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Sibel Kekilli in "Die Fremde"Der Türke als Zeitbombe

Der Wunsch nach einem eigenen Leben überfordert die Familie: In Feo Aladags Fim "Die Fremde" gibt Sibel Kekilli eine Art Hatun Sürücü. Schön - aber auch irgendwie klischeehaft.

Allein wegen ihr lohnt sich der Film: Sibel Kekilli. Bild: majestic film

Beim Sex dreht Umay (Sibel Kekilli) den Kopf weg. Ihr Mann ist diese "Toter Mann"-Performance gewohnt und amüsiert sich, so gut das ohne ihr Zutun geht. Der kleine Sohn schläft auf dem Bett nebenan. Umays ist Mitte 20 und ihr Leben schon verpfuscht. Ihr Mann schlägt sie regelmäßig und bei Gelegenheit auch den Sohn. Heute hat sie sich entschlossen: Sie will zurück, zu ihren Eltern nach Berlin. Sie flieht.

Feo Aladags erster Spielfilm wurde auf der Berlinale mehrheitlich positiv aufgenommen. Er greift die Geschichte der Deutschkurdin Hatun Sürücü auf, die im Februar 2005 in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde. Die promovierte Psychologin zeigt allerdings in dieser bekannten Geschichte, wie sehr auch der Vater und die Brüder unter der Bürde der Familienehre leiden. Ihre Sympathie gehört zuallererst Umay, aber Aladag ist klug genug, die männlichen Protagonisten nicht einfach als Monster darstellen. Auch sie sind Gefangene eines Ehrenkodexes, der ihr Leben ebenfalls zerstört. Entsprechend oft sehen wir sie in ihrer Verzweiflung, in "Die Fremde" fließen viele Männertränen.

Trotzdem wird die Entwicklung nicht deutlich, die die ihrer Schwester durchaus zärtlich verbundenen Brüder und auch der charismatische Vater durchleben müssen, um schließlich das Todesurteil über Umay zu fällen. (Wie der Film ausgeht, wird natürlich nicht verraten.) Man versteht nicht, woher die Familie die Wut nimmt, nicht nur Umays Unterwerfung und ihre Bestrafung, sondern ihren Tod zu wollen. Für die Kälte und die Barbarisierung der unter das Familiengesetz gestellten Protagonisten findet die Regisseurin keine schlüssigen Bilder; die unausweichliche Konsequenz des Amoklaufs bleibt Behauptung.

Entsprechend wird Umays Familie auch nicht von anderen Kreuzberger Familien abgesetzt, die nicht mal im Traum darauf kämen, im Schwestermord eine Konfliktlösung zu sehen. Auch die Deutsch-Deutschen, die Umay zur Hilfe eilen, sind allzu eindeutig gut. Sie machen keine Fehler, sind rasend nett und verständnisvoll - und lustigerweise allesamt blond. Letztlich verheddert sich der Film damit in den Klischees vom dunklen, ewig unverständlichen Türken, der zwar ganz sympathisch aussieht, aber de facto eine Zeitbombe ist, und von der deutschen, aufgeklärten Parallelgesellschaft.

Trotz aller Kritik: Die Performance der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli ist großartig. Bekannt wurde sie mit "Gegen die Wand", aber fünf Jahre später ist sie noch schöner und noch eindrucksvoller geworden. Es lohnt sich allein ihretwegen, den Film anzusehen.

Die Fremde". Regie: Feo Aladag. Mit Sibel Kekilli, Nizam Schiller, Derya Alabora. D 2009, 119 Min.

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8 Kommentare

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  • H
    hello

    @ tine, fixier dich mal nicht auf diese sexistische wahrnehmung von filmkritiken.... für mich - als leser einer filmkritik - ist ganz klar, was mit "noch schöner geworden" gemeint ist. die hauptdarstellerin ist reifer, überzeugender geworden und kann die Dinge nach außen und innen noch authentischer wirken lassen. Sie neigt nicht dazu, Dinge durch schaupsielerischen Übereifer zu über- oder unterzeichnen, zu dramatisieren oder wegzulassen, sondern ist einfach in der Mitte. Nichts anderes ist hier mit schön gemeint. Denn es ist eine Filmkritik und kein Werbeprospekt für eine Klinik für plastische Chirurgie. Jeder Mensch, der in seiner Mitte ist und mit seinem Aussehen nicht ununterbrochen hadert, sondern sich selbst in seiner Einzigartigkeit zu leben "traut" - ist schön. Das gilt für alle, die sich nicht unters Messer legen.

  • S
    Schelve

    Hat der Schreiber den Film überhaupt gesehen? Eine vielschichtige Geschichte, die hier runtergekocht wird auf den Gedanken "Vorurteile gegen Türken". Daß der Film sich tatsächlich an einer wahren Geschichte orientiert, scheint der eigentliche, aber unausgesprochene Vorwurf zu sein.

  • S
    slamosch

    an tine:

     

    verstehe den einwand nicht. ein frau wird nach 7 jahren als "noch schöner" bezeichnet. für gewöhnlich gelten nur ganz junge frauen als schön. hier wird gerade die schönheit des alterns betont. wo ist da die verbindung zu einem aufruf zu schönheitsoperationen? (es sei denn, man würde das z.B. als aufruf verstehen, sich altersflecken auf die hand zu tätowieren...)

  • PM
    Peter Müller

    Der Film zeichnet eine Welt, die von männlichen türkischen affektgesteuerten irrationalen brutalen Tätern einerseits und deutschen liebe- und verständnisvollen "Guten" andererseits bewohnt wird.

     

    Somit folgt der Film einer Erzähl- und Bildertradition, die Edward Said bereits 1978 kritisch in seinem Buch "Orientalismus" beschrieben hat.

     

    So legitim es ist, einen Film über einen sogenannten "Ehrenmord" zu machen, so notwendig ist es, sich als Filmemacherin Gedanken zu machen, welche Botschaften man durch die gewählte Erzählweise über bestimmte Bevölkerungs-, ethnische oder religiöse Gruppen verbreitet.

     

    Betrachtet man die deutlich zunehmende Islamophobie in den letzten Jahren in Europa, so überrascht, wie der Film sämtliche Fragen über die Repräsentation sogenannter "Anderer" missachtet, und nahezu zielsicher rassistische Ressentiments schürt.

  • T
    Tine

    Ich finde es durchaus erschreckend, dass Sibel Kekilli in dieser Kritik als "noch schöner" beschrieben wird, als sie es in "Gegen die Wand" gewesen sei. Vergessen scheinen alle Debatten um Sexismus und vor allem um Minderwertigkeitskomplexe junger Mädchen. Ist das als ein Aufruf zu Schönheits-Operationen zu verstehen?

  • B
    BigKelle

    Ja Ja, da versuchen diese Diaspora mit einem Film, doch immer wieder eine Rechfertigung für diese "Ehrenmorde" zu finden!

     

    steter Tropfen höhlt den stein

  • N
    nemo

    "Auch die Deutsch-Deutschen, die Umay zur Hilfe eilen, sind allzu eindeutig gut. Sie machen keine Fehler, sind rasend nett und verständnisvoll"

     

    was sind eigentlich deutsch-deutsche? solche wortschöpfungen dürfen sie gerne für sich behalten!

     

    und das ihnen "allzu eindeutig gute deutsche" sauer aufstossen, zeigt welch geistes kind hinter diesem artikel steckt.

     

    mehr ist diesem geschreibsel nicht hinzuzufügen!

  • LE
    leser ein

    Thema: Filmkritik

    Wenn man einen Film kritisiert und das auch noch in dieser negativen Form sollte man doch mindestens inhaltliche Fehler ausschließen. Es ist doch ein durchaus großer Unterschied zwischen einem Amoklauf und einem Ehrenmord, der sich aus der Definition der beiden Begriffe ergibt. Wenn diese dann vertauscht werden wirkt die gesamte Kritik, weil inkompetent, irrelevant.