Serbien auf der Buchmesse in Leipzig: Opfer von Srebrenica verhöhnt
Plakate, mit denen der Genozid relativiert wird, sah man während der Buchmesse überall in Leipzig. Das hinterlässt Empörung und viele Fragen.
Serbien wird Schwerpunktland in Leipzig auf der Buchmesse. Als die Nachricht kam, freute ich mich. Endlich könnten sich die Schriftsteller Serbiens in einer großen Öffentlichkeit präsentieren, endlich könnte sich das andere Serbien, das selbstkritische und intellektuelle Serbien, in Szene setzen, war meine erste Reaktion.
Die Schriftsteller könnten ihren Beitrag für die Verständigung zwischen den Nationen des Balkans leisten. Leipzig böte eine Chance, mit der längst fälligen Vergangenheitsbewältigung auf dem westlichen Balkan zu beginnen, hoffte ich.
Doch schon vor der Buchmesse wurden meine Erwartungen bei einem Treffen in Sarajevo etwas gedämpft. Ich traf nämlich die beiden jungen Organisatoren des geplanten Standes aus Bosnien und Herzegowina, Hana Stojic und Sasa Gavric. Beide waren sehr geknickt. Sie hatten wenige Tage vor der Abfahrt nach Leipzig die Nachricht erhalten, dass die Vertreter der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina eine gemeinsame Präsentation abgelehnt hatten.
"Trotz einer monatelangen Diskussion, einer intensiven Vorbereitung mit vielen Kompromissen" wollten die Vertreter der Republika Srpska eigenständig in Leipzig auftreten. Mit einem eigenen Stand und eigenem Programm.
Das war an sich schon ein Politikum und hätte von der Messeleitung zurückgewiesen werden müssen. Dennoch: Die Hauptstadt Serbiens Belgrad ist nicht Banja Luka, die Hauptstadt der serbischen Teilrepublik. Da herrscht doch ein anderer Ton, wusste ich. Doch kurz nach der Ankunft in Leipzig letzte Woche war nicht nur ich schockiert: Überall, auch im Zentrum der Stadt, sprangen die Plakate ins Auge, die den Genozid (nach dem Urteil des Völkergerichts in Den Haag) in Srebrenica leugneten. "Srebrenica - Unterdrückte Tatsachen über die an Serben begangenen Massaker 1992-95".
"Beton"
Nun ist es sicherlich so, dass bei den Kämpfen um die Enklave auch Serben ums Leben gekommen sind. Die bosniakischen Verteidiger der Enklave standen jedoch 1993-95 in der UN-Schutzzone unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Den von serbischen Truppen unter dem Befehl von Ratko Mladic systematisch begangenen Völkermord an mindestens 8.300 Männern und Jungen aus der bosniakisch-muslimischen Bevölkerungsgruppe im Juli 1995 so zu konterkarieren, erinnert an die "Auschwitzlüge" der deutschen Rechtsradikalen, an deren Kampagne gegen die deutsche Schuld am Holocaust.
Wie konnte erlaubt werden, die Stadt und die Messe mit diesen die Opfer Srebrenicas verhöhnenden Plakaten zu überziehen? Wäre das mit Plakaten der deutschen Rechtsradikalen auch möglich gewesen? Welche Nachlässigkeit und Unkenntnis wird hier vonseiten der Messeleitung offenbar?
Das Buch von Alexander Dorin, der Szene von deutschen Milosevic-Anhängern zuzurechnen, war das meistbeworbene Buch auf der Messe. Wer hat das Geld dafür gegeben? Die serbischen Offiziellen haben nichts gegen diese Propagandakampagne unternommen. Das hätte die Präsentation serbischer Schriftsteller entwerten können.
Wenn nicht das von Alida Bremer und dem Kulturnetzwerk Truduki organisierte Beiprogramm gewesen wäre. Da konnten neben den berühmten Schriftstellern wie dem in Kanada lebenden serbisch-jüdischen Autor David Albahari auch andere vom offiziellen Belgrad ignorierte Schriftsteller auftreten.
Hervorzuheben ist die Gruppe "Beton", die auch auf dem taz-Stand zu Wort kam. Sasa Ciric und Sasa Ilic, Milos Zivanovic und andere beginnen überzeugend die kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit. Und produzierten zusammen mit jungen kosovoalbanischen Schriftstellern eine gemeinsame Zeitung. Dies war eine wichtige und für mich versöhnliche Botschaft, immerhin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch