Show als Parabel auf den Zeitgeist: Den Horror wegschrubben
Evy Schubert begegnet im Heimathafen Neukölln Negativschlagzeilen mit einer satirischen Wohlfühlshow: „Beauty“ – was für Dada-Fans.
Negative Schlagzeilen werden besonders gut geklickt. Diese Erkenntnis hat ein Forscherteam ausgerechnet einen Tag nach der Premiere von „Beauty“, die am 16. März im Heimathafen Neukölln war, öffentlich gemacht. Das passt deshalb so perfekt, weil sich Evy Schuberts Theaterstück mit nichts anderem beschäftigt als mit Headlines, Überschriften, Werbeslogans oder wie die marktschreierischen Zeilen über Online-Texten, Videos und Reels noch heißen.
Doch bevor es losgeht, daddeln rund 30 Schülerinnen und Schüler, die auch zur Premiere gekommen sind, nochmal ausgiebig auf ihren Smartphones herum. Der Einlass verspätet sich um eine halbe Stunde. Ob es wohl technische Probleme gibt? Das wäre insofern nicht ungewöhnlich, als dass es sich bei „Beauty“ um ein multimediales Projekt handelt.
Vorab wurde kräftig Werbung auf dem Instagram-Kanal der Berliner Spielstätte gemacht. Mit den poppig-schrillen Video-Collagen des Multimedia-Kollektivs Komposter, in denen sehr blonde Frauen, Zimmerpflanzen, das Weltall, Tiere und Alltagsgegenstände durcheinanderwirbeln.
Da gibt es beispielsweise dieses köstliche Video „Paradize Yourself!“, in dem ein vergoldeter Koikarpfen wie eine Rakete in den Himmel geschossen wird und später Frauenfüße zu sehen sind, die in Sandalen mit dicken Borsten unter den Sohlen stecken und über einen Boden schrubben. Dazu 80er-Synthesizer und der Ausruf „Heat The Rich“, der an den antikapitalistischen Slogan „Eat The Rich“ von Jean-Jacques Rousseau angelehnt ist.
Neue Avantgarde behaupten
Doch nicht nur bei Instagram haben sich Evy Schubert und ihre Crew schon mal vorher ausgetobt. Ebenfalls zum Projekt gehört eine eigene Website (www.justanotherbeautysite.faith). Die behauptet, die Plattform einer neuen avantgardistischen Bewegung zu sein. Ja, man wird sogar dazu aufgerufen, als Influencerin für sie tätig zu werden und sich dafür den eigens entwickelten Instagram-Gesichtsfilter herunterzuladen.
Videokunst und Websites gehören zum künstlerischen Schaffen von Schubert. Häufig setzt sie sich gleich auf mehreren Kanälen kritisch mit Gesellschaftsphänomen auseinander. Mit der zunehmenden Vereinsamung während der Pandemie etwa oder den möglichen Gefahren, die von dem rechtskonservativen Akademikerball in Wien ausgehen.
Im Saal des Heimathafens wird eine Weltkugel an die Wand projiziert. In der Animation weist ein Lippenstift auf Europa. Dann geht es im Sauseflug hinab bis zur Karl-Marx-Straße 141, wo das Theater beheimatet ist. Die beiden Schauspielerinnen Margarita Breitkreiz und Sabine Waibel stöckeln in roter Abendgarderobe auf die Spielfläche und plappern los.
Text aus Schlagzeilen
Das Besondere dieser Inszenierung ist, dass der gesprochene Text ausschließlich aus Schlagzeilen besteht, die Schubert in diversen Medien gesammelt und ins Positive verkehrt hat: „Die Ressourcen sind unerschöpflich“ – „Wohnen auf wenig Raum funktioniert“ – „Herrliche Messerattacke“.
Um nur ein paar Beispiele des Abends zu nennen, an dem Breitkreiz und Waibel eine gute Stunde lang zwar grammatikalisch korrekt, aber völlig sinnentleert vor sich hinplappern und damit an Live-Coaches bei Social Media, ja manchmal sogar an ChatGPT-Roboter erinnern. Sie habe der verführerischen Negativität etwas entgegensetzen wollen, sagt Schubert in einem Interview. Natürlich nicht, ohne es ironisch zu brechen.
Das Ergebnis ist Dada in seiner schönsten Form. Und so überrascht es auch nicht groß, als man liest, dass Evy Schubert Dramaturgin bei Dada-King Herbert Fritsch ist. Ihre Inszenierung ist kurzweilig, witzig und mit der klaren Haltung, nicht einverstanden zu sein mit einer Gegenwart, die zumindest in der virtuellen Welt oft eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von feministischen Parolen, Kochrezepten und Achtsamkeitstipps ist.
Selbstbezogene Instagramer
Kurz: Je schlimmer die Weltlage, desto lebensbejahender, aber auch selbstbezogener werden die digitalen Botschaften vieler Instagramer- und TikToker:innen. Und die werden an diesem Abend von Breitkreiz und Waibel ordentlich veralbert. Etwa wenn die eine der anderen die Perücke bügelt oder wenn die beiden das umgedrehte Bügeleisen als kleines Boot benutzen, mit dem sie durch eine überflutete Landschaft schippern.
Doch egal wie mies die Lage auch ist, die Zwei lächeln tapfer weiter und geben hyperoptimistische Appelle von sich, auch wenn sie sich ihren leeren Blicken zufolge gar nicht richtig zuhören.
Sie wollen Eva und Eva im Paradies sein. Ihre Göttin oder auch Astroexpertin ist Schauspielerin Sachiko Hara, die immer wieder in kleinen Einspielern eingeblendet wird. Der einzige Mann in dem hygienisch reinen Umfeld ist Kontrabassist Micha Kaplan, der die hohlen Phrasen mit treibenden Jazz-Improvisationen unterlegt.
„Ich habe einiges richtig gemacht!“, sagt die eine. „Ich habe alles richtig gemacht!“, sagt die andere – und das ältere Publikum lacht. Nur die Digital Natives aus der Schulklasse gucken irritiert. Nach der Vorstellung lobt eine Schülerin die Performance. Worum es darin ging, sei ihr allerdings schleierhaft geblieben.
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