: Sie haben ihren Frieden gefunden
Nach dem Abstieg des Hamburger SV aus der Bundesliga hoffen die Fans, na klar, auf den direkten Wiederaufstieg – und auf eine Runderneuerung des gebeutelten Klubs in der Zweiten Liga
Aus HamburgDaniel Jovanov
Als Robin Knoche in der 71. Minute das 3:1 für den VfL Wolfsburg erzielt, passiert 170 Kilometer nördlich im Volksparkstadion etwas Außergewöhnliches. Es dauert ein paar Sekunden, bis sich die Nachricht unter den Fans des Hamburger SV verbreitet. Ihr eigenes Schicksal hängt am Ergebnis dieses anderen Spiels. Sie wissen, dass es jetzt vorbei ist, vorbei mit der Erstligazugehörigkeit nach 54 Jahren. Die Geschichte des Bundesliga-Dinos ist auserzählt. Er muss absteigen. Und die Fans fangen nicht wie befürchtet an, den Platz zu stürmen; zumindest vorerst ist es friedlich. Nein, sie singen. „Mein Hamburg lieb’ ich sehr, sind die Zeiten auch oft schwer, weiß ich doch, hier gehör’ ich her!“, johlt es von den Tribünen.
Seine eigene Aufgabe hatte der Hamburger SV erfolgreich gemeistert und Borussia Mönchengladbach mit 2:1 geschlagen. Doch um den Relegationsplatz zu erreichen, hätte Wolfsburg gegen die abgestiegenen Kölner verlieren müssen. Sie gewannen am Ende mit 4:1. Bruno Labbadia, jetzt Trainer der Wolfsburger, hat den HSV kein zweites Mal vorm Abstieg retten können. Dafür wäre es beinahe Christian Titz gelungen, nachdem die Lage bei seinem Amtsantritt so aussichtslos schien.
Enteilt Der FC Bayern hat mit dem zweithöchsten Punktevorsprung seit Einführung der Drei-Punkte-Regel in der Bundesliga den Titel gewonnen. Die Münchner distanzierten den Tabellenzweiten FC Schalke 04 um 21 Zähler. Bestmarke bleiben die 25 Punkte in der Spielzeit 2012/13 vor Borussia Dortmund.
Verstreut Der Hamburger SV steigt als letztes der 16 Gründungsmitglieder der Bundesliga ab. Viele Clubs der ersten Stunde aus dem Jahr 1963 gehören schon lange nicht mehr zur Elite, als da wären: 1. FC Köln (künftig 2. Liga), Meidericher SV (heute: MSV Duisburg; 2. Liga), Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund, VfB Stuttgart, Hamburger SV (Abstieg in Liga 2), 1860 München (Playoffs um Aufstieg in Liga 3), FC Schalke 04, 1. FC Nürnberg (Aufstieg in Liga 1), Werder Bremen, Eintracht Braunschweig (Kampf gegen Abstieg in Liga 2), 1. FC Kaiserslautern (Absteiger aus Liga 2), Karlsruher SC (Playoffs um Aufstieg in Liga 2), Hertha BSC, Preußen Münster (3. Liga) und 1. FC Saarbrücken (Playoffs um Aufstieg in Liga 3).
Vielleicht wirkt der Abstieg des HSV auch deshalb so tragisch. Weil er es im Vergleich zu den vorherigen Jahren gefühlt am wenigsten verdient hat. Für den mutigen und offensiven Spielstil haben sich die Rothosen am Ende nicht belohnen können. 13 Punkte aus den letzten acht Partien waren nicht genug. Die Verantwortlichen haben zu spät erkannt, dass dieses Team Fußball spielen kann. Mit jungen Spielern wie Tatsuya Ito, Julian Pollersbeck, Matti Steinmann oder Rick van Drongelen, die nach Abpfiff weinend auf dem Rasen lagen, kann man deshalb Mitleid empfinden. Allerdings wäre es falsch, den Saisonverlauf nur an den vergangenen acht Spielen zu messen.
Der Abstieg des HSV ist ein Resultat jahrelanger Misswirtschaft, längst überfällig und nicht ausschließlich abhängig von der Frage, ob es mit Trainer Titz von Anfang an anders gelaufen wäre. Ihn zum Chefcoach zu machen, war richtig. Ihn zu übersehen und andere machen zu lassen, war eines von vielen Versäumnissen. Nur mit einer großen Portion Spielglück und jeder Menge Kredite des Investors Klaus-Michael Kühne war es bisher gelungen, irgendwie in der Bundesliga zu überleben. Wer so viel Geld verbrennt wie der HSV, so viele Trainer und Manager austauscht und so häufig daneben liegt bei Neuzugängen, zieht viel Hass und Häme auf sich. Kein Wunder, dass dieser Abstieg in einigen Stadien der Bundesliga gefeiert wurde.
Doch möglicherweise hat der HSV Sympathien zurückgewonnen und ein anderes Bild von sich hinterlassen: Als eine Gruppe von Ultras kurz vor Schlusspfiff Böller und Raketen aufs Feld warf, reagierte der Rest des Publikums mit einem minutenlangen Pfeifkonzert. „Holt sie raus“, riefen sie den Polizisten und Ordnungskräften zu. Der Großteil der Fans hat Feingefühl bewiesen: Statt die junge Mannschaft niederzubrüllen und das Stadion abzufackeln, gab es Applaus. Sie haben ihren Frieden gefunden mit dem ersten Abstieg der Vereinshistorie, weil Spieler und Trainer am Ende der Saison mit sehr viel Herzblut um die Rettung gekämpft haben. Und weil die Hoffnung, dass es diesmal endlich anders und vor allem besser laufen wird, begründeter ist als in den Jahren zuvor.
Das liegt einerseits an der Entscheidung, Titz als Trainer zu behalten, andererseits am Aufsichtsratsvorsitzenden Bernd Hoffmann. Ihm trauen die Fans zu, den Hamburger SV professionell neu aufzustellen. Der 55-Jährige will bis zum Ende des Monats den neuen Sportvorstand präsentieren. Offen bleibt, wie es mit dem Finanzvorstand Frank Wettstein und Nachwuchschef Bernhard Peters weitergehen soll. Gleiches gilt für viele Spieler, deren Verträge auslaufen oder die aus Kostengründen verkauft werden müssen. Für die Planung der neuen Saison bleibt dem neuen Führungsteam nicht viel Zeit. Klar ist nur das Saisonziel: der direkte Wiederaufstieg.
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