Serie: Was macht eigentlich …?: Der Taxisoziallotse

Klaus Meier ist einer von tausend Erwerbslosen, die vom Solidarischen Grundeinkommen des Senats profitieren. Den neuen Job hat er selbst kreiert.

Klaus Meier steht vor der Taxirufsäule

Soziallotse Klaus Meier am Taxistand in der Canovastrasse Foto: André Wunstorf

BERLIN taz | Im Sommer startete der Senat ein Berliner Sonderprojekt: Das Solidarische Grundeinkommen (SGE) will Erwerbslosen eine Stelle im öffentlichen Dienst oder bei einem freien Träger finanzieren. Fahrgasthelfer*in oder Quar­tiers­läu­fe­r*in zum Beispiel. Im Gegensatz zu ähnlichen Ideen aus der Vergangenheit versprach der Senat allen, die nach fünf Jahren nicht in eine reguläre Stelle oder in eine andere Förderung übernommen werden können, eine Stelle in einer Senatsverwaltung anzubieten.

Das vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) angeregte Vorhaben wurde breit kritisiert. Zum einen wegen des irreführenden Namens. Es handelt sich bei dem Programm nicht um ein Grundeinkommen, sondern um Bezahlung für geleistete Arbeit. Das SGE ist daher eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Außerdem sei es wegen des geringen Budgets ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt zum Beispiel Armutsforscher Christoph Butterwegge.

Für Klaus Meier hat der Tropfen gereicht. Er fasste im Sommer einen Plan: Meier wollte das SGE nutzen, um die eigens von ihm kreierte Position als „Taxisoziallotse“ zu finanzieren. Ein Beruf, den es seiner Meinung nach unbedingt geben sollte: Schließlich werden immer mehr Taxifahrer ausgebeutet, und viele Taxiunternehmen gehen pleite. Meier findet: Sie brauchen nicht nur gewerkschaftliche Hilfe, sondern auch eine Alternative zu diesem aus seiner Sicht aussterbenden Gewerbe. Eine Art „Aussteigerprogramm für Taxifahrer“ also. Viele ehemalige Fahrer bräuchten Unterstützung dabei, sich durch das verwirrende Sozialsystem zu arbeiten und das zu bekommen, was ihnen an Leistungen zusteht.

Das Sozialsystem kennt Meier mittlerweile ziemlich gut. Er war selbst zwei Jahre lang erwerbslos. Wenn man mit ihm spricht, sollte man ein Gesetzbuch zur Hand haben, so viele Artikel und Paragrafen lässt er nebenbei fallen. Vor seiner Erwerbslosigkeit war er lange Jahre Taxifahrer, er kennt also auch den Alltag der Kollegen. 2017 musste er wegen einer Krankheit aufhören, in dem Beruf zu arbeiten.

Die meisten Geschichten enden nicht, bloß weil wir einen Artikel für die taz berlin darüber geschrieben haben. Deshalb fragen und haken wir bei ProtagonistInnen noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich …?“ rund um den Jahreswechsel 2019/20 erzählen wir einige Geschichten weiter. Heute: Folge 1. Alle Serientexte sind online auf taz.de/berlin nachzulesen. (taz)

Das Modellprojekt Das vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) angestoßene Pilotprojekt hat mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen nichts zu tun. Es ist eine Beschäftigungsmaßnahme: Arbeitslose sollen gemeinnützige Jobs verrichten und dafür nach Tarif, mindestens aber nach dem Mindestlohn bezahlt werden. Die Teilnahme ist freiwillig, die Jobs sollen unbefristet sein. Es richtet sich an Menschen, die zwischen einem und maximal drei Jahren ohne Arbeit sind.

Gemeinnützige Jobs Als Beispiele für Tätigkeiten nennt die Senatskanzlei etwa „City-Lotsen“: Sie sollen Mängel im öffentlichen Raum melden oder auch die Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr testen. „Schulorgani­sationsassistent*innen“ sollen in Schulen helfen, etwa Stühle umräumen oder Material besorgen. „Mobilitätshelfer*innen“ sollen ältere oder obdachlose Menschen zu Terminen begleiten.

Umfang Ursprünglich war von 4.000 Stellen die Rede. Weil Müller jedoch keine Unterstützung vom Arbeitsminister und Genossen Hubertus Heil bekam, schrumpfte das Projekt auf 1.000 Stellen. (all)

„Völlig neue Kiste“

Für sein Vorhaben grub sich Meier durch die gesetzlichen Bestimmungen und die Anforderungen für das SGE. Bis er verstand, wo die „Schnittstellen“, wie er es nennt, zwischen seinem Vorhaben und dem SGE liegen. Er fand schließlich einen Träger, der sein Interesse an einem Taxisoziallotsen der Senatsverwaltung gegenüber mitteilte. Interessenbekundungsverfahren hieß dieser verwaltungsmäßige Vorgang. Im Oktober wartete Meier auf einen Bescheid, ob die Stelle gefördert wird oder nicht (taz berichtete).

Mittlerweile ist klar: Meiers Plan ging auf: Er bekam Ende Oktober den Bescheid, dass seine Stelle gefördert werde. Jetzt arbeitet er seit bald zwei Monaten beim Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ). Das BALZ berät Erwerbslose und Geringverdienende und setzt sich für ihre Rechte ein. Im Moment hospitiert Meier bei den Be­ra­te­r*in­nen, hört und schaut ihnen bei der Arbeit zu. Aus dem Gelernten stellt er dann sein eigenes Beratungsangebot für Taxifahrer zusammen.

„Das wird eine völlig neue Kiste“, sagt Meier. Ihm schwebt ein mobiles Beratungsangebot vor: An Taxiständen zum Beispiel möchte er die Fah­re­r*in­nen abfangen und auf seine Dienste aufmerksam machen. Daran sind, so Meier, die Gewerkschaften in den letzten Jahren gescheitert. Die Fah­re­r*in­nen verbringen den ganzen Tag alleine in ihren Autos und haben kaum Gelegenheit, sich zu vernetzen, hat er beobachtet. Außerdem fühlten sich viele wie kleine Unternehmer, obwohl sie nach Strich und Faden ausgebeutet würden, berichtet er. Deswegen fühlen sie sich von den Gewerkschaften nicht angesprochen.

Helfer durchs Dickicht im Sozialsystem

Meier hat ein sehr beschränktes sozialpolitisches Instrument für seine eigenen Visionen und Ideen nutzen können. Und multipliziert den Effekt des SGE: Es hilft nicht nur ihm, sondern auch allen Ta­xi­fah­re­r*in­nen, die sich durch seine Hilfe emanzipatorischer durch das Sozialsystem bewegen. Dennoch: Abgesehen von dem kleinen Budget, das jetzt schon für die nächsten fünf Jahre aufgebraucht ist, sind es die vielen bürokratischen Hürden des SGE, die es den meisten Menschen unmöglich machen, es so eigenwillig zu nutzen, wie Meier es tut.

„Es ist ein unglaublich großer bürokratischer Aufwand“, sagt Meier heute über den Antragsprozess, „man muss sich wirklich gut auskennen mit dem Sozialsystem, man muss wissen, wie solche Anträge verfasst sein sollten.“

Die Sozialverwaltung veröffentlichte inzwischen eine Liste der freien Träger, die vom SGE-Fördertopf profitieren. Darunter sind neben der BVG und der AWO viele Kindertagesstätten und einige Kirchengemeinden sowie Stadtteilhäuser. 1.000 geförderte Stellen von 113 Ar­beit­ge­be­r*in­nen sind es insgesamt, die an dem Förderprogramm teilnehmen können. Das ist weniger als die Hälfte der Ar­beit­ge­be­r*in­nen, die ursprünglich am Interessenbekundungsverfahren teilgenommen hatten.

Die Nachfrage ist deutlich höher, als der Fördertopf groß ist. Die Senatsverwaltung für In­te­gra­tion, Arbeit und Soziales (­SenIAS) teilte mit, dass Mitte Dezember bereits 48 Arbeitsverhältnisse im SGE bestehen. Sie schreibt außerdem: „Das Pilotprojekt SGE kann aus Sicht der SenIAS sowohl national als auch international Impulse für die weitere Entwicklung von Instrumenten der Beschäftigungspolitik geben.“

Bisher gibt es aber noch keine Nachahmer in anderen Bundesländern. Eine erste wissenschaftliche Auswertung des SGE wird es 2022 geben. Dann wird auch klar, ob das SGE nach den dann abgelaufenen fünf Jahren verlängert wird.

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