■ Serbien: Der erste General stellt sich hinter die Opposition: Die Zeit des Aussitzens ist vorbei
Die Macht eruiert doch. In Belgrad haben sich nicht nur Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller und Professoren in einem offenen Brief namentlich gegen das Regime gestellt, sondern jetzt auch erste Teile der Armee. Eine Garnison in Niš unter Führung eines Generals hat der Opposition angeboten, an die Spitze des Protests zu treten. Das muß sie nicht. Aber ihre offene Unterstützung für das Oppositionsbündnis Zajedno zeigt, daß dem Regime die Felle davonschwimmen, die Macht ins Wanken gerät.
Vergessen werden sollte allerdings nicht, daß die Armee nicht mehr das Hätschelkind des Präsidenten ist. Das war sie zu Zeiten des Balkankrieges. Heute braucht Milošević sie nicht mehr. Seine viele tausend Mann starke Prätorianergarde ist die Miliz, hochmodern und bestens ausgerüstet. Sie kommt in Belgrad und anderen Städten zum Einsatz. Und sie steht für den Präsidenten ein.
Dennoch ist der Verfall der Macht nicht aufzuhalten, bestenfalls hinauszuschieben. Die Winkelzüge des Regimes werden zunehmen. Und sie werden in den nächsten Monaten ganz gewiß voll ausgespielt werden. Der Präsident selbst hat sich zwar noch nicht zu den Empfehlungen der OSZE-Mission geäußert. Doch seine Anhänger haben die OSZE-Beschlüsse schon schlicht uminterpretiert. Die Bestätigung des Wahlsieges von Zajedno in Belgrad und 13 anderen Städten Serbiens wird ganz einfach unterschlagen. Der OSZE-Bericht wird als vorläufig dargestellt. Oder die Kritik an den Wahlfälschungen wird dahin umgebogen, daß die Sozialistische Partei ja selbst „einige Verfehlungen“ angeprangert habe, ganz so, wie es im OSZE-Bericht stehe. Das ist ebenso dreist wie töricht. Diese Art Spielchen sind allenfalls entlarvend für das Regime.
Die Proteste schlicht aussitzen kann die Regierung nicht mehr. Sie hat nur die Wahl, entweder der Opposition die gefälschten Mandate zurückzugeben oder sie mit polizeilichen und militärischen Mitteln niederzuschlagen. Im ersten Fall droht der Regierungspartei der Verlust der Macht bei den kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Im zweiten Fall wird der ökonomische Druck aus dem Ausland zusammen mit dem inneren Widerstand der anwachsenden Opposition das diktatorische Regime in die Knie zwingen. Serbien wird sich im Jahre 1997 sehr verändern. Die Tür zu einer parlamentarischen Demokratie ist aufgestoßen. Georg Baltissen
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