piwik no script img

Sexuelle Gewalt durch UN-BlauhelmeViele Opfer, wenige Strafen

2000 Vorwürfe sexueller Gewalt durch UN-Blauhelme gegen Kinder und Frauen hat es weltweit zwischen 2004 und 2016 gegeben. Ein Brennpunkt ist Haiti.

Janila Jean, 18, wurde nach eigener Aussage von einem UN-Soldaten schwanger, der sie mit einem Butterbrot angelockt und dann vergewaltigt hat Foto: ap

Port-au-prince ap | In den Ruinen einer früheren Ferienanlage versuchten verwaiste oder von ihren Eltern verlassene Kinder, sich irgendwie allein durchzuschlagen. Sie bettelten um Essen, aber konnten nie genug zusammenbekommen, um ihren Hunger zu stillen. Bis eines Tages die UN-Blauhelme nur eine paar Straßenzüge entfernt ihr Quartier aufschlugen.

Die Männer boten den haitianischen Kindern Kekse und andere Snacks an. Manchmal gaben sie ihnen auch ein paar Dollar. Aber der Preis war hoch: Die Blauhelme aus Sri Lanka wollten von den Mädchen und Jungen, manche davon gerade mal zwölf Jahre alt, Sex als Gegenleistung.

„Ich hatte noch nicht einmal Brüste“, sagt ein Mädchen, als VO1 bekannt, kurz für „Victim No. 1“, Opfer Nummer 1. Sie schilderte UN-Ermittlern, dass sie über drei Jahre hinweg, im Alter von 12 bis 15, Sex mit fast 50 Friedenssoldaten hatte – darunter ein Kommandant, der ihr 75 Cent gab.

Manchmal schlief sie in UN-Lastwagen neben der früheren Ferienanlage Habitation Leclerc in Port-au-Prince, wo sich in den 1980ern Berühmtheiten wie Mick Jagger und Jackie Onassis am Swimmingpool aalten. Als die Einrichtung zunehmend verfiel, zogen die allein lebenden Kinder ein.

Das Problem ist viel größer als bisher bekannt

Die Blauhelme kamen 2004 als Teil einer neuen Friedensmission, um Haiti nach der Entmachtung von Präsident Jean-Bertrand Aristide zu stabilisieren. Einige Soldaten aus der 900-köpfigen sri-lankischen Einheit hatten ihren Stützpunkt in der Nähe der einstigen Ferienanlage.

Gerechtigkeit für Opfer wie V01 gibt es selten. Bei einer Untersuchung von UN-Missionen in den vergangenen zwölf Jahren stieß die Nachrichtenagentur AP auf fast 2000 Fälle, in denen Blauhelmen und anderem UN-Personal in verschiedenen Teilen der Welt sexueller Missbrauch und Ausbeutung vorgeworfen wurden – ein Hinweis darauf, dass das Problem viel größer ist als bisher bekannt.

In mehr als 300 der Fälle waren nach den AP-Erkenntnissen Kinder involviert, aber nur ein kleiner Teil der Beschuldigten landete im Gefängnis.

Rechtlich gesehen sind den Vereinten Nationen selbst die Hände gebunden. Blauhelme unterliegen nicht ihrer Jurisdiktion, das heißt, die Entscheidung über Strafverfolgung liegt bei den Ländern, die die betroffenen Soldaten stellen.

Auskunftsersuchen in 23 Ländern

AP hat mit mutmaßlichen Opfern, derzeitigen und früheren UN-Offiziellen sowie Ermittlern gesprochen – und in 23 Ländern um Auskunft über die Zahl beschuldigter Blauhelme und etwaige Untersuchungen der Vorwürfe gebeten.

Nur einige wenige antworteten, und die Namen derjenigen, die schuldig gesprochen wurden, werden unter Verschluss gehalten. Das macht es unmöglich, herauszufinden, wer zur Rechenschaft gezogen worden ist.

Nach einem von AP eingesehenen, internen UN-Bericht haben in Haiti mindestens 134 sri-lankische Blauhelme zwischen 2004 und 2007 neun Kinder in einem Sexring ausgenutzt. Als Folge des Reports wurden 114 Soldaten nach Hause geschickt. Keiner von ihnen landete jemals hinter Gittern.

Sex für ein Butterbrot

Und war das auch das Ende des Sexrings, so nicht das von sexuellen Übergriffen allgemein durch UN-Personal in Haiti. Janila Jean sagt, dass sie 16 Jahre und eine Jungfrau gewesen sei, als sie ein brasilianischer Blauhelm vor drei Jahren in ein UN-Lager gelockt habe – mit Hilfe eines Stück Brotes mit Erdnussbutter. Sie bricht auch heute noch in Tränen aus, wenn sie an das Geschehene zurückdenkt.

Admiral Ademir Sobrinho von den brasilianischen Streitkräften versicherte auf einer Konferenz in London, dass es in seinen Reihen keine Fälle von Vergewaltigung und sexuellen 150 Fälle in HaitiMissbrauchs gebe.

Aber wie viele andere hat Jean den damaligen Vorfall nicht gemeldet. Fast ein Dutzend Frauen sagten der AP, dass sie Angst hatten, selbst für ihre Vergewaltigung verantwortlich gemacht zu werden – und daher schwiegen.

150 Fälle in Haiti

Nach AP-Erkenntnissen wurden von den weltweit etwa 2000 Missbrauchsvorwürfen gegen Blauhelme und anderes UN-Personal zwischen 2004 und 2016 ungefähr 150 in Haiti gemeldet.

Die Beschuldigten kamen laut UN-Unterlagen und Interviews neben Sri Lanka und Brasilien aus Bangladesch, Jordanien, Nigeria, Pakistan und Uruguay.

Im März hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres neue Maßnahmen angekündigt, um das Problem in den Griff zu bekommen. „Wir werden niemanden dulden, der sexuelle Ausbeutung und Missbrauch begeht oder zulässt. Wir werden nicht zulassen, das jemand diese Verbrechen mit der UN-Flagge zudeckt“, sagte er.

Aber das hört sich nur allzu vertraut an. Vor mehr als zehn Jahren haben die Vereinten Nationen einen Bericht in Auftrag gegeben, in dem ähnliche Reformen versprochen wurden wie jetzt, doch die meisten wurden nie umgesetzt.

Auch zwei Jahre nach den Ankündigungen wurden Kinder in Haiti von einem Soldaten zum nächsten weitergereicht. Und Blauhelmen in vielen Teilen der Welt wurde auch danach sexueller Missbrauch vorgeworfen.

In einem besonders schlimmen Fall in Haiti soll ein Junge gleich von mehreren uruguayischen Soldaten hintereinander vergewaltigt worden sein. Dem mutmaßlichen Opfer zufolge filmten sie ihre Tat mit einem Mobiltelefon.

Dutzende haitianische Frauen sagen, dass sie vergewaltigt worden seien. Und Dutzende mehr schildern, das, was ihnen passiert sei, würden viele beschönigend als „Überlebenssex“ bezeichnen – in einem Land, in dem die meisten Menschen mit weniger als umgerechnet 2,50 Euro am Tag auskommen müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Eine Organisation, die sich "Friedenstruppe" nennt, ist doch schon ein Widerspruch in sich. Was erwartet man denn, wenn männliche Berufssoldaten in Krisengebiete geschickt werden? Dass sie sich zivilisiert verhalten? Prof. Rolf Pohl hat bereits 2010 hier in der taz etwas dazu veröffentlicht. Er schrieb:

    „Zum soldatischen Selbstbild gehört eine als "naturgegeben" aufgefasste urwüchsige Sexualität, die keinen Aufschub duldet. Das ist keine als Aufstau missverstandene "sexuelle Not", sondern ein aus Prestigegründen und Kameradschaftsdruck "notwendiger" Männlichkeitsbeweis - eine funktionierende Heterosexualität wird hier vorausgesetzt.“ http://www.taz.de/!5145754/

     

    Kein Wunder also, dass die Partnerschaften von Berufssoldaten die höchsten Trennungsraten aufweisen. In Deutschland rangieren gleich danach angeblich die Ehemaligen der Einrichtungen der Regensburger Domspatzen. Kaum eine Frau muss es heutzutage noch aushalten, wenn ein Mann ihr seinen „Schweinesex“ aufnötigen will. Und mit der Bezeichnung tue ich diesen an sich geselligen und untereinander fürsorglichen Tieren eigentlich Unrecht.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer von schwerem sexuellen Missbrauch wurden

  • ein thema dass scheinbar keinen intressiert warum auch

    • @Georg Schmidt:

      Doch, aber ich habe dem grade nichts hinzuzufügen.