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Serie: Wie weiter, Germans? (2)Die Zukunft bleibt unsichtbar

Schulz moralisiert, Merkel verzieht keine Miene. Welche Geschichte unserer Zeit erzählen die Volksparteien – und was bleibt außen vor?

Schulz in Leipzig: Die Rede ist fast zu Ende, das Jacket ist ausgezogen Foto: reuters

Finsterwalde/Leipzig taz | Die Suche nach der Antwort auf die Frage, wo es mit Deutschland hingehen soll, führt in das Städtchen Finsterwalde in Südbrandenburg. Beziehungsweise wegen Bahnversagen erst mal nur auf den Bahnhof von Calau. „Da steckt bestimmt Merkel dahinter“, knurrt eine mittelalte Frau am Bahnsteig. „Die will nicht, dass wir kommen. Aber wir kommen.“

Die Frau gehört zu einer Gruppe, die daherkommt wie ein heruntergekommener Kegelclub. In der Hand hat sie einen Flyer mit dem Titel „Merkel begrüßen“. Damit machen AfD und andere im Osten gegen die Bundeskanzlerin mobil, der sie Verrat an Deutschland unterstellen. Eine halbe Stunde später gesellt sich die Gruppe im hinteren Teil des ordentlich sanierten Marktplatzes von Finsterwalde zu den Gleichgesinnten. Sie sind gekommen, um Merkels Rede nicht zuzuhören.

Ich schon. Die Frage lautet: Welche Geschichte unserer Zeit erzählen die deutschen Volksparteien im Wahlkampf? Wie und worüber redet die CDU-Bundeskanzlerin, wie und worüber der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz?

Die Geschichte der Union ist simpel: Wir hatten zwölf gute Jahre dank „Frau Dr. Merkel“. Hauptargument: Arbeitslosigkeit halbiert. Jetzt fragt der Wähler: Ja, aber da gibt es doch neuerdings diese Globalisierung? Und da sagt Merkel: Ganz ruhig, die bewältige ich für euch. Und die Breitbandkabel werden demnächst auch verlegt. Wenn ihr euch mal ein bisschen anstrengt, wäre’s noch schöner.

Einfache Sätze, keine Anspielungen, keine Pointen

Die Union ist die Lieblingspartei der unpolitischen Mehrheit und so redet Merkel auch. Einfache Sätze, keine Zitate, keine politischen, literarischen oder gar philosophischen Referenzen, keine Aphorismen. Und weil sie Merkel ist, auch keine Witzchen, keine Pointen, keine spontanen Bemerkungen, außer übers schlechte Wetter (sie freut sich, dass alle trotzdem hier sind).

Die Flüchtlingslage von 2015 sieht bei ihr so aus, dass „Menschen in größter Not Schutz und Zuflucht gesucht haben“ und man auch dank des Bürgerengagements „ein gutes Bild von Deutschland abgegeben“ habe. Aber, dass sich das „nicht wiederholen darf“. Sie konzediert zurückliegende Versäumnisse der Politik (nicht ihre eigenen), die zu der Lage geführt hätten und angegangen werden sollen. Also Bekämpfung der „Ursachen in den Herkunftsländern“, die Flüchtlingslager nahe Syrien „besser ausstatten“, Afrika „eine Perspektive geben“. Ihr Schlüsselwort heißt „Steuerung“, also das Gegenteil von Kontrollverlust, der Hauptchiffre der Merkel-Kritiker.

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Vorn drängt sich eine Flüchtlingsfamilie an die Absperrung. Mann, Frau, zwei Kinder. „Merkel gut“, ruft der Mann immer wieder. Die Kinder klatschen. Hinten johlen und pfeifen die von der AfD agitierten Merkel-Begrüßer die ganze Rede durch und schwenken ihre „Schnauze voll“- und „Bananenrepublik“-Schilder. Komplett ignoriert von der Bundeskanzlerin.

Merkel redet nicht zu denen, die sie hassen. Wenn sie gefragt wird, sagt sie lapidar, das gehöre zur Demokratie. Sie redet auch nicht zu den CDU-Mitgliedern in den ersten Reihen, sie redet, das hat Merkel-Experte Robin Alexander mal fein beobachtet, zur dritten Gruppe ihrer Veranstaltungen, den Leuten, mit deren Hilfe sie eine neue Mehrheit jenseits der alten Lager gewonnen hat und wieder gewinnen will. Denen sagt sie, dass sie dazugehören. Es geht bei ihr fast immer um Einschließen, fast nie um Ausschließen. Sie will nicht gegen ressentimentgetriebene Kleinbürger und nicht mal gegen Nazis mobilisieren.

Nicht aufwühlen, sondern narkotisieren

Wozu dadurch die Stimmen von halbschwankenden Ostbürgern riskieren? Die politische und ästhetische Widerlichkeit des Geschehens bringt ihr die Sympathie der Linksliberalen automatisch. Die greift sie selbstverständlich auch nicht an, denn Teile davon gehören ja zu ihrer Mehrheit. Überhaupt ist ihr Erfolgsprinzip nicht aufwühlen, sondern narkotisieren. Anders als die 08/15-Konkurrenz sucht sie nicht den üblichen Deppen oder Feind, gegen den man die Reihen schließt. Sie will sie ja offen halten. Die Konkurrenz kommt bei ihr fast nicht vor, den SPD-Spitzenkandidaten erwähnt sie überhaupt nicht.

Merkels Schlüsselwort heißt Steuerung, also das Gegenteil von Kontrollverlust, der Hauptchiffre der Merkel-Kritiker

Er heißt Martin Schulz und spricht an einem anderen Tag vor der Leipziger Nikolaikirche. Die Sonne scheint. Es riecht nach Bratwurst und Bier, also total sozialdemokratisch. Die SPD will die zunehmenden Ungleichheitseffekte der Globalisierung durch nationale Regulierung dämpfen, hier wegnehmen, dort hintun. Also Merkel von klassisch links schlagen. Die Alten sollen mehr kriegen, die Jungen soll mehr kriegen, die Ostler sollen mehr kriegen. Und die Frauen sowieso.

Schulz’ Hauptbeschäftigung besteht darin, den Leuten erst einmal das ganze Ausmaß der Ungerechtigkeit in diesem Land zu erklären, das acht der letzten zwölf Jahre von der SPD mitregiert wurde. Weshalb es dem Land ja weitgehend gut geht, wie auch er findet. Aber die Union hat trotzdem permanent Gerechtigkeit verhindert.

Schulz redet in Umgangssprache. Während Merkel auch mit ihrer Formelsprache Energie rauszieht, versucht Schulz, Energie gegen Merkel mit einer emphatischen Rhetorik aufzubauen. „Manno-manno-mann“, ruft er, wenn er den Leuten enthüllt, dass die allerungerechtesten Sachen von „Angela Merkel, persönlich“ angeordnet wurden. Oder es steckt einer ihrer „engsten Mitarbeiter“ dahinter.

Merkel in Finsterwalde: Viele sind extra gekommen, um ihrer Rede nicht zuzuhören Foto: dpa

Schulz bemüht sämtliche Evergreens des aufgeklärt-volksnahen SPD-Anpackers, von der Frauenkarte bis zum alten Jacket-Auszieh-Trick nach der Hälfte seiner Rede. Vor allem personalisiert er häufig – ganz im Gegensatz zu Merkel – und versucht mit seiner Aufsteigerbiografie im Nachkriegswestdeutschland zu punkten. Schließlich ist er der lebende Beweis, dass SPD-Politik mal auf der Höhe des gesellschaftlichen Bedarfs war.

Anders als Merkel greift Schulz die AfD inzwischen frontal an. Obwohl deren Wähler gar nicht da zu sein scheinen. Bis auf ein paar bruddelnde Biertrinker in Shorts. Er greift die „Manager“ der Automobilindustrie an, Trump sowieso, er will ein „starkes Europa“. Gleichzeitig spielt er die Militarismuskarte, indem er Merkel der „Aufrüstung“ anklagt. Merkel ungerecht, ich gerecht. Merkel Aufrüstung, ich Bildung. Er moralisiert und polarisiert. Sie niemals. Er gibt den Clown, sie verzieht keine Miene. Er sucht leicht verzweifelt das Trennende, sie fängt immer mit dem angeblich Gemeinsamen an. Er kriegt gern mal „eine Krise“. Sie bewältigt sie.

„Bei Schulz klingt Politik so, als ob das jeder könnte. Merkel begibt sich nie auf diese Ebene, sondern bleibt im Polit-System-Talk, allerdings mit einfachen Worten. Insofern gelingt ihr die Verbindung von Komplexitätseindruck und Vereinfachung“, sagt Hans-Jürgen Bucher, Professor für Medienwissenschaft an der Uni Trier.

Es ist Wahlkampf, es ist Show, es ist Strategie, es werden Zuhörer adressiert, die eher unpolitische Leben führen. Aber beide kriegen keinen Zugriff auf die neue gesellschaftliche Konfrontationsachse und die konservativen Bezugsprobleme der frustrierten, entfremdeten, wütenden Leute, die in Richtung Merkel „Hau ab“ brüllen, aber genauso Schulz, Özdemir und Lindner meinen. Merkels Schweigen macht sie nur noch wütender und Schulz’ Moralisieren („Die AfD ist eine Schande für Deutschland“) erst recht.

Der Klimawandel kommt nicht vor

Dabei ist das wirklich Erschütternde ja noch gar nicht erwähnt: Worüber sonst noch alles nicht oder nicht ernsthaft gesprochen wird. Klimawandel kommt weder bei Schulz noch bei Merkel vor. Der Zusammenhang mit den eskalierenden Problemen Völkerwanderung, Krieg, Hunger, die zunehmende Aggression fossiler Regime, das alles wird nicht thematisiert.

Beide kommen nicht hinaus über das Bild der unendlichen Gegenwart eines Industriekapitalismus mit Festanstellung, Tarif und goldener Uhr zum 50-jährigen Arbeitsjubiläum

Wie das Geld zum Verteilen erwirtschaftet wird, also ökologische Modernisierung und Energiewende – nichts. Künstliche Intelligenz – nichts. Automatisierung, das große Arbeitsthema – nichts. Digitalisierung mit seinen vielfältigen Auswirkungen – nichts. Die gut gebildeten, jungen Prekären: Diese Gruppe Zukunftsträger jenseits von Tariflohn und Gewerkschaft kommt überhaupt nicht vor.

Beide Kandidaten kommen nicht hinaus über das Bild der unendlichen Gegenwart eines national funktionierenden Industriekapitalismus mit Festanstellung, Tarif und goldener Uhr zum 50-jährigen Arbeitsjubiläum – nur künftig mit flächendeckendem Breitbandkabelanschluss. Die Zukunft bleibt unsichtbar. Entweder weil sie keine im Angebot haben oder weil sie die Leute nicht damit verstören wollen.

Es wird schon dunkel auf dem Marktplatz von Finsterwalde, da geht ein Ruck durch Angela Merkel und die Reihe der grauen CDU-Männer neben ihr. Wie immer ertönt am Ende bei der CDU die deutsche Hymne und die Funktionäre stimmen ein. Plötzlich geht auch ein Ruck durch die hinteren Reihen. Die AfD-Leute beenden abrupt ihr Pfeifinferno und singen jetzt auch das Deutschlandlied.

Allerdings die erste Strophe.

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5 Kommentare

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  • Wie bitte?: Brandenburg hat auch nen Süden? - Finsterwalde? - Zwischenstation Kalau - ääähh...Calau?

    Realsatire, Heinrich Heines 'Krähwinkel' oder eh schon Apocalypse, das ist hier die Frage. - Achso: Deutschland, Feierabend, Tagesschau, Tatort. - Ja dann...! Gerade noch mal gut gegangen.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Überlegungen und Hilfe zur Wahl 2017

     

    Die Grünen. Die Wegnehmerpartei. Alles was schön ist, machen sie einem madig; Fleischessen, Autofahren. Am Ende sollen wir noch den Fernseher ausmachen, wenns gerade spannend wird. Sonst noch was.

     

    Die AfD. Rechtsradikalismus, ja gerne. Aber die vielen Personalwechsel machen mir Sorgen, weil die Verläßlichkeit nicht gegeben ist. Der nächste Chief weicht dann wieder ab, und ich kann dann wieder in die NPD eintreten. Lasst euch gesagt sein: Rechtsradikalismus ist eine Überzeugung und keine Modeerscheinung.

     

    Die FDP. Wenn der Genscher stundenlang geredet hatte, wusste man zwar nicht, was, aber man hatte das Gefühl, daß es mit CDU oder SPD abgestimmt war und dass es schon stimmen wird. Und den Hotels, den Zahnärzten und den Anwälten hat die FDP ja auch ordentlich geholfen. Und eines Tages hilft die FDP auch uns. Ganz bestimmt.

     

    Die Linken. Die wollen ja Stalin, Lenin und Breschnew ausgraben und uns den ganzen Kommunismus überstülpen. Und wenn ich eine Million erbe, dann soll ich vielleicht noch 20000 Euro abgeben. No. Njet. Fragt doch mal den Putin, ob er euch wählt! Haha.

     

    Die SPD. Die Hartz4-Schroeder-Putin-Partei. Da muss man sich auf alles gefasst machen. Und dann noch der Brandt mit seinem 'Mehr Demokratie wagen'. Um Gottes Willen, nein danke, das ist mir zu unsicher. Wer weiß, was die da für 'Demokraten' aus dem Hut zaubern.

     

    Die CDU. Bei der CDU brauche ich meine Gewohnheiten nicht ändern und es kommt auch nichts Neues dazu. Diese große Verlässlichkeit ist mir am Liebsten und jetzt zum 64-sten Regierungsjahr von Merkel auch am sichersten. Der Kohl hat mir auch schon gut gefallen, aber die Merkel legt nochmal eins drauf. Diese Frau verändert nichts, und das ist wichtig und gut für uns alle.

     

    Wählt richtig, wie ich!

  • Wie meinen? Finsterwalde! Pfeifinfero?!

     

    Ja - das geht klar.

    "Die Zukunft bleibt unsichtbar.

    Entweder, weil sie keine im Angebot haben oder

    weil sie die Leute nicht damit verstören wollen.,…"

    Genau - & dann?

    "…Wird('s) schon dunkel auf dem Marktplatz von Finsterwalde,

    da geht ein Ruck durch Angela Merkel und die Reihe der grauen

    CDU-Männer neben ihr.…"

    & es ertönt - ¿!

    "Wir sind die Sänger von Finsterwalde,

    wir leb'n und sterben für den Gesang.

    Daß wir die Sänger sind,

    das weiß ein jedes Kind,

    wir leb'n und sterben für den Gesang."

     

    Ha noi. Weit gefehlt! Es schreibt Herr Peter Unfried -

    Im breitesten Schwatz-grün - gell!

    "Die deutsche Hymne!" Jawoll! Aber Hallo!

    &

    "Wie immer ertönt am Ende bei der CDU die

    deutsche Hymne und die Funktionäre stimmen ein."

    So weit - so cdu-klar!

     

    Na dann! & Na & dann???

    "Plötzlich geht auch ein Ruck durch die hinteren Reihen.

    Die AfD-Leute beenden abrupt ihr

    Pfeifinferno und singen jetzt auch das

    Deutschlandlied."

    (Was tazGenauer - "Die deutsche Hymne!"

     

    Na bitte geht doch! Aber Däh!

     

    "Allerdings die erste Strophe."

    Ach so. Aber doch doch!

    "Der deutschen Hymne!" - gell!

    Nich wahr Herr Peter Unfried -

    Ja. Da bleibt die Zukunft lieber unsichtbar - kerr!

    Da mähtste nix.

    Normal.

    &

    Da möchte frauman - Grad auch nach dem Elaborat -

    Ihres Vorredner - Herrn Harald Welzer - (1) http://www.taz.de/Aus-dem-Magazin-tazFUTURZWEI/!5446362/

    Lieber denn doch nicht so genau wissen -

    Wie sie beide sich die Zukunft so vorstellen -

    In Ihrem desolat aufgeblasenen taz.FUTURZWEI - & -

    Mit ihrem ersichtlich schwer altbacken schwatzgrün bräunlichen

    Krempel im Gepäck! Da ham sich ja zwei gefunden!

    kurz - B.F. Skinner Walden Two - dürfte zum xten ne

    Rotationseinlage vom Feinsten absolvieren!;)

    So geht das.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      "Da ham sich ja zwei gefunden!"

       

      Genau.

       

      Ein jeder trage des Anderen Last - oder: Ein jeder sei des Anderen Ghost, und wenn mal die altbekannte Autorenliste beim Z angekommen ist, dann spätestens wird FUTURZWEI gewesen sein.

      • @571 (Profil gelöscht):

        …& öh - wo wir grad bei Futurum 2 sind - ;)

         

        Mit Verlaub - muß es nicht - gell!

        "…dann spätestens wird FUTURZWEI gewesen sein" - werden!" - heißen?!