Sicherheit im Stadion: St. Pauli streitet über Fangewalt
Vereins- und Fan-Gremien lehnen Diskussionspapier der Fußballliga zum "sicheren Stadionerlebnis" ab. Präsidiumsmitglied Stenger verlässt die "Kommission Sicherheit".
Der FC St. Pauli hat sich aus der Kommission zurückgezogen, mit der die Deutsche Fußballliga (DFL) die Sicherheit in den Stadien verbessern möchte. Der Zweitligist hält die Vorschläge, die die Kommission erarbeitet hat, im Ansatz für falsch. Vereins- und Fangremien kritisieren, dass die Fans nicht in die Diskussion einbezogen wurden und die Ausgangsthese – immer mehr Gewalt beim Fußball – nicht belegt sei.
Mit der Stellungnahme folgt der FC St. Pauli der Einschätzung des 1. FC Union Berlin, der tags zuvor als erster Club das entsprechende Diskussionspapier „Sicheres Stadionerlebnis“ abgelehnt hatte. Für die DFL, die die Spiele der Bundesligen vermarktet, ist das ein Rückschlag: Das Papier, das eine Grundlage für weitere Diskussionen mit Behörden und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) sein soll, betont, wie wichtig einmütiges Vorgehen sei.
Wie St. Pauli mitteilte, lehnt eine große Mehrheit seiner Gremien das Papier ab. Sie monierten vor allem, „dass der vielfach unterstellte Anstieg von Gewalttaten im Fußball empirisch bisher unbelegt geblieben ist“. Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien unverhältnismäßig, unangemessen und in Teilen unzweckmäßig. Verbesserungen müssten mit den Fans entwickelt werden.
Die These von der Zunahme der Gewalt sei in der Tat höchst umstritten, bestätigt der Sozialwissenschaftler Gunter A. Pilz, ein ausgewiesener Experte zum Thema Fankultur und Gewalt im Sport. „Die Statistiken geben das nicht her“, sagt der Hannoveraner. Er befürchte, dass der Begriff „Gewalt“ sehr weit gefasst werde und zum Beispiel Feuerwerk – „Pyrotechnik“ – einschließe. Pilz geht davon aus, dass die „Qualität“ der Gewalt gestiegen ist. Dass die Polizei vermehrt Pfefferspray einsetze, wenn sie Fanblocks stürme, wirke wiederum nicht eben deeskalierend.
Warum das Vorstandsmitglied Gernot Stenger wegen der kritischen Bewertung gleich aus der Kommission Sicherheit austreten müsse, erschließe sich Pilz nicht. Aber es passe ins „momentan von Konfrontation statt Kooperation und Kommunikation geprägte Verhältnis von DFB, DFL, Vereinen und Fans“.
Einigen Fans geht die Distanzierung ihres Vereins von dem DFL-Papier nicht weit genug, weil sich Stenger zitieren lässt, er hätte gerne weiter an dem Papier gearbeitet, „um aktiv Einfluss zu nehmen“. Ein Blogger der „Ultra“-Fanzeitschrift Basch wirft dem Präsidum vor, nicht hinter dem Beschluss zu stehen. Das Präsidium habe nicht verstanden, dass sich die Vereine, Fans und Mitglieder in einem Konflikt mit dem DFB und der DFL befänden, „die entgegen den Vereinsinteressen und mit Hilfe einer vorgeschobenen Sicherheitsdebatte, das ’Produkt Fußball‘ total vermarkten wollen“.
Ganz hergeholt ist das nicht. Im Mai zitierte die Zeitschrift Werben & Verkaufen eine Studie, in der die Beratungsgesellschaft Deloitte der Bundesliga die höchste Profitabilität in Europa bescheinigt. Allerdings berge das Verhalten der Fans eine Gefahr: Eine kleine Gruppe könnte aufgrund der medialen Wirkung Familien und Sponsoren aus den Stadien vertreiben.
Eine Bitte um Stellungnahme beim DFB blieb unbeantwortet.
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