Serie „Shameless“ auf Amazon Prime: Selbstbewusst proletenhaft
Die Serie „Shameless“ bildet Armut ab, ohne in „poverty porn“ abzurutschen. Damit setzt sie neue Maßstäbe für Erzählweisen über die Unterschicht.
Armut abzubilden war noch nie ein leichtes Thema für Film und Fernsehen. Die Verlockung ist groß, das Schicksal der Figuren beschönigend darzustellen. Nicht selten werden die Betroffenen einzig auf ihr Elend reduziert, indem man sich mit einer erniedrigend-melodramatischen Zurschaustellung ihrer Not zufrieden gibt. Die Zuschauer*innen sollen Mitleid empfinden oder gar geschockt sein über das Ausmaß der Verwahrlosung.
Nichts davon wird Menschen, die in Armut leben, gerecht. Wahlweise schwingt im Subtext mit, dass ihre Situation hauptsächlich selbst verschuldet ist oder aber dass sie wehrlose Opfer ihrer Umstände sind, deren Leben einzig aus Trostlosigkeit besteht.
Mit der US-amerikanischen Produktion „Shameless“ ist gerade eine Serie zu Ende gegangen, die wie ein gigantischer Mittelfinger gegenüber diesen Erzählweisen über Armut wirkt. Die im Mittelpunkt stehenden Gallaghers wollen kein Mitgefühl, für jedes Mittelklasseversprechen haben sie nur ein hämisches Lachen übrig. Sie machen sich keine Illusionen über ihre Situation, verzweifeln aber auch nicht unentwegt daran.
„Shameless“, Staffel 11, Amazon Prime Video
Über zehn Jahre hinweg erzählt die von John Wells und Paul Abbot produzierte Serie von der Familie, die sich in einem von Arbeitslosigkeit, Drogen und Kriminalität geprägten Problembezirk, der Chicagoer South Side, durchschlägt. Ein zentraler erzählerischer Vorteil des Formats ist, dass sie mit Familienoberhaupt Frank (William H. Macy) und seinen insgesamt sechs Kindern sowie deren Nachbarn Kevin und Veronica (Steve Howey/Shanola Hampton) eine Vielzahl an Biografien in den Blick nimmt und so verschiedene Facetten der Armut und ihrer Auswirkungen thematisieren kann.
Über die Runden kommen
Während die älteste Tochter, Fiona (Emmy Rossum), im Laufe der Handlung Karriereambitionen entwickelt, aber immer wieder von ihrer Rolle als Ersatzmutter ausgebremst wird, wird anhand der zum Start der Serie noch jungen Geschwister, vor allem Carl (Ethan Cutkosky), Deborah (Emma Kenney) und Liam (Christian Isaiah), beleuchtet, zu welch unterschiedlichen Entwicklungen ein Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen führen kann.
Über Phillip (Jeremy Allen White), der zwischenzeitlich aufs College geht, wird wiederum aufgezeigt, mit welchen Herausforderungen der versprochene Aufstieg durch Bildung tatsächlich verbunden ist, und über seinen jüngeren Bruder Ian (Cameron Monaghan), was es bedeutet, in der Unterschicht schwul zu sein.
Trotz der Tristesse gleitet „Shameless“ niemals in „poverty porn“ ab. Ohne deplatziert zu wirken, ist die Stimmung der Serie meist heiter und beweist Lust am Makaberen. Denn die Gallaghers legen, wie es der Titel schon sagt, nicht selten Schamlosigkeit an den Tag. Und die braucht es nun mal hin und wieder, um ganz unten über die Runden zu kommen. „Shameless“ hat damit dem Erzählen von Armut eine selten selbstbewusst-proletenhafte, ja widerspenstige Facette hinzugefügt. Allein dafür hat sich die lange Reise gelohnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge