Serie über Band Sex Pistols bei Disney+: Trau dem, was du siehst
Die Disney-Miniserie „Pistol“ erzählt die Geschichte der revolutionären Punk-Band Sex Pistols. Sie basiert auf der Autobiografie des Gründers Steve Jones.

Das Folgende ist von tatsächlichen Ereignissen inspiriert: Die zweite Folge der Miniserie „Pistol“ trägt den schlichten Titel „Rotten“. Sie erzählt davon, wie aus der Band Kutie Jones and his Sex Pistols die Sex Pistols wurden, nachdem John Lydon vorgesungen und den neuen Nachnamen Rotten erhalten hatte. Sie erzählt aber auch von Pamela Rooke, die sich selbst mit 14 den Namen Jordan gegeben hat.
Jordan fuhr zwei Jahre lang jeden Tag zwei Stunden mit der Bahn von Seaford, East Sussex, nach London. Dort arbeitete sie in Vivianne Westwoods Boutique „Sex“. Jordan gilt als Muse der Modedesignerin und als das erste Gesicht von Punk. Mit ihrer äußerst knappen Bekleidung versuchte sie den taxierenden Blick der Männer auf diese zurück zu reflektieren. Ihre expressiven Make-ups und radikalen Outfits jagten den Männern Angst ein.
Dass mehrere Geschichten, auch unter Zuhilfenahme von dokumentarischem Material, parallel erzählt werden, ist das erzählerische Prinzip der nun auf Disney+ gestreamten Serie, die auf der Autobiografie des Pistols-Gründers und Gitarristen Steve Jones basiert. Die Kritik hatte 2017 Jones’ Buch gut aufgenommen, weil der Mann eine bemerkenswerte Offenheit an den Tag legt, die nun auch der Serie zugute kommt, bei der Danny Boyle Regie geführt hat.
Anders als die anderen Bandmitglieder kamen lediglich Steve Jones und Drummer Paul Cook aus armen Verhältnissen. Jones aber hatte das härteste Schicksal von allen. Seine Mutter ist nicht in der Lage, sich um das Kind zu kümmern. Der Stiefvater übt psychische und sexuelle Gewalt gegen den Jungen aus. Steve wird seit der Pubertät immer wieder straffällig. Seine größten Coups als Dieb bestehen darin, Equipment seiner Lieblingsbands zu klauen. Das ist seine Art, sein Fantum auszuleben und an deren Geschichte teilzuhaben.
Gerechtigkeit für alle Figuren
Malcolm McLaren bewahrt Jones durch einen Auftritt als seriöser Arbeitgeber vor Gericht davor, eine längere Haftstrafe antreten zu müssen. Der vaterlose, von Vaterfiguren immer nur enttäuschte und missbrauchte Jones ist McLaren dafür so dankbar, dass er immer wieder falsche Entscheidungen trifft, wenn McLaren die Band lediglich als Vehikel für seine Pläne benutzt.
Die Hauptfigur von „Pistol“ ist also Steve Jones, und die Geschichte der Pistols von ihren Anfängen im Jahr 1975 bis zu ihrem Ende 1978 wird aus seiner Perspektive erzählt.
Nach allem, was man bisher aus verschiedenen Quellen über diese Geschichte gehört hat, ist Jones trotz einer notgedrungen subjektiv gefärbten Sicht ein Erzähler, der den Figuren Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte. Niemand erscheint hier als Bösewicht. Alle Figuren werden mit ihren Schwächen, Vorzügen und Widersprüchlichkeiten gezeigt, die wahrhaftig erscheinen. Die Rollen sind allesamt gut besetzt.
Inspiriert von wahren Ereignissen
Bei aller Skepsis, die man dem Genre Biopic gegenüber haben kann und sollte, erklärt „Pistol“ doch auf brillante Weise, wie es den Sex Pistols auf spektakuläre Weise gelang, die situationistische Theorie der Gesellschaft des Spektakels, deren gelehriger Schüler Malcolm McLaren war, in eine kulturrevolutionäre Praxis zu verwandeln. „Pistol“ bedient sich da etwa des genialen Moves, mittels eines von Heroinkonsum leicht vernuschelten Monologs von Sid Vicious’ Freundin Nancy Spungen zu erzählen, dass Punk nicht in London, sondern in New York erfunden wurde.
Die Serie kann dann aber auch plausibel darstellen, warum es das historische Zusammentreffen von Leuten wie Steve Jones, John Lydon, Malcolm McLaren, Vivienne Westwood, Jordan und aller anderen in dieser furchtlosen Gang war, das Punk eine Stimme, einen Sound und eine Erzählung gab, die Jugendlichen weltweit eine revolutionäre Botschaft vermittelte: Trau dem, was du selbst siehst, hörst und wahrnimmst. Du kannst die von Tabus, Klischees und Normen kaschierte Gewalt in der Gesellschaft auf kreative Weise bekämpfen.
Die sechs Folgen der Miniserie „Pistol“ laufen auf Disney+
Auch „Pistol“ ist dieser Haltung verpflichtet. Und damit das kein juristisches Nachspiel hat, heißt es vor jedem Teil: „The following is inspired by actual events.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart