Serie zur Alt-Right-Bewegung (2/3): „Trump ist nicht mein Kandidat“
Das Thema Identität ist zentral bei den US-Nazis. Mit aggressiv betonter „Weißheit“ und Antisemitismus reüssieren sie auch auf globaler Ebene.
Oktober 2015. Erste politische Beobachter halten es für möglich, dass Trump Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden könnte. Am Tag nach dem Meeting des ultrarechten Onlinenetzwerks Stormfront am Lake Tansi in Tennessee lädt David Duke zu einem Ausflug in die nahen Great Smokey Mountains. Während wir im Nebel steil bergauf steigen, werde ich Zeuge Dukes anthropologischer Theorien: „Unsere Vorfahren lebten mitten in den Wäldern und aßen Würmer. Dann kamen die Juden und haben das Fast Food erfunden.“
Die ganze Truppe hört gebannt zu. Was fasziniert die Leute an so einem Dreck? Ein Paar gesellt sich zu mir, sie haben erfahren, dass ich Deutsch spreche, und wollen mich kennenlernen. Schon am Tag zuvor sind sie mir aufgefallen, sie schienen nicht ganz so primitiv zu sein wie die anderen, keine Schimpfwörter, keine rassistischen Beleidigungen. Was haben sie hier zu suchen, bei diesem Haufen gewalttätiger Idioten? „Wir sind hier, weil wir Deutsche sind“, sagt der Mann, der tatsächlich „Ehemann“ heißt, es aber wie „Hey-man“ ausspricht. Und kein Wort Deutsch spricht.
Das Thema Identität ist zentral bei den US-Nazis. Und die aggressiv betonte „Weißheit“ und der mörderische Antisemitismus sind Elemente, mit denen sie auch auf globaler Ebene reüssieren.
Die russische NGO Sowa-Zentrum hat Dokumente veröffentlicht, die die Gründung der Geheimorganisation World National-Conservative Movement (WNCM ) 2015 in Moskau belegen, der mehr als 70 Parteien, Bewegungen und Vereine beigetreten sind, darunter die NPD, Forza Nuova (Italien), Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte, Griechenland), Jobbik (Ungarn) und Die Russlanddeutschen Konservativen.
Im Vorstand des WNCM dominiert die Alliance for Freedom and Peace (AFP), die im EU-Parlament Putins Russland unterstützt, gegen die Nato und für das Assad-Regime eintritt und die Auflösung der EU fordert. Die AFP versammelt in ihren Reihen Gruppierungen wie Flanders Identitists (Belgien), Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit (DSSS, Tschechien), Danskernes Parti (Dänemark), NPD, Goldene Morgenröte, Forza Nuova (Italien), Kotleba – Volkspartei Unsere Slowakei, Democracia Nacional (Spanien) und British Unity Party.
Draußen Sizilien-Flagge, drinnen Italien-Kitsch
Oktober 2016, der Endspurt im Wahlkampf läuft. Am Union Square mitten in Manhattan nehme ich die Subway M Richtung Coney Island. Ich steige Ocean Parkway aus und gehe auf der Avenue U bis zum Restaurant Tre Fontane. Die Flagge Siziliens weht über der Eingangstür, drinnen hängt Italien-Kitsch an den Wänden. Mich erwarten Frank und Georgeos. Frank habe ich via Stormfrontkennengelernt, er ist Italoamerikaner, administriert die Seite von Forza Nuova in den USA und ist auf dem Sprung nach Rom für einen Kongress der Alliance for Freedom and Peace.
Und er ist aufgeregt, weil der AFP-Vorsitzende Roberto Fiore persönlich ihn gebeten hat, offizieller Repräsentant der Partei in den USA zu werden. Roberto Fiore (geboren 1959) ist einer der führenden Köpfe des italienischen Neofaschismus. Weil er in Italien wegen Beteiligung am neofaschistischen Attentat von Bologna 1980 gesucht wurde, setzte er sich nach London ab. 2000 konnte er aufgrund einer Amnestie nach Italien zurückkehren und gründete dort Forza Nuova.
Der Autor: Riccardo Valsecchi, 41, ist ein italienischer Journalist. In Berlin hat er für die taz geschrieben und Filme über Racial Profiling und Rassismus gedreht.
Die Recherche: Seit 2015 lebt Valsecchi in den USA, wo der Film „The Nazi Hustle“ entstand, der in Italien auf Festivals gezeigt wurde. In dieser Undercover-Recherche, die Valsecchi in der taz in drei Teilen nachzeichnet, geht es um die Alt-Right-Szene vor dem Hintergrund der Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump. Trailer des Films unter: vimeo.com/189136448
Alt-Right: (alternative Rechte) ist ein Begriff, der zuerst 2008 vom politischen Aktivisten Richard Spencer benutzt wurde. Größere Verbreitung fand Alt-Right ab Juli 2016, als Donald Trumps Kampagnenleiter Stephen Bannon ihn in einem Interview auf Breitbart News Network verwendete: „We’re the platform for the alt-right“ („Wir sind die Plattform für die Alt-Right-Bewegung“).
Auch Georgeos, der ein schwarzes T-Shirt mit dem Symbol der Goldenen Morgenröte trägt, hat Freunde in London: „Eines Tages klingelt mein Handy, Nummer unterdrückt. Ich gehe ran, ‚Hi, hier ist Nick Griffin, ich bin Chef der British National Party.‘ Aber ich glaube ihm kein Wort und lege einfach auf.“ Georgeos ist ein aggressiver Typ, halb Grieche, halb Italoamerikaner, und er ist der Sprecher der Goldenen Morgenröte in den USA. Nick Griffin, der von 2009 bis 2014 im EU-Parlament saß, wollte über ihn Kontakt zu den griechischen Nazis aufnehmen. Da war er bei Georgeos richtig, denn der sammelt von Queens aus nicht nur Geld für die Kameraden ein, sondern ist auch der Kontaktmann zu den White Supremacists, unter ihnen Matthew Heimbach, Leader der Traditionalist Worker Party.
„Klar kenne ich Matthew, wir waren zusammen in der alten Heimat, die griechischen Mamas nannten ihn immer ‚das gute Söhnchen‘, weil er sich vor jedem Essen bekreuzigte.
Bekannt durch Gewalt
Matthew Heimbach wurde einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als er am 1. März 2016 bei einer Wahlkampfveranstaltung Trumps eine afroamerikanische Frau verprügelte, die gegen Trump protestierte. Ihn sah ich zum ersten Mal während der republikanischen Convention im Juli 2016 in Cleveland, Ohio. Die Polizei hatte eine Warnung an Rechtsextremisten herausgegeben, sich von Cleveland fernzuhalten. Nur ein paar Nazis hatten sich darüber hinweggesetzt, der immer elegant gekleidete Richard Spencer vom National Policy Institute etwa hielt ein Plakat hoch: „Ich bin ein Rassist. Wollen Sie mich interviewen?“ Und eben Heimbach, der mit einigen seiner Kameraden durch die Innenstadt streifte, auf der Jagd nach Gegendemonstranten.
Eine Woche später sah ich Heimbach wieder, in Chattanooga, Tennessee. Dorthin hatte Rick Tyler geladen, Expastor der Christian Identity Church, der sich als unabhängiger Kandidat für den US-Kongress mit dem Slogan bewarb: „Make America White Again“.
Bei Heimbach, der Rick Tyler unterstützte, war Jeff Schoep, 43, der sich als Oberbefehlshaber des National Socialist Movement bezeichnet. In Chattanooga wurde an diesem Tag die Aryan Nationalist Alliance präsentiert, eine Allianz von 22 rechtsextremistischen Gruppen. Schoep und Heimbach verbindet ideologisch auf den ersten Blick nicht allzu viel. Schoep kommt aus dem National Socialist American Workers Freedom Movement, Nachfolgeorganisation der American Nazi Party George Lincoln Rockwells.
Matthew Heimbach
Er kam 1994 an die Spitze der Bewegung, gab ihr den Namen und verjüngte sie, nicht zuletzt durch die Produktion von Nazi-Rock-Alben. Die Vorliebe für Nazikostümierung ist geblieben. Matthew Heimbach, 26, ist das gemütliche Gesicht der US-Nazis. Er wirkt proper und gutmütig mit seiner randlosen Streberbrille, war nach der Uni lange in Europa, mit Stationen bei der NPD, der Goldenen Morgenröte und der tschechischen Arbeiterpartei.
Matthew Heimbach hat die Begabung, die schrecklichsten Dinge mit einem engelsgleichen Lächeln zu sagen: „Wir orientieren uns am europäischen Modell“, sagt er, während wir in einer Country-Bar in Ocoee, nahe Chattanooga, ein Bier trinken. „Ich bewundere Mussolini wirklich sehr, aber unser Nationalismus kann nur ethnisch definiert sein.“ Jeff und Matthew wissen beide, dass Trump nie ganz ihr Mann sein wird, seine Tochter Ivanka ist zum Judentum konvertiert, ihr Ehemann ist orthodoxer Jude. „Trump ist nicht mein Kandidat“, betont Heimbach. „Trump ist ein Nationalist – er ist kein weißer Nationalist. Aber wenn er und seine Leute ein so konservatives Programm haben durchsetzen können, dann sind wir der logische nächste Schritt, oder?“
Am 21. Juli 2016 wird Trump als republikanischer Präsidentschaftskandidat nominiert. Am Tag danach verkündet Ex-Ku-Klux-Klan-Leader David Duke seine Kandidatur für den Senat Louisianas. In Baton Rouge hat er einen Saal voller neugieriger Pressevertreter vor sich. „Damit das klar ist: Ich muss mich für meine Vergangenheit nicht entschuldigen. Was gerade passiert, zeigt es mir und zeigt es euch: Ich war schon immer auf der richtigen Seite der Geschichte.“ Aber persönlich begegnet sind sich David Duke und Donald Trump nie.
Aus dem Italienischen von Ambros Waibel
Lesen Sie hier Teil 1 der Serie über die Alt-Right-Bewegung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen