Serbische Wahlen: Mit Rückendeckung der EU
Blind setzten die deutsche und europäische Politik ihre Hoffnung auf Vučić. Sein Wahlsieg in Serbien rückt Veränderung einmal mehr in die Ferne.
E s ist bedrückend, in Serbien zu leben, für den, der an die Rechtsstaatlichkeit glaubt, an Medien- und Meinungsfreiheit, Arbeiterrechte, an den Sozialstaat, die Bedeutung der zivilen Gesellschaft und öffentlicher Debatten, an unabhängige staatliche Institutionen oder faire Wahlen. Es ist beengend, in Serbien zu leben, für den, der den Personenkult verabscheut und die Geschichtsfälschung.
ist seit drei Jahrzehnten taz-Korrespondent in Belgrad. Er ist Mitarbeiter des MDR und Redakteur des serbischen politischen Magazins Vreme. Er schreibt regelmäßig Kolumnen und Kommentare über die Entwicklungen im postjugoslawischen Raum.
Und es ist nahezu hoffnungslos, in Serbien zu leben, denn die besseren Zeiten wollen einfach nicht kommen – trotz der geografischen Nähe zur Europäischen Union und ungeachtet aller schönen Reden Brüsseler Bürokraten. Serbien ist nur auf dem Papier ein EU-Beitrittskandidat. Serbien ist eine leere Schale der parlamentarischen Demokratie und ein Mekka für endemische Korruption. Dieser Zustand dauert seit Jahrzehnten. Kein Wunder, dass die meisten Serben an Veränderungen nicht mehr glauben.
Die „Superwahlen“ am 17. Dezember bestätigen diese bitteren Zustände. Gewählt wurden das serbische und das Parlament der Provinz Vojvodina, lokale Behörden in Belgrad und weiteren 64 Städten. Das Ergebnis erinnert an den Titel eines Buches von Lenin: „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“. Nicht nur weil der serbische Autokrat in der Rolle des Staatspräsidenten, Aleksandar Vučić, überlegen auf allen Ebenen gewann, sondern wie ihm dieses Meisterstück gelungen ist.
Da können sich seine Kollegen Putin, Erdoğan, Orban und Alijew eine Scheibe abschneiden. Sie alle haben ihm auch sofort zu dem glänzenden Sieg gratuliert. Dementgegen blieben die üblichen Glückswünsche aus westlichen Demokratien diesmal aus. Das Auswärtige Amt in Berlin schrieb sogar auf X: „Serbien hat gewählt, aber die OSZE-ODIHR berichtet von Missbrauch öffentlicher Mittel, der Einschüchterung von Wählern und Fällen von Stimmenkauf. Das ist für ein Land mit EU-Kandidatenstatus inakzeptabel.“ Wenigstens das.
Ein Ziehkind Merkels
Vučić, ein politisches Ziehkind von Exkanzlerin Merkel, ist seit fast zwölf Jahren an der Macht. Merkel glaubte, äußerst naiv und trotz aller Warnungen, an seinen guten Willen, Serbien allmählich den europäischen Standards anzupassen. Sie war nicht die Einzige. Die Konrad-Adenauer-Stiftung tat ihr Bestes und gab viel Geld deutscher Steuerzahler aus, um die Ex-Nationalisten, Ex-Kriegshetzer und Verehrer Ratko Mladićs, der für die Gräueltaten in Srebrenica verantwortlich war, salonfähig zu machen.
Vučić setzte dennoch Geschichtsleugnung und zielstrebige nationalistische Attacken auf Nachbarvölker fort und vergiftet seit einem Jahrzehnt die Stimmung in der postjugoslawischen Region. Als die FAZ seine Regionalpolitik mit der Ostpolitik Willy Brandts verglich, muss sich so mancher Bürger Serbiens ungläubig an die Stirn gegriffen haben. Weder Deutschland noch die EU können für die serbische bürgerliche Opposition den Kampf für zivilisatorische Umstände in Serbien ausfechten.
Aber dieses jahrelange Schulterklopfen Vučićs vor laufenden Kameras trug dazu bei, dass immer weniger Serben an die EU glaubten. Nur knapp 30 Prozent der Serben betrachten die Annäherung an die EU immer noch als eine außenpolitische Priorität. Mit sinkendem Vertrauen in die EU sank auch ihr Einfluss auf die serbische Politik.
Vučićs Wähler sind ohnehin prorussisch veranlagt, sie verehren Wladimir Putin, sie klatschen laut Beifall, weil sich ihr alles bestimmender Präsident immer noch weigert, gegen Russland infolge des Überfalls auf die Ukraine Sanktionen zu verhängen. Und die prowestlich orientierten serbischen Bürger trieb der Westen mit seiner Pro-Vučić-Politik immer weiter von sich. So ist es wenig verwunderlich, dass die EU nicht die geringste Rolle in den jüngsten Wahlkämpfen spielte.
Nicht gerade faire Wahlen
Während europäische und amerikanische Beamte und Politiker jahrelang Vučićs Spielchen duldeten – stets in der Hoffnung, er werde den Kosovo-Knoten lösen –, verwandelte sich Serbien in eine „hybride Demokratie“, wie es die amerikanische NGO Freedom House definierte. Das heißt, formal finden zwar Wahlen statt, aber frei und fair sind sie bei Weitem nicht.
Das sah man auch in der jüngsten Wahlkampagne: Der Staatspräsident führte die Kampagne für eine Wahlliste mit seinem Namen auf allen Ebenen an, obwohl er selbst für kein einziges Amt kandidierte. Er und seine politische Gefolgschaft beherrschten 80 Prozent der Informationsprogramme im Fernsehen; für Parteizwecke wurden alle staatlichen Ressourcen missbraucht. Und weil das alles in Belgrad noch nicht reichte, wurden offenbar Zehntausende Bürger aus der serbischen Entität in Bosnien für die Wahlen „importiert“.
Man stellte ihnen kurzerhand Personalausweise mit Belgrader Adresse aus, damit sie dort wählen können. Die Opposition bezichtigt Vučić des „massiven Wahlbetrugs“, die serbische Organisation Crta, die die Wahlen beobachtete, verkündete, dass in Belgrad die Wahlmanipulation solche Ausmaße angenommen habe, dass sie maßgebend die Ergebnisse beeinflusste.
Doch wenn die regierende Partei Wahlkommissionen und die Staatsanwaltschaft kontrolliert, nutzen alle Klagen und Einwände nichts. Aus reiner Machtlosigkeit ist eine Anführerin des prowestlichen Bündnisses „Serbien gegen Gewalt“, Marinika Tepić, am Montag in den Hungerstreik getreten. Die Opposition fordert Neuwahlen in Belgrad. „Wir wussten, dass sie stehlen werden, aber wir konnten nicht ahnen, dass sie so gewaltig stehlen würden“, kommentierte ein Oppositionspolitiker die Wahlen.
Bisher ist Vučić noch immer alles durchgegangen, warum nicht auch das. Wenn jemand immer wieder ungeschoren davonkommt, glaubt er mit der Zeit, sich immer mehr leisten zu können. Das ist menschlich und gilt auch für Autokraten. Nur eine dünne Linie trennt eine Autokratie von einer Diktatur. Die ewigen Ermunterungen aus Brüssel, die die „europäische Perspektive“ Serbiens unterstreichen, liegen wirklich daneben.
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