Galip Sandalci, dem Istanbuler Vorsitzenden des „Vereins für Menschenrechte“ zur Situation der politischen Gefangenen in der Türkei

„In diesem Land braucht man wirklich nicht Marxist zu sein, damit sie einem das Leben zur Hölle machen. Es ist völlig ausreichend, das Berufsethos zu wahren und die Menschenrechte zu verteidigen.“ Ich habe mir den Istanbuler Chef des „Vereins für Menschenrechte“ ganz anders vorgestellt, professioneller und formeller in der Öffentlichkeitsarbeit. Ich wußte um die biographisch erworbene Autorität Emil Galip Sandalcis. Ein Journalist der alten Garde, seit den vierziger Jahren aus Dutzenden Zeitungen rausgeflogen, da dem herrschenden Opportunismus unbequem. Er kennt Folter aus eigener Erfahrung, aus der Zeit nach der Militärintervention 1971. Als Vorstandsmitglied der Rundfunk– und Fernsehgesellschaft wurde er damals verhaftet, weil er Programme wider die Militärs senden ließ. Doch statt eines Public–Relation–Profis empfängt mich ein herzlicher, liebenswürdiger, mit seinen 64 Jahren Jugendlichkeit ausstrahlender Mann, der mich sofort duzt und Kaffee kocht. Die Gründung des Vereins hat eine lange Vorgeschichte. Die Hungerstreiks der politischen Gefangenen, die Aktionen der Familienangehörigen vor den Zuchthaustoren. Aus dem Kreis der Familienangehörigen und prominenter Intellektueller setzten sich dann die Gründungsmitglieder des Vereins zusammen. Lange Zeit hat das Innenministerium die Gründung des Vereins verhindert. Menschenrechte seien Sache des Staates und nicht irgendwelcher Vereine. Erst nach langen juristischen Auseinandersetzungen wurde der Verein im Juli vergangenen Jahres rechtsfähig. „Seit sieben Jahren werden Menschen durch Folter ermordet, verschwinden während der Untersuchungshaft und werden in den Suizid getrieben“, heißt es im Gründungsmanifest. Der Verein entfaltete eine rege Aktivität. 169 staatliche Morde wurden belegt. Jüngst ist ein 60seitiger Bericht zur Situation in den Gefängnissen vorgelegt worden, der den Leser erschauern läßt. „Gibt es Fälle, die Sie besonders berühren?“, frage ich Sandalci. „Schreib über den Rechtsanwalt Esber Yagmurdereli, verheiratet, zwei Kinder. Er siecht ohne Pflege in dem Gefängnis dahin.“ Yagmurdereli ist nach Paragraph 146/1 zu lebenslänglich verurteilt. Der als elfjähriges Kind Erblindete soll versucht haben, „mit Gewalt die Verfassung der türkischen Republik zu ändern“, wie es in besagtem Artikel steht. Ein paar Tage vor meinem Besuch wurde Sandalci von einer Frau zusammen mit ihrer Tochter aufgesucht. Als 16jährige kam die Tochter ins Zuchthaus und beteiligte sich am Hungerstreik der politischen Gefangenen für bessere Haftbedingungen. Es folgte Zwangsernährung, bei der ein Serum intravenös gespritzt wurde. Viele der Hungerstreikenden entfernten die Nadel - sie hatte keine Kraft mehr und ließ sich zwangsernähren. Seitdem fühlt sie sich als Verräterin, da sie die Zwangsernährung zuließ. Seit dieser Zeit ist sie psychisch gestört. Sie verhält sich wie ein Baby, verlangt nach Muttermilch. „Die Mutter will, daß wir sie zur Behandlung ins Ausland schicken. Aber wir sind machtlos. Nie wird sie als Politische einen Paß und eine Ausreisegenehmigung bekommen.“ Sandalci greift nach dem Telefon. Beim Abnehmen des Hörers verändert sich nicht nur die Stimme, sondern auch die Mimik des trotz allem lebensmutigen Mittsechzigers. „Jawohl, H nachsuchte, einen Gefangenen zu besuchen. „So ist es, mein Freund, so sind die Zeiten.“

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