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Sichtbarkeit beim Disability Pride MonthSei laut, sei sichtbar – gerade jetzt

Wer nicht der Norm entspricht, soll sich wieder ducken: queer, fett, nicht christlich, behindert, migrantisch. Das kommt nicht infrage!

Lasst uns also laut und sichtbar unangepasst sein Foto: Arne Amberg/imago

L ebe so, dass Konservative rufen „Wir wollen das nicht sehen. Zeig dich nicht, sei höchstens heimlich so!“ Widersetze dich der Forderung nach Unauffälligkeit! Das muss zum Ende des Pride Month und kurz vor Beginn des Disability Pride Month noch mal gesagt werden.

Es tut weh zu beobachten, wie offen und aggressiv Menschen dazu aufgefordert werden, etwas zu verstecken, das ein wichtiger Teil ihrer Identität, Persönlichkeit oder ihres Lebens ist. Forderungen nach Unsichtbarkeit werden lauter, und das Gefährliche ist: auch erfolgreicher. Inklusion und Diversität werden zurückgedrängt. Firmen stellen ihre Diversitätsprogramme ein, queeren Jungendeinrichtungen und Antidiskriminierungsstellen werden die Gelder gekürzt.

Als Norm behauptet werden nicht nur hetero und cis, sondern auch weiß, able-bodied und christlich, und diese Vorgaben werden immer enger und spießiger. Lange ging es in marginalisierten Gruppen und identitätspolitischen Diskursen noch viel um Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit und Sichtbarmachung. Queeres Leben sollte sichtbar gemacht werden oder afrodeutsche Geschichte und Gegenwart.

Dabei ging und geht es besonders um Repräsentation. Auch wenn Repräsentation allein im Kampf gegen Unterdrückung nicht viel ändert: Es ist gut, sie zu haben. Sie kam nicht einfach so. Sie wurde und wird erkämpft!

Eine hart erkämpfte Errungenschaft zu verlieren, bedeutet trotz aller anderen brennenden Themen einen Rückschritt. Und diesen bin ich nicht bereit zu gehen.

Schlagwort #skinnytok

Zumal die Bandbreite von dem, was aus der Öffentlichkeit verschwinden soll, immer größer wird. Dazu gehören zum Beispiel dicke_fette Körper. Auch wenn Tiktok das Schlagwort #skinnytok gesperrt hat, bleibt die Glorifizierung von Dünnsein und die Abwertung von Körpern, die diesem Ideal nicht entsprechen. Die Body-Positivity-Bewegung soll ungeschehen gemacht werden. Dicke_fette Menschen sollen sich gefälligst schämen, unter weiten Roben oder noch besser gleich zu Hause verstecken.

Mit absurden Behauptungen der Indoktrination sollen queere Personen und Lebensentwürfe unsichtbar gemacht werden. Frauen sollen selbst kleinste Abweichungen von Geschlechternorm und -erwartung nur im Dunkeln leben. Wer als cis Frau offen und positiv über selbstgewählte Kinderfreiheit spricht, bekommt schnell die Rückmeldung, dass diese Entscheidung „privat“ wäre und nicht in die Öffentlichkeit gehört.

Leute fühlen sich ermächtigt, alle offen anzufeinden, die nicht ihrer imaginierten Norm entsprechen

Wem eine „Mutterrolle“ zugeschrieben wird, darf das kurz anstrengend finden, aber bitte nicht darüber reden. Dabei wurde das Sprechen über die Struggles des Elternseins und besonders „der Mutterrolle an sich“ doch gerade erst enttabuisiert und damit sichtbar gemacht.

Wegen der Angriffe auf Veranstaltungen, die für Vielfalt stehen, und Einzelpersonen, die einfach nur in der Öffentlichkeit als jüdisch, muslimisch oder trans zu erkennen sind, ist der Rückzug ins Private oder das Verstecken der eigenen Identität eine nachvollziehbare Schutzreaktion.

Doch um es mit Audre Lorde zu sagen: Unser Schweigen hat uns noch nie geschützt. Lasst uns also laut und sichtbar unangepasst sein und dabei auf die vulnerabelsten von uns besonders Acht geben.

🏳️‍⚧️ SHANTAY. YOU PAY. 🏳️‍🌈

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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1 Kommentar

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  • Wir müssen unsere Sichtbarkeit, unsere Existenz, ja unsere vermeintliche Nichtnormalität den Normies einfach unter die Nase reiben. So lange, bis ein queerer Mensch im Rollstuhl wie ein Mensch unter vielen behandelt wird.

    Daher, ja! Ich stimme Simone Dede Ayivi zu!