Sexismus in der Berliner CDU: Aufschreien statt hochschlafen
Eine CDU-Politikerin erhebt schwere Vorwürfe gegen ihre Partei und den Berliner Chef Henkel. Sie hofft auf eine Debatte – auch in anderen Parteien.
Ja, Jenna Behrends geht es gut. Die 26 Jahre alte Jurastudentin sitzt auf einer Parkbank in Berlin-Mitte. Es ist Nachmittag, aus den Schulen und Kindergärten ringsum strömen Eltern mit ihren Kindern. Noch schnell ein Eis, dann geht es hinüber zum Spielplatz. Eigentlich wäre Jenna Behrends eine dieser Mütter, die, einen bunten Fahrradhelm am Handgelenk, ihrem Kind etwas zu trinken reichen. Aber Behrends hat dafür gesorgt, dass sich an diesem Freitag jemand anderes um ihre Tochter kümmert. Sie hat geahnt, was nach ihrem offenen Brief an ihre Partei, die CDU, kommen würde.
„Warum ich nicht mehr über den Sexismus in meiner Partei schweigen möchte“, lautet der Titel eines Textes, den sie für Edition F, das Netzmagazin für Frauen, geschrieben hat. Darin schildert sie, wie die Parteifreunde der Berliner CDU auf sie als politische Quereinsteigerin reagiert haben. Zuerst mit Misstrauen. Dann mit Verleumdungen, sie habe sich auf den aussichtsreichen Listenplatz 6 hochgeschlafen. Schließlich mit unverhohlenem Sexismus.
„Fickst du die?“ soll der scheidende CDU-Innensenator Frank Henkel einen CDU-Kollegen aus dem Abgeordnetenhaus gefragt haben. Bei anderer Gelegenheit soll Henkel die Kandidatin und deren kleine Tochter folgendermaßen begrüßt haben: „Oh, eine kleine süße Maus. Und eine große süße Maus.“ In einer Stellungnahme gab sich Henkel verwundert und „ein bisschen enttäuscht über Inhalt und Stil dieses offenen Briefes“. Die Zitate dementierte er nicht.
Behrends nervte das alles unendlich. In ihrem offenen Brief schreibt sie: „Liebe Partei, ich weiß, du lästerst gerne bei zu viel Bier. Aber die junge Frau, die bereit wäre, sich für ein kommunales Ehrenamt hochzuschlafen, gibt es nur in deiner schmutzigen Fantasie. Die junge Frau, die ständig mit den Gerüchten um ihre angeblichen Affären konfrontiert wird, die gibt es in echt.“
Mails von SPD, Grünen und FDP
Seit Behrends' Text online ging, ist der Teufel los. Sie hat das so in etwa erwartet. Aber, sagt sie, „ich finde die Debatte wichtig“. Mehrfach habe sie parteiintern das Thema angesprochen. Zur Antwort erhielt sie Sätze wie „So sind wir halt“. Wenn sie schon so ein bisschen Alltagssexismus aus den Schuhen haue, solle sie sich besser fragen, ob das was wird mit ihr und der Politik.
„Das muss und darf so nicht sein“, sagt Behrends.
Alle Parteien hätten ein strukturelles Problem mit Frauen. „Ich kriege gerade unendlich viele Mails aus der SPD, von den Grünen und der FDP“, schildert sie die Reaktionen. „Politikerinnen aus den bekanntesten Bundesebenen haben sich bei mir für diesen Brief bedankt.“ Ihr wäre es lieber, wenn das Thema Sexismus in der Politik generell geführt werde. Ihre Berliner Mitte-CDU habe schließlich an sie geglaubt, sonst hätte sie kaum den guten sechsten Listenplatz bekommen.
Sie wisse aber auch, dass sie eine Art Quotenfrau sei: „Ohne die wäre ich nicht drin gewesen, ganz klar“. Sie sei immer gegen die Quote gewesen, erzählt sie. Frauen müssten es aus eigener Kraft in verantwortliche Posten schaffen, so hatte sie sich das vorgestellt. Seit sie in der Berliner CDU ist, weiß sie: So wird das nichts.
Tatsächlich verfügt die Bundespartei seit zwanzig Jahren über ein Quorum, eine Art Frauenquote light. Es soll den Anteil an Frauen in bestimmten Positionen auf dreißig Prozent erhöhen, ohne jedoch zwingende Vorschriften zu machen. Das Alibi-Instrument funktioniert mehr schlecht als recht. Keine Partei im Bundestag ist derart dominiert von Männern. Seit nach der letzten Bundestagswahl Generalsekretär Peter Tauber eine Parteireform auf den Weg gebracht hat, bewegt sich etwas. Die CDU soll für Junge, Zuwanderer und – vor allem – Frauen attraktiv werden. Raus aus den Hinterzimmern, Mitbestimmung auch online, familienfreundliche Sitzungszeiten, derlei.
Es geht nicht nur um Henkel
Das strukturelle Problem der Partei wird offenbar dann sichtbar, wenn Frauen diese neuen Rechte für sich in Anspruch nehmen. Behrends wurde in der Berliner CDU mehrfach unterstellt, sie habe ein Verhältnis mit ihrem Ortsvorsteher. „Ich gehöre als junge Frau und alleinerziehende Mutter offenbar zu dem, was andere als modern bezeichnen“, erzählt sie. „Auf jeden Fall anders.“
Wie geht es jetzt weiter mit ihr und ihrer Berliner CDU? Behrends hofft auf Erneuerung. Als mögliche neue Vorsitzende ist Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Gespräch. Aber selbst wenn nicht – Behrends betont, sie habe mit ihrem offenen Brief „kein CDU-Bashing“ betreiben wollen. Ihre Kritik betreffe eine bestimmte Gruppe in der Partei. Das Problem an der Person Frank Henkels festzumachen, sei viel zu einfach. „Das sind auch die, die die Gerüchte genüsslich weitererzählen.“
Den offenen Brief, sagt sie, hätte sie auch veröffentlicht, wenn ihre CDU nicht so schlecht abgeschnitten hätte bei der Abgeordnetenhauswahl. Sie habe extra bis nach dem 18. September gewartet, um eben nicht zu einem mieseren Wahlergebnis beizutragen. „Aber“, sagt Jenna Behrends, „die Partei schadet sich, wenn wir nicht darüber sprechen.“ Jetzt tut sie es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind