Sicherheit nach Anschlag in Frankreich: „Angstmacherei dient der Eskalation“
Frank Tempel, Linke-Politiker und Mitglied im Bundestags-Innenausschuss, über die Gefahr von Einzeltätern, die Angst der Bürger, Prävention und Pauschalisierungen.
taz: Herr Tempel, lassen Sie uns über Stimmungen und Fakten sprechen. Inwiefern ändert der Anschlag von Paris das Klima in Deutschland?
Frank Tempel: Die Sicherheitslage wird dadurch überhaupt nicht verändert. Wir haben seit Jahren eine latente Gefahrensituation, auch in Deutschland. Aber natürlich wird man durch den Anschlag in Paris noch einmal sensibilisiert. Er macht klar, dass niemand solche Situationen ausschließen kann.
Was erwartet oder befürchtet die Bundespolitik?
Wir wissen, dass das Klima sehr angespannt ist. Menschen drohen mit Selbstmordanschlägen. Auf der anderen Seite haben wir islamfeindliche Stimmungen. Das kriegt jetzt alles noch mal einen zusätzlichen Push.
Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass etwas Vergleichbares auch in Deutschland passieren kann?
Das sehe ich momentan nicht. Aber wir haben immer die Gefahr, dass Einzeltäter oder kleine autarke Gruppen beschließen, etwas Derartiges zu machen. Das lässt sich nie ausschließen, weder in Deutschland noch in irgendeinem anderen europäischen Land.
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer erklärte, die CSU sei der festen Überzeugung, dass es nötig sei, Terrorverdächtigen den Personalausweis entziehen zu können. Dschihadisten, die über zwei Staatsangehörigkeiten verfügen, müsse zudem die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden können.
„Wichtiger denn je“ sei zudem die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, um die Kommunikationswege besser kontrollieren zu können.
Dies lehnt der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht ab. Die Sammlung und Analyse von Daten, die in Frankreich schon seit mehreren Jahren läuft, habe nicht dazu geführt, diesen Anschlag zu verhindern. Albrecht rief dazu auf, Muslime nach dem Anschlag nicht unter Generalverdacht zu stellen. (afp/dpa)
Sie sind der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses. Wie gehen Sie als Fachpolitiker, also als Innenpolitiker, mit der jetzt entstandenen Situation um?
Am Mittwoch kommender Woche tagt der Innenausschuss. Ich gehe davon aus, dass der Anschlag von Paris auf die Tagesordnung kommt. Wir werden einen Bericht der Bundesregierung verlangen, in dem die Sicherheitslage analysiert wird.
45 Jahre alt, ist Kriminalbeamter. Für die Linke sitzt er seit 2009 im Bundestag. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses und Mitglied im Parteivorstand der Linken.
Ihr Ausschussvorsitzender Wolfgang Bosbach (CDU) hat im Deutschlandfunk erklärt, es gebe „eben Strömungen im Islam, die sind für diejenigen lebensgefährlich, die nicht bereit sind, sich zu unterwerfen“. Hat er recht?
Ich mag solche Pauschalisierungen nicht. Der Islam an sich ist keine aggressive Religion. Ganze Strömungen zu verurteilen, Angstmacherei, so etwas hilft überhaupt nicht weiter, sondern dient der Eskalation. Äußerungen wie die von Herrn Bosbach helfen da nicht. Wir brauchen Dialog, wir brauchen ausgestreckte Hände, aber keine Angstmache.
Es wird angenommen, dass die Attentäter von Paris Rückkehrer aus Syrien sind. Wie gefährlich ist dieses Potenzial für Deutschland?
Schwer. Ich habe noch nie mit so einem Rückkehrer gesprochen. Wahrscheinlich muss man das aber tun. Das sind ja oft sehr junge Leute, die auch bei uns als potenzielle Gefährder eingestuft werden. Aber auch hier muss man sich Gedanken machen, wie man mit den Familien und den Betreffenden in den Dialog kommt. Manche von diesen Jugendlichen kommen sicher auch ernüchtert aus dem „Heiligen Krieg“ zurück, werden aber hier stigmatisiert.
Aber ist die Zeit für Prävention nicht seit diesem Mittwoch abgelaufen?
Wir haben ja nur das Mittel der Prävention. Ich bin gelernter Polizeibeamter und ich weiß aus Erfahrung: Wir können alles an Befugnissen und Sicherheitsmaßnahmen hochfahren – wir werden solche Anschläge nie verhindern können, wenn wir nicht stärker an die Ursachen gehen. Selbst wenn jetzt Videoüberwachung gefordert wird, das nützt nichts. Man sieht die Täter dann nur noch in der Kamera, verhindert hat man aber nichts.
Was wäre zu tun?
Das Einzige, worüber ich im Innenausschuss gerne rede, ist die Ausstattung der Polizei. Da muss sich bei den Stellen für geschulte Mitarbeiter was tun, die müssen auf der Straße wieder stärker sichtbar sein. Aber Überwachungstechnik oder Vorratsdatenspeicherung helfen uns gegen solche Anschläge überhaupt nicht.
Aus Sicherheitskreisen ist zu hören, Deutschland habe bisher Glück gehabt, dass es hier noch keinen schweren Anschlag gegeben hat. Teilen Sie diese Auffassung?
Jedes Land hat Glück, in dem keine Anschläge passieren. Wir haben ein gutes, ein ausgereiftes Sicherheitssystem in Deutschland. Aber nicht so perfekt, dass solche Anschläge ausgeschlossen werden können.
Was sagen Sie Bürgern, die jetzt Angst im Alltag haben?
Ich weiß davon. Es wird jetzt ängstlich auf Leute geguckt, die auch nur so aussehen, als würden sie dem Islam zugehören. Auch da hilft nur Dialog. Nur mit Reden kann man die eigenen Ängste bekämpfen. Und das heißt auch, dass zum Beispiel bei der Islamkonferenz kritisch erscheinende Gruppen nicht ausgeklammert werden und nur die eingeladen werden, die genehm sind. Wenn Herr Bosbach zum Beispiel schwierige Gruppen erkennt, kann er sich da gerne einbringen.
Sie sprechen hier von Dialog. Die schärfsten Islamkritiker sind ja zurzeit die Pegida-Anhänger. Zählen Sie die auch zu Ihren Dialogpartnern?
Ehrlich gesagt ist da nicht viel mit Reden. Ich habe das verfolgt, da ist ja sehr viel Populismus dabei, es wird nicht mit Argumenten gearbeitet. Was wir brauchen, ist eine breite Debatte, auch in den Medien. Da sehen und hören viele zu. Pegida ist für mich nicht die Kommunikationsplattform, die ich suchen würde.
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