Shimon Stein: Israels Preuße
Er war sieben Jahre lang Israels Botschafter in Deutschland. Doch seine beste Zeit in Deutschland kommt erst noch - in seinem neuen, unbekannten Job.
Wenn es um Israels Chefdiplomaten in Deutschland geht, werden manche ziemlich undiplomatisch: "Kotzbrocken" oder "Arschloch" ist dann zu hören - und zwar aus dem Mund eines Mitglieds des Zentralrats der Juden und eines deutschen Diplomaten.
Shimon Stein, der gestern nach fast sieben Jahren seine Amtszeit als Botschafter Israels in Berlin beendete, hat in der Bundesrepublik polarisiert. "Streng", "kalt", "undiplomatisch" - Urteile wie diese sind häufig über den 59-jährigen Topdiplomaten mit dem weichen Vollbart und dem kühlen Blick. Manche nennen seine Geschichte gar "tragisch". Stimmt das?
Steins Eltern sind in Prag und in Czernowitz aufgewachsen, beides Zentren jüdischer Kultur in Ost- und Mitteleuropa. Seine Mutter besuchte ein deutsches Gymnasium. Steins Eltern überlebten die Konzentrationslager und wanderten nach dem Krieg nach Israel aus. Dort wurde Shimon 1948, im Jahr der Staatsgründung, geboren. Über den Holocaust wurde im Hause Stein nicht geredet. Deutsch sprachen die Eltern nur, wenn ihr Sohn etwas nicht verstehen sollte. Doch der wollte mehr erfahren - und wählte dazu den für ihn typischen intellektuellen Weg. Stein studierte europäische und deutsche Geschichte in Jerusalem.
1980: Shimon Stein kommt nach Bonn, wo er Botschaftsrat für politische Angelegenheiten an der Botschaft Israels wird. Am Rhein, wo der Berufsdiplomat und seine Frau bis 1985 bleiben, wird auch ihre Tochter geboren. Shimon Steins Eltern, KZ-Überlebende, weigern sich nach Deutschland zu kommen, um ihr Enkelkind zu sehen.
2001: Stein wird unter schwierigen Begleitumständen israelischer Botschafter in Berlin: Sein Vorgänger Avi Primor war der Sunnyboy der deutschen Öffentlichkeit. Er musste gehen, weil er öffentlich eine israelische Partei kritisiert hatte. Der designierte Nachfolger Jossi Katz wird fallengelassen, weil deutlich wird, dass er für diesen Posten ungeeignet ist. Anderthalb Jahre bleibt die Position vakant - dann kommt Stein.
30. September 2007: Shimon Steins letzter Arbeitstag in Berlin. Nachfolger als israelischer Botschafter ist der Berufsdiplomat Yoram Benzeev, seit 1999 stellvertretender Direktor der Abteilung Nordamerika im israelischen Außenministerium. GES
Wie viele Israelis seiner Generation war Stein gezwungen, zweimal für sein Land zu kämpfen, 1967 und 1973. 1974 trat er in den diplomatischen Dienst ein und erhielt seitdem stets heikle und wichtige Jobs: im KSZE-Prozess, bei harten Verhandlungen über eine Frieden mit den Palästinensern, in der Waffenkontroll-Abteilung des Außenamtes und als Leiter der Abteilung für die GUS, Ost- und Mitteleuropa.
Von 1980 bis 1985 arbeitete Stein als Botschaftsrat für politische Angelegenheiten in Israels Vertretung am Rhein. Seine Frau weigerte sich zunächst, ihm dorthin zu folgen. Als dann die Tochter der Steins in Bonn geboren wurde, wollten seine Eltern ihr Enkelkind nicht im Land der Täter besuchen. Er selbst hat die Zeit in Bonn einmal als "extrem interessant" bezeichnet - doch wenn man zugleich hört, wie er über die "wundervollen Jahre" in Washington spricht, ahnt man, dass die Bundeshauptstadt ihm tatsächlich fremd blieb.
Stein soll übrigens der erste Diplomat gewesen sein, der sich mit den damaligen Schmuddelkindern im etablierten Bonner Politbetrieb, den Grünen, befasste. Angeblich war er der erste taz-Abonnent unter den Bonner Diplomaten. Fest steht, dass er damals schon Kontakt zu Joschka Fischer hatte, was sich später als hilfreich erwies.
Steins zweiter Start in Deutschland 2001, dieses Mal als Botschafter, stand unter keinem guten Stern: Sein Vorgänger Avi Primor musste gehen, weil er sich öffentlich abschätzig über die ultraorthodoxe Schas-Partei geäußert hatte. Der designierte Nachfolger Jossi Katz musste seine Bewerbung zurückziehen, da er nicht qualifiziert war. Anderthalb Jahre blieb der Posten in Berlin vakant. Dann kam Stein - und stand sogleich "im Schatten Primors", wie viele Kenner der Szene fast wortgleich sagen.
Primor, eloquent, überaus charmant und spritzig, war so etwas wie Israels Traumbotschafter für die Deutschen: Sie hörten ihm gern zu, auch weil er ihnen das Gefühl vermittelte, dass man mit der Shoah leben kann, wie es ein Israel-Kenner eines großen deutschen Mediums formuliert; als könne man diesen Mühlstein in den deutsch-israelischen Beziehungen irgendwie ins Positive wenden. Primor gelang selbst das Kunststück, die Empörung verpuffen zu lassen, als zwei seiner Sicherheitsmänner vier junge Kurden erschossen, die 1999 ins damalige Generalkonsulat Israels in Berlin eindringen wollten.
Von diesem Holz war und ist Stein nicht. Glich Primor der Palme, war er die Eiche. Wenn überhaupt, dann entdecken seinen ganz eigenen Charme nur Menschen, denen er vertraut. Stein ist ein misstrauischer, introvertierter Intellektueller. Er kommuniziert nicht über die Herzen, sondern über die Köpfe seiner Gesprächspartner. "Ein Foto mit einem lachenden Stein dürfte auf dem Nachrichtenmarkt ziemlich viel wert sein", sagt ein israelischer Journalist bissig.
Dabei versichern viele seiner Gesprächspartner in Berlin, dass Stein durchaus über Humor verfüge - aber der zeige sich nur in seiner ironischen, manchmal zynischen Spielart. Die aber setze Stein bewusst ein, meint Johannes Gerster, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Und: "Stein wächst im persönlichen Gespräch", er sei gut in kleineren Gruppen, aber: "Er ist eben nicht der Entertainer."
Stein machte es den Deutschen also nicht leicht, ihn zu mögen, geschweige denn zu lieben - aber das war offenbar auch nicht seine Absicht. Ein Botschafter hat die Interessen Israels zu vertreten. Und das, so sagt es ein israelischer Diplomat, tat Stein hervorragend. Stein gilt als einer der besten und fleißigsten Diplomaten Israels: "In Berlin arbeitet man - man merkt das in Jerusalem", heißt es von dort. So wurde Stein ein anerkannter und profunder Deutschlandkenner. Einer, der auch mal widersprach, wenn das Urteil im Außenamt von Jerusalem anders ausfiel als in Israels Botschaft an der Spree. Solches Rückgrat ist in keinem diplomatischen Dienst der Welt selbstverständlich.
Obwohl so ganz anderer Herkunft, hatte Stein stets etwas Preußisches: Er war fordernd und streng zu sich und anderen. Zu spüren bekamen das neben seinen Mitarbeitern vor allem die deutschen, aber auch die israelischen Journalisten. Fragt man Medienleute, die mit dem Botschafter zu tun hatten, so hat fast jeder eine Geschichte über Stein zu erzählen - und viele sind nicht gerade positiv. Stein konnte einfach wenig mit diesem Berufsstand anfangen, was sicherlich ein Fehler war. Denn eine moderne Diplomatie erfordert eben nicht nur die vertrauliche Kommunikation mit der politischen Elite, sondern auch den Austausch mit der Öffentlichkeit.
Hinzu kommt, dass Stein sein Land in Deutschland in harten Zeiten vertrat. Israels Kampf gegen die Zweite Intifada und die vielen Selbstmordattentate, der Bau des Sicherheitszauns an der Grenze zu Palästina, der nur halb geglückte Gaza-Abzug, das Irakdesaster, der gescheiterte Libanonkrieg, der Hamas-Boykott, die wachsende Bedrohung durch den Iran Primor etwa hatte es da viel leichter. Auch das Verhältnis der deutschen Öffentlichkeit gegenüber Israel wandelte sich etwa seit der Jahrtausendwende, zeitgleich mit dem Beginn der Amtszeit Steins: Harsche und häufig von wenig Sachkenntnis getragene Israelkritik wurde häufiger - und nicht selten war sie nur das Mäntelchen für einen nie vergangenen, ja in den letzten Jahren wieder ansteigenden Antisemitismus. Stein analysierte das kalt - und reagierte scharf, manchmal mit Wut. Im Grunde, formuliert es ein Gesprächspartner überspitzt, sei Stein gar kein richtiger Diplomat. Wurde er wütend, konnte er das nur schwer verbergen. Und so selten kam das nicht vor. Vergleicht man Steins Äußerungen über Deutschland am Anfang seiner Amtszeit und am Ende, fällt auf, dass sie härter ausfallen. Er selbst hat von manchen frustrierenden Erlebnissen gesprochen.
Bezeichnend ist, welche Bilanz seiner Zeit in Deutschland Stein selbst in mehreren Abschiedsinterviews gezogen hat: Das deutsch-israelische Verhältnis auf der Ebene der Regierung und der Eliten sei zwar gut - aber in der öffentlichen Meinung gebe es wegen einer "sehr unausgewogenen Berichterstattung" der Medien ein "verzerrtes Bild" von Israel. Daran mag einiges stimmen. Aber in der Einschätzung spiegelt sich auch, wo Stein seine Hauptenergien investierte und wo er gut ankam: in den Führungsetagen. Sehr früh hat sich Stein um Angela Merkel bemüht, der er in seiner Nüchternheit und analytischen Schärfe gleicht. Gerüchten zufolge taucht Stein auch gelegentlich unangemeldet im Vorzimmer des Außenministers auf. Sicher ist: Sein Draht zu Frank-Walter Steinmeier gilt als kurz.
In solchen Situationen offenbart Stein eine Seite von sich, die viele rühmen, die ihn näher kennen: Offenheit, Verlässlichkeit, wirkliches Interesse an den Argumenten des anderen. Und sogar so etwas wie Wärme. Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, erzählt, zuzeiten sei er mit dem Botschafter "heftig" aneinander geraten. Heute aber würde er Stein als seinen Freund bezeichnen - "und von denen gibt es nicht viele". Eine gewisse Weichheit konstatieren Freunde Stein dann, wenn er über Musik, vor allem über Opern, schwärmt. Und der Botschafter hat auch genießerische Seiten: Beim Edelitaliener im taz-Haus wählt er meist Suppe, Fisch und Salat.
Es stimmt: Steins Geschichte in Deutschland ist ein wenig tragisch. Vielleicht war er der richtige Mann zur falschen Zeit. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag, Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, sagt es so: Es sei gut möglich, dass die beste Zeit im Verhältnis Steins zu Deutschland erst noch komme. Der Diplomat wolle sich jedenfalls weiter für das deutsch-israelische Verhältnis engagieren. Im Grunde sei Stein ein typischer Israeli: außen stachelig, innen weich. Das sagt man auch den Preußen nach.
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